Feinstaubbelastung: Diplomatie statt Fahrverbot
10. März 2016Stuttgart wird gerne "die deutsche Hauptstadt der Luftverschmutzung" genannt. Einige Medien verglichen die Stadt sogar mit Peking, Chinas Mega-Hauptstadt, deren Smog-Probleme in den letzten Monaten in Bildern um die Welt gingen.
Und ja: Stuttgart ist die Stadt, in der die Feinstaubbelastung das von der EU vorgegebene Limit an den meisten Tagen im Jahr übersteigt - öfter als in jeder anderen deutschen Stadt. Im Jahr 2014 waren das 64 Tage.
Die Luftqualität ist derzeit so gesundheitsschädlich, dass die Stuttgarter Behörden für seit Mittwoch wieder Feinstaubalarm ausriefen - zum dritten Mal in Deutschland, nach dem bundesweit ersten Feinstaubalarm im Januar und dem zweiten Ende Februar.
Schon damals wurde an die Bürger appelliert, in den kommenden Tagen aufs Auto zu verzichten und stattdessen auf die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen oder Fahrgemeinschaften zu bilden.
Dabei hatte dieser Aufruf so gut wie keinen Erfolg. Beim ersten Feinstaubalarm gab es nach Messungen knapp fünf Prozent weniger Autoverkehr - zu wenig, um die Luftverschmutzung nachhaltig zu reduzieren.
Derzeit werden in der Stadt Feinstaubkonzentrationen von 89 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen. Das sind mehr als doppelt so viel wie der derzeit geltende Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Solch hohe Werte sind gesundheitsschädlich und können Krebs auslösen.
Erst mal abwarten
Andere Städte auf der Welt mit hoher Smog-Belastung haben Fahrverbote für bestimmte Fahrzeuge ausgesprochen, wenn die Luftqualität zu schlecht wurde. Paris beispielsweise verbannte im Jahr 2014 für einige Zeit die Hälfte aller Autos von den Straßen: An sich abwechselnden Tagen durften nur die Autos mit geraden beziehungsweise mit ungeraden Nummernschildern fahren.
London führte eine "Stauabgabe" ein. Bezahlen müssen sie alle, die tagsüber während der Wochentage mit dem Auto in die Innenstadt fahren. Die Metropole Delhi in Indien wiederum verbannte alle Taxis mit Dieselantrieb aus der Stadt.
Deutsche Behörden hingegen setzen auf Freiwilligkeit. Die Bürger sollen sich selbst dazu entscheiden, weniger Auto zu fahren, um ihre Luftqualität zu verbessern. "Wenn das nicht klappt, muss man sich mehr überlegen", sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Mit Verboten und Geboten sollte man sparsam umgehen.
"Den Versuch zu unternehmen, die Bürger davon zu überzeugen, freiwillig einen Beitrag zu weniger Autoverkehr zu leisten, sollte man nicht schlechtreden, sondern unterstützen", sagte Oberbürgermeister Kuhn. Wenn sich die Situation damit nicht verbessere, könnte allerdings ab dem Jahr 2018 ein Fahrverbot kommen, fügte er hinzu.
"Eine Placebo-Maßnahme"
Umweltschützer lehnen Stuttgarts Feinstaubalarm ab, ganz besonders die Freiwilligkeit des Fahrverbots. "Das ist nur eine Placebo-Maßnahme", sagte Jürgen Resch, Geschäftsführer der Organisation Deutsche Umwelthilfe (DUH), im DW-Interview. "Wir haben seit zehn Jahren in Stuttgart die höchsten Belastungswerte." Im Jahr 2015 sei die Feinstaubkonzentration im Vergleich zum Vorjahr sogar angestiegen, betonte er. "Und jetzt, im elften Jahr setzt die Stadt zwei Jahre lang auf Freiwilligkeit."
Viele Pendler nutzen ihr Auto, weil sie keine andere Wahl haben, sagte Daniel Moser der DW. Moser ist Verkehrsexperte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace. "Die Menschen, die im Umkreis von Stuttgart wohnen, sind vom Auto abhängig", sagte er. "Sie haben häufig keine Alternative." Es sei Aufgabe der Politik, solche Alternativen zu schaffen, indem sie zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr verbessern.
Laut Resch haben die derzeitigen Maßnahmen die Situation in Stuttgart sogar noch verschlimmert. Die Stadt habe am Rande Stuttgarts einen riesigen Parkplatz für Pendler eingerichtet, mit Pendelbussen ins Stadtzentrum, erzählte er. Aber kaum jemand habe dieses Angebot genutzt. "Das führte am Montag zu einer Mehrbelastung von Stuttgart, weil leere Busse rumgefahren sind."
"Es müssen Handlungen folgen", betonte auch Moser. Umweltschützer wie Resch fordern, dass Diesel-Fahrzeuge aus der Stadt verbannt werden, "mit nur wenigen Ausnahmen." Nur Busse, die den strengen Euro-6-Emissionsstandard erfüllen, sollten in der Stadt zugelassen sein, um die Gesundheit der Stadtbewohner zu schützen.
Autostadt Stuttgart
Wie kann es sein, dass ausgerechnet Deutschland - ein Land, das international als Vorreiter im Umweltschutz angesehen wird - seine Luftverschmutzung nicht in den Griff bekommt? Laut Resch und Moser schrecken die Politiker vor Fahrverboten und entsprechenden Gesetzen zurück, weil sie Angst vor der Autoindustrie haben. "Daimler möchte partout nicht, dass an seinem Weltsitz ein Verbot für Dieselfahrzeuge existiert", sagte Resch.
Stuttgart wird oft als Autostadt bezeichnet; hier haben die Autohersteller Daimler und Porsche ihren Sitz.
Weltweiter Vergleich
"Deutschland hat nur deshalb ein grünes Image, weil die Situation in anderen Ländern noch viel schlimmer ist", betont Moser. Stuttgarts Luftqualität bedroht zwar die Gesundheit seiner Einwohner an mehr als 60 Tagen im Jahr. Betrachtet man allerdings den jährlichen Durchschnitt an Feinstaubbelastung in Städten rund um den Globus, dann schneidet Stuttgart eigentlich ganz gut ab, vor allem im Vergleich mit Städten wie Peking, Delhi oder sogar Mailand und Rom.
Stuttgart liegt in einem Tal-Kessel. Abhängig vom Wetter ist der Luftaustausch in der Stadt so schlecht, dass sich Abgase in der Stadt anreichern. Das führte auch zum gegenwärtigen Feinstaubalarm.
Besserung ist allerding in Sicht: Am Wochenende wird im Stuttgarter Raum Regen erwartet. Die Tropfen binden dann die Schmutzpartikel in der Luft und schwemmen sie in die Kanalisation. Dann ist die Luft in Stuttgart wieder klar - zumindest bis sich der nächste Smog aufbaut.