Mehr Konzerne durch Abgaswerte im Zwielicht
12. Februar 2016In der Abgasaffäre gerät mit Fiat Chrysler nun der nächste Autokonzern ins Zwielicht. Die Abgasprüfstelle der Berner Fachhochschule in der Schweiz stellte bei einem Fiat SUV 500 Diesel in Labortests fest, dass die geltenden Grenzwerte von Stickoxiden (NOx) bei warmgelaufenen Motor um das 11 bis-22 fache überschritten werden.
Nur im Testverfahren nach dem europäischen Fahrzyklus (NEFZ), das bisher für Fahrzeugzulassungen relevant ist, lagen die Emissionen in der Nähe des festgelegten Grenzwertes von maximal 80 Milligramm (NOx) pro Kilometer. Der Fiat 500 überschritt in diesem Test den Grenzwert um 31 bis 66 Prozent und damit vergleichsweise gering. Bei dem genormten NEFZ-Zyklus steht das Fahrzeug vor dem Test mehre Stunden still und wird dann für 20 Minuten nach einem genau festgelegten Zyklus mit relativ kalten Motor geprüft.
Auffällige und katastrophale Abgaswerte bei veränderten Testbedingungen
Auftraggeber des Fiat-Test ist die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Die Umweltorganisation ließ in den letzten Monaten schon einen Opel Zafira, Renault Espace und Mercedes C 200 CDI von den Schweizer Experten im Labor testen. Auch bei diesen Fahrzeugen stellten die Prüfer eine vielfache Überschreitung der Abgasgrenzwerte bei den Tests mit warmen Motor fest. Beim Renault Espace 1.6 dCi lagen die Emissionen von Stickoxiden bis zu 25-fach höher als erlaubt, beim Opel Zafira 1,6 CDTi bis zu 17-fach höher und beim Mercedes C 200 CDI 4-fach.
Wurden diese Fahrzeuge jedoch im genormten NEFZ-Zyklus entsprechend vorbereitet und mit kälterem Motor geprüft, dann sahen die Werte für den NOx-Ausstoß ebenfalls ganz anders aus: Alle drei Fahrzeuge hielten dann die gesetzlich festgelegten Grenzwerte ein.
Hersteller bestreiten Einsatz von verbotener Software wie bei VW
VW hatte im Oktober eingestanden, dass für die hohen Emissionswerte im Realbetrieb eine gesetzlich verbotene Software verantwortlich ist. Diese erkennt den Prüfzykus und steurt dann die Abgasreinigung so, dass im Test der NOx-Ausstoß unterhalb der Grenzwerte liegt. Im Realbetrieb sorgt die Software jedoch für eine Abschaltung der Abgasreinigung und damit zu entsprechend hohen Schadstoffemissionen.
Renault, Fiat Chrysler, Opel und Mercedes bestreiten die Schweizer Testergebnisse nicht, betonen aber zugleich, dass sie keine verbotene Software wie bei VW eingesetzt haben. Nach Einschätzung von Experten sind die extremen Abweichungen der Abgaswerte jedoch sehr auffallend und technisch nicht plausibel. Befriedigende Erklärungen auf die offenen Fragen gaben die Hersteller den Abgasprüfern nicht.
EU will mit Grenzwerten die Todesrate senken
Die meisten Diesel-PKW in Europa halten die EU-Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden im Realbetrieb nicht ein. Zu diesem Ergebnis kommen inzwischen auch viele andere Untersuchungen unter anderem vom Bundesumweltamt (UBA), dem niederländischen Umweltministerium, der französischen Regierung, mehrere TV-Sender und die unabhängigen Forschungsorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT), die den VW-Skandal durch ihre Recherchen ins Rollen brachte. Nach Angaben von ICCT sind die NOx-Emissionen von neuen Diesel-PKW im Durchschnitt etwa sieben Mal höher als es der Grenzwert in der EU erlaubt.
Stickoxide können die Atemwege und Lungen erheblich schädigen und tragen neben Feinstaub entscheidend zur Luftverschmutzung bei. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO und der EU-Kommission sterben mehr als 400.000 Menschen pro Jahr in Europa vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung. Der Straßenverkehr trägt zu rund 40 Prozent zum Stickoxidausstoß bei. Um die Bürger vor den Gesundheitsschäden zu schützen, legte die EU strengere Grenzwerte für Autoabgase und Höchstwerte für Luftschadstoffe in den Städten fest.
Bewirken VW-Skandal und weitere Tests eine Zäsur?
Reagiert hat auch das EU-Parlament. Beschlossen wurde im Dezember die Einrichtung eines Untersuchungssauschuss. Er soll jetzt prüfen, welche Rolle die EU-Kommission und die nationalen Aufsichtsbehörden in dem Abgasskandal spielen und damit viele offene Fragen klären.
Darüber hinaus beschloss das EU-Parlament Anfang Februar realitätsnahe Abgasprüfungen auf der Straße ab September 2017, billigte aber gleichzeitig die Anhebung der Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden um über 100 Prozent. Der Verband der europäischen Autohersteller begrüßte die neuen Grenzwerte. Vor allem Grüne und Umweltverbände lehnen höhere Grenzwerte ab und bewerten die Entscheidung des EU-Parlaments als Beleg für den anhaltenden Einfluss der Autoindustrie auf die Politik.