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Eine klimaneutrale WM in Katar?

Kyle Mcinnon
25. November 2021

Ein Jahr vor seiner "nachhaltigen" Weltmeisterschaft hat Katar ein Stadion fertiggestellt, das nach dem Turnier abgebaut und anderswo wieder aufgebaut werden soll. Nachhaltig oder nur PR? Kommt drauf an, wen man fragt.

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Das  Stadion 974 in Katar von außen
974 alte Schiffscontainer sind in Katars "Stadion 974" verbaut Bild: Reuters

"The Big O" wurde das für die Olympischen Sommerspiele 1976 errichtete Stadion in Montreal einst liebevoll genannt. Heute spricht man in der kanadischen Metropole vom "Big Owe" - in den aufwendigen Bau und die Instandhaltung des Stadions mit der  extravaganten Dachkonstruktion sind in über 30 Jahren 264 Millionen kanadische Dollar geflossen. Und die - sinngemäß übersetzt - "großen Schulden", die Montreal erst 30 Jahre nach den Spielen abbezahlt hatte, werden weiter große Kosten verursachen. Das bald benötigte dritte Dach dürfte erneut hunderte Millionen verschlingen, wie es in der CBC-Dokumentation "The Big Woe" zum 45-jährigen Bestehen des Stadions hieß. 

Nach den Spielen wurde das Stadion regelmäßig von den in Montreal ansässigen Baseball-, bzw. Football-Teams genutzt. Doch die haben die Stadt längst verlassen und so fristet das Stadion heute einen Großteil seines Daseins als sogenannter "weißer Elefant". Überdimensioniert, nur selten genutzt, teuer im Unterhalt: Nicht nur in Montreal verschlingt ein Stadion ohne echten Zweck viel Geld. In vielen Gastgeberländern von Olympischen Spielen oder Fußball-Weltmeisterschaften stehen solche "weißen Elefanten". Besonders viele von ihnen findet man in Südafrika, Gastgeber der WM 2010. Für die erste WM auf dem afrikanischen Kontinent errichtete man vielerorts aufwendige Stadien, wo es gar keinen Bedarf gab. Doch der Glanz der WM sollte damals auch in der Provinz des Landes sicht- und spürbar sein, etwa in Polokwane oder Mbombela, das während der WM 2010 noch Nelspruit hieß.

Katars Stadion 974

Auch in Katar könnten eines Tages "weiße Elefanten" stehen. Der Wüstenstaat wird 2022 das kleinste Land sein, das je eine WM ausgerichtet hat, und lässt für das Mega-Event seit Jahren neue Stadien errichten. Stadien, auf deren Baustellen Arbeiter - vornehmlich aus Nepal, Pakistan oder Bangladesch - unter katastrophalen Bedingungen in Bezug auf Versorgung, Sicherheit und Unterbringung arbeiten und die nach der WM möglicherweise ungenutzt sein könnten.

Das Stadion 974 von außen bei Nacht
Das Stadion 974 steht im Hafen der Hauptstadt Doha - gegenüber der SkylineBild: Qatar's Supreme Committee for Delivery and Legacy/AFP

Doch der wegen der Arbeitsbedingungen und der vielen Toten auf den Stadion-Baustellen heftig in der Kritik stehende Golfstaat will zeigen, dass es auch anders gehen kann und präsentiert nun ein Stadion, das nach dem Turnier vollständig rückgebaut werden kann und aus recycelten, bzw. wieder verwendbaren Materialien bestehen soll. Das "Stadion 974", benannt nach der internationalen Telefonvorwahl Katars und der Anzahl der alten Schiffscontainer, die einen Großteil des Materials zum Bau des Stadions lieferten, soll nach der WM in Katar ab- und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. So die Idee Katars, das das Stadion als "bahnbrechend" in Sachen Nachhaltigkeit von Großevents anpreist.

"Cleverer PR-Schachzug"

Das Stadion 974 wird eines von acht Stadien sein in denen zwischen dem 21. November und dem 18. Dezember 2022 die insgesamt 64 Spiele der WM ausgetragen werden sollen. "Wenn man sich die Kritik an all den großen Stadien, die auf der ganzen Welt gebaut und anschließend nicht genutzt wurden, ansieht, dann ist dieses hier quasi nützlich", sagte Zeina Khalil Hajj der DW. Doch die Klimaaktivisten mit Fokus auf den Nahen Osten sehen in dem Projekt auch einen "cleveren PR-Schachzug" des Landes mit dem höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf weltweit.

"Das bedeutet nicht, dass sie der größte Verursacher in der Welt sind. Es bedeutet nur, dass sie eine Verpflichtung haben und eine wichtige Rolle spielen", erklärt Hajj. "Sie haben eine Verantwortung als reiche Nation. Sie müssen ihren Beitrag leisten. Und das bedeutet, dass sie ihr eigenes Konsumverhalten ändern müssen. Doch was sie stattdessen tun, ist diese ganze PR-Maschinerie." 

Klimaneutrale WM?

Dem widerspricht Bodour Al Meer: "Katar ist ein kleines, sich schnell entwickelndes Land, und die Ausrichtung der Weltmeisterschaft hat unsere nationalen Entwicklungspläne beschleunigt", sagte die Leiterin für Nachhaltigkeit des Organisationskomitees von Katar kürzlich auf einer digitalen Konferenz zum Thema "regenerative Sportereignisse". "Unsere Vision für unser Land ist die Harmonie zwischen Wirtschaftswachstum, sozialer Entwicklung und Umweltschutz." Der Umweltteil der Nachhaltigkeitsstrategie der FIFA für die WM in Katar sei "perfekt auf Katars nationale Ziele abgestimmt".

Der Golfstaat und die FIFA kündigten in diesem Zusammenhang die erste klimaneutrale WM der Geschichte an. In dem Dokument zur Nachhaltigkeitsstrategie werden die Verringerung von Emissionen, energieeffiziente Stadien und kurze Transportwege angekündigt. Letztere resultieren aus der unmittelbaren Nähe der Stadien zum Zentrum der Hauptstadt Doha. Darüber hinaus heißt es in dem Dokument, dass die "verbleibenden unvermeidbaren Emissionen ausgeglichen werden" sollen.

"Greenwashing" - kompensieren, statt vermeiden

"Alles lobenswerte Ziele", sagt Phillip Sommer von der Deutschen Umwelthilfe. Aber "unvermeidbare Emissionen" zu kompensieren, indem man eine Million Bäume pflanzt, wie Katar es zugesagt hat, anstatt Solar- oder Windenergie zu nutzen, um sieben der acht Stadien zu kühlen (das Hafenstadion 974 wird nicht gekühlt) und mit Strom zu versorgen, sei nicht das, was er "nachhaltig nennen" würde. "Es ist eine Art Greenwashing, nur um zu kompensieren", sagte Sommer der DW. 

Das Stadion 974 in Katar von innen
Wegen der Temperaturen von bis 50 Grad in den Stadien wurde die WM vom Sommer in den Winter 2022 verlegtBild: Reuters

Die Kühlung der Stadien ist energieintensiv, weswegen das Turnier bereits um fünf Monate nach hinten verschoben wurde, um die sengende Sommerhitze zu vermeiden. Es wird jedoch erwartet, dass Katar im November und Dezember in den Stadien unter freiem Himmel weiterhin mit fossilen Brennstoffen betriebene Klimaanlagen einsetzt, genauso wie in Einkaufszentren, auf Märkten und entlang belebter Bürgersteige. "Sie sollten vollständig auf erneuerbare Energien umzusteigen. Der gesamte Strom und die komplette Klimatisierung sollten mit erneuerbaren Energien betrieben werden", so Sommer. "Und wenn sie dafür neue Energieanlagen bauen, dann können die natürlich auch langfristig für die Bevölkerung dort genutzt werden."

"Sie können es sich leisten"

Aus Sicht der deutschen Umwelthilfe werden die Gastgeberländer mit dem Bau teurer, neuer Infrastruktur für Mega-Events den Herausforderungen in Zeiten des Klimawandels nicht gerecht. Auch dann nicht, wenn eines von acht WM-Stadien ab- und an anderer Stelle neu aufgebaut werden kann. "Ich würde zuerst die Frage stellen, ob es wirklich notwendig ist, ein Stadion nur für einen Zweck zu bauen", sagt Sommer. Ein neues Stadion nur für dieses Ereignis zu bauen und schon zu planen, dass es nicht mehr genutzt wird, weil man es nicht mehr braucht, das sei "keine wirklich nachhaltige Sache".

Umweltaktivistin Zeina Khalil Hajj fragt mit Blick auf ein Land, das durch die Förderung fossiler Brennstoffe reich geworden ist und sich auf die Ausrichtung einer Fußball-WM mit mehr als einer Million Besuchern vorbereitet: "Ändern sie das Narrativ in dem Land und verankern sie wirklich eine nachhaltige Lebensweise? " Die Antwort gibt sie selber: "Nein", sagt Hajj und resümiert: "Können sie es sich leisten, das zu tun? Ja. Es ist eine vertane Chance."

Aus dem Englischen übersetzt von David Vorholt