Ferdinand Piëch: Tod des letzten Patriarchen
27. August 2019Ferdinand Piëch hat Volkswagen zu dem gemacht, was es heute ist. Ein global agierender, höchst erfolgreicher Automobilkonzern. Als er zu Beginn des Jahres 1993 seinen Job als VW-Chef antritt, liegt das Unternehmen am Boden. Er sei sich nicht einmal sicher, ob man in zwei Monaten überhaupt noch die Arbeiter bezahlen könne, vertraute er seinerzeit der Überlieferung nach seiner Ehefrau Ursula an. Dann macht er sich an die Arbeit.
Piëch räumt auf, krempelt den Laden um, Topmanager werden reihenweise gefeuert. Er führt die sogenannte Plattform-Strategie ein, auf der sich verschiedene Modelle eine technische Basis teilen. Die Viertagewoche ohne Lohnausgleich, dazu flexible Arbeitszeiten, das rettet Tausende Jobs. Geht auf Einkaufstour. Am Ende steht ein Autokonzern, der alles anbietet, was rollen kann: Vom Motorrad bis zum schweren Lkw. Vom Ein-Liter-Auto bis zum 1000-PS-Bugatti. Zwölf Marken unter einem Dach.
Als er im Jahr 2002 an die Spitze des Aufsichtsrats wechselt, hat er den Umsatz des Konzerns verdoppelt und erzielt Rekordprofite.
Abhärtung im Internat
Ferdinand Piëch hat es allen gezeigt. Er, 1937 in Wien geboren, den sie im Porsche-Piëch-Clan nur den "Burli" nennen, den sie für unbegabt halten, der schlechte Noten nach Hause bringt und von der strengen Mutter schließlich aufs Internat geschickt wird, ein "Abhärtungsinternat", die er in seiner Autobiografie später als "finstere Zeit der Erziehung" beschreibt. Dort habe er erkannt, "dass vieles nur im Alleingang möglich ist, weil man sich nicht verlassen kann". Das wird der rote Faden durch sein Leben sein.
Er studiert Maschinenbau und schließt seine Ausbildung zum Diplom-Ingenieur mit einer Arbeit über Rennsport-Motortechnik ab. Seine automobile Karriere beginnt 1963 bei Porsche, in Zuffenhausen entwickelt er den legendären Porsche 917, der später die 24 Stunden von Le Mans gewinnt.
Sein Traum, Porsche-Chef zu werden, wird ihm aber von der Familie verwehrt. Amtsinhaber Ferry Porsche hatte verfügt, keine "Nicht-Namensträger" - also einen Piëch - an der Spitze sehen zu wollen. Piëch fügt sich und wechselt 1972 nach Ingolstadt zu Audi in die technische Entwicklung, von dort führt der Weg bis auf den Chefsessel.
Nichts und niemand kann Piëch bremsen
20 Jahre später - Piëch hat Audi von einer verstaubten Rentner-Marke zum Premiumhersteller umgebaut - verlässt er Ingolstadt Richtung Wolfsburg. Nichts kann ihn dort bremsen, nicht die Spionageaffäre um José Ingnacio Lopez, den Piëch von General Motors abgeworben hatte und der eine Menge vertraulicher Unterlagen dabeihatte. Nicht die Korruptionsaffäre um Sexpartys und Luxusreisen für Mitglieder des Betriebsrates. Nach den Jahren als VW-Vorstandschef (1993- 2002) beginnt für Prof. Dr. h.c. Ferdinand Karl Piëch der eigentliche Triumphzug als Chef des Konzern-Aufsichtsrates.
"Wer nicht spurt oder meine Kreise stört, hat es verspielt", so kann man es in er Autobiografie nachlesen. Das bekommen viele schmerzlich zu spüren. Bernd Pischetsrieder etwa, den Piëch von BMW holt und 2002 zum VW-Chef macht. Vier Jahre später schickt er ihn in die Wüste: "Zu spät habe ich erkannt, den Falschen gewählt zu haben."
Oder Porsche-Chef Wendelin Wiedeking. Auf die Frage, ob er noch Vertrauen zu ihm habe, antwortet Piëch im Mai 2009: "Zur Zeit noch. Streichen Sie das noch." Da hatte Piëch gerade sein Meisterstück abgeliefert, denn im Jahr zuvor hatte Porsche versucht, VW zu schlucken. Piëch, dem Strippenzieher, gelingt es, den Spieß umzudrehen. Das stolze Haus Porsche wird zu einer bloßen Marke im VW-Konzern degradiert. Eine Demütigung für den Porsche-Clan, der "Burli" hat es ihnen gezeigt.
Der Fall Winterkorn
2014 dann ist Piëch auf dem Höhepunkt seiner Macht. Erstmals verkauft der Konzern mehr als zehn Millionen Autos, kommt auf 200 Milliarden Euro Jahresumsatz und verdient zwölf Milliarden Euro. Und Piëch will mehr: Bis 2018 will er den ewigen Rivalen Toyota überholen und die Nummer Eins in der Welt werden. VW schafft dieses Ziel schon zwei Jahre früher. Bloß Piëch ist da schon weg.
Denn er macht einen Fehler. "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn." Ein legendärer Satz aus einem "Spiegel"-Interview im April 2015. Es ist der Beginn eines Machtkampfes zwischen Piëch und seinem Ziehsohn Martin Winterkorn. Der ist wie Piëch ein begnadeter Techniker, aber auch ein Machtmensch. Winterkorn scheint dem Patriarchen zu selbstherrlich, seine Extravaganzen nerven den Alten: 50.000 Euro für japanische Koi-Karpfen im Teich seines Wolfsburger Anwesens auf Firmenkosten.
Aber dieses Mal hat sich Piëch verzockt. Er verliert den Machtkampf gegen Winterkorn, der im Aufsichtsrat mehr Unterstützer hat. Am 25. April 2015 legt Piëch den Posten des Aufsichtsratschefs nieder. Ein paar Monate später bricht der Dieselskandal los, der Volkswagen bis heute beschäftigt.
Aus dem Protokoll der Zeugenaussage Piëchs vor den Staatsanwälten des Landegerichts in Braunschweig Ende 2016 geht hervor, dass Piëch wohl schon im Februar 2015 über die Abgasmanipulationen Informationen hatte. Als er Aufklärung von Winterkorn verlangt, wiegelt dieser ab. Womöglich hat dies zum Bruch zwischen den beiden geführt. Eine Antwort auf diese Frage wird nun wohl kaum mehr zu bekommen sein.
Im Leben des Ferdinand Piëch, so schrieb es im Jahr 2015 die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, zählten drei Dinge: Volkswagen, Familie, Geld. In dieser Reihenfolge. So hatte er es selbst gesagt. Vielleicht aber ist er, der Vater von 13 Kindern, doch mehr als der skrupellose Patriarch. Auf der Einladung zu seinem 75. Geburtstag stand: "Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu."