Pakistans Taliban
17. Dezember 2014Wer sind die "Tehrik-e-Taliban Pakistan" oder TTP, die hinter dem Angriff auf die Schule stecken?
Die TTP richten sich nicht generell gegen alle Regierungen in der Region, sondern explizit gegen die pakistanische. Sie sind "quasi eine Dach-Organisation von verschiedenen militanten Gruppen aus den Stammesgebieten Pakistans", sagt Michael Kugelman, Experte für Süd- und Südostasien am Woodrow Wilson Center for Scholars in Washington.
Die pakistanischen Taliban gründeten sich 2007; ihr erster Anführer war Baitullah Mehsud, der auch Verbindungen zu den afghanischen Taliban hatte. Die Ursprünge der Gruppe liegen weiter zurück, in den 1980er Jahren, als Pakistan militante Gruppierungen finanzierte, die für das Land in Afghanistan und in Kaschmir kämpften. Als Pakistan sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hinter die USA stellte, wandten sich viele dieser Kämpfer gegen die pakistanische Regierung und gründeten später die TTP, so Kugelman.
Was wollen die pakistanischen Taliban erreichen?
Ihre Ziele sind einfach: Sie wollen den pakistanischen Staat in seiner aktuellen Form abschaffen und ihn durch ein striktes Islamistisches System ersetzen - einen Scharia-Staat. Die TTP wollen in Pakistan ein Regime aufbauen, wie es die afghanischen Taliban in den 1990ern in Afghanistan führten.
Wer ist aktuell ihr Anführer?
Nachdem die vorigen zwei Anführer durch Drohnenangriffe getötet wurden, steht nun Mullah Fazlullah an der Spitze der TTP. Er gilt aber als schwach, da er nicht vom Mehsud-Stamm kommt, der die TTP lange geführt hat. Deswegen hat es in letzter Zeit auch viele Teilungen und Abspaltungen innerhalb der TTP gegeben, sagt Michael Kugelman.
2009 wurde Fazlullah Anführer der regionalen Taliban-Gruppe in der Bergregion Swat. Es wird vermutet, dass er auch hinter den Schüssen auf die heutige Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai 2012 steckte.
Wie sind die TTP aufgebaut, wie ist ihre Struktur?
Die TTP sind eine sehr dezentrale Organisation, die aus etwa 50 Untergruppen besteht. Sie sind mit Gruppierungen in allen Stammesgebieten und auch an anderen Orten im ganzen Land vertreten. Theoretisch stehen alle diese Gruppen unter Fazlullahs Führung, aber die Realität sieht offenbar anders aus. "Eine Sache ist besonders interessant", sagt Michael Kugelman. "Alle TTP Gruppierungen haben dem obersten Anführer der afghanischen Taliban, Mullah Omar, Treue geschworen."
Wie finanzieren sich die pakistanischen Taliban?
Harte Fakten dazu gibt es nicht; vermutlich verdienen sie aber viel Geld mit kriminellen Aktionen wie Entführungen und Erpressungen. Wie für die afghanischen ist wahrscheinlich auch für die pakistanischen Taliban der Drogenhandel eine wichtige Einnahmequelle. Außerdem ist davon auszugehen, dass sie Geld von wohlhabenden Menschen aus der Region und aus den Golfstaaten bekommen.
Welche Gruppierungen unterstützen die TTP?
Unterstützung kommt unter anderem von Al-Kaida und dem IMU, einer usbekischen Gruppe, die dieses Jahr gemeinsam mit den TTP einen Anschlag auf den Flughafen in Karachi verübt haben. Außerdem arbeiten die Taliban auch mit anderen militanten, konfessionsgebundenen Gruppen in Pakistan zusammen. Auch zu den afghanischen Taliban gibt es Verbindungen.
In welchen Punkten unterscheiden sich die TTP von den Taliban in Afghanistan?
Die Taliban in Afghanistan haben sich dem Krieg gegen Ungläubige verschrieben, also nicht-Muslimen und Menschen, die den Koran nach Meinung der Taliban nicht streng genug auslegen. Die pakistanischen Taliban hingegen töten auch gläubige Muslime, wie bei dem Massaker in der Schule in Peschawar. Der Angriff, bei dem weit mehr als 130 Kinder starben, wurde von den afghanischen Taliban als unislamischer Amoklauf verurteilt.
Wo sind die Kämpfer tätig?
Lange waren die Stammesgebiete und die Waziristan Regionen das "Zuhause" der TTP. Aber in den vergangenen Jahren, seitdem es viele Militäroperationen gegen die pakistanischen Taliban gegeben hat, sind sie auch in andere Teile des Landes geflohen. In Karachi und Peshawar sind sie nun stark vertreten.
Wie stark sind die TTP und was hat Pakistan bisher gegen sie unternommen?
Auch nach Dronenangriffen, internen Querelen und Offensiven des pakistanischen Militärs sind die Taliban noch immer zu großen Anschlägen in der Lage. Das liegt an ihrer Widerstandskraft und der Tatsache, dass sie in Landesteilen vertreten sind, die nicht vom Militär angegriffen werden, sagt Kugelman. Außerdem können sie sich auf die Unterstützung starker Freunde wie El Kaida verlassen.
Pakistan geht zwar seit einigen Jahren militärisch gegen die Taliban vor, hat aber sonst nichts gegen die TTP unternommen. Experten sagen, dass das ein Problem ist. "Es wurde nur wenig unternommen, um eine Alternative zu den extremistischen, islamistischen Ideologien aufzuzeigen, von denen die TTP zehrt", so Kugelman. "Diese Ideologien sind auch in der pakistanischen Gesellschaft, im Fernsehen, unter religiösen Führungspersönlichkeiten und selbst bei einigen Sicherheitsoffiziellen verbreitet."
Auch Jochen Hippler, Afghanistan- und Pakistan-Experte von der Universität Duisburg-Essen sieht die aktuelle Vorgehensweise der pakistanischen Regierung als nicht wirkungsvoll an. "In Afghanistan und in Pakistan können die Taliban nur überwunden werden, wenn es in beiden Ländern funktionierende, legitime Staatsapparate geben würde", sagt er.
Kann man mit den Taliban verhandeln?
In der internationalen Politik wird seit Jahren mit den Kämpfern verhandelt. Unter anderem haben Afghanistan, die USA, Pakistan und der Iran Gespräche mit Vertretern der Taliban geführt. Das geht auf lokaler Ebene aber deutlich besser als auf nationaler Ebene, sagt Hippler: "Sobald man auf nationaler Ebene verhandeln will, ist es relativ schwierig zu wissen, ob Leute, die behaupten, die Taliban zu vertreten, das auch tatsächlich tun; ob sie ein Mandat haben, ob es Betrüger sind, oder ob es nur irgendeine kleine Talibanfraktion ist, die eigentlich keine besondere Bedeutung hat."
Mehrfach sind internationale Verhandlungspartner bereits auf Betrüger hereingefallen. Erschwert wird der Prozess auch dadurch, dass die Anführer der Taliban offiziell jegliche Gespräche ablehnen. Deswegen müssen Treffen heimlich oder sogar im Ausland stattfinden, so Hippler.