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Fallen die Impfstoff-Patente?

Andreas Rostek-Buetti
6. Mai 2021

Der US-Vorstoß hat Bewegung in eine existenzielle Debatte gebracht: Soll der Patentschutz für Corona-Impfstoffe ausgesetzt werden? Die Argumente von Gegnern und Befürwortern sind bekannt - aber wer setzt sich durch?

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USA Spritze und USDollar. Konzept für das Gesundheitswesen.
Bild: Jiri Hera//Zoonar/picture alliance

Es ist kaum 24 Stunden her, dass sich die Handelsbeauftragte der Regierung von US-Präsident Biden plötzlich mit demonstrativer Entschiedenheit für eine Aussetzung des Patentschutzes bei Corona-Impfstoffen eingesetzt hat. Die Kehrtwende der USA setzte unmittelbar die Aktien von Impfstoffherstellern unter Druck. Die Papiere von BioNTech verloren am Donnerstag in Frankfurt gut zwölf Prozent, die Titel von CureVac büßten mehr als zehn Prozent ein.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) begrüßte den Vorstoß der US-Regierung  als "historische Entscheidung". Auch die bisher sehr zögerliche EU zeigt sich nun offen für Gespräche über eine vorübergehende Aussetzung des Patentschutzes. Seit der Kehrtwende der USA wird das Für und Wider heftiger denn je diskutiert - mit den alten Argumenten, aber neuer Dringlichkeit.

Nützt oder behindert die Freigabe?

Indien und Südafrika hatten den Vorstoß bei der Welthandelsorganisation in Genf vorangetrieben, Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Hilfsorganisationen weltweit sind dafür, viele Vertreter der Pharmaindustrie wenden sich vehement dagegen.

Indien Corona-Situation | Warten auf Sauerstoff
Neue Dringlichkeit - Corona-Kranke in IndienBild: Tauseef Mustafa/AFP

Im Kern geht es um die Frage: Nützt eine Freigabe der Impfpatente wirklich zügig bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie - oder behindert sie womöglich Entwicklung und Produktion der für die Menschheit überlebenswichtigen Impfstoffe?

"Viele der großen Impfstoffhersteller sind in Entwicklungsländern ansässig. Alle Produktionskapazitäten, die es gibt, sollten genutzt werden", sagte Ellen 't Hoen unlängst der DW. Sie ist Direktorin von Medicines Law & Policy, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für einen besseren Zugang zu Medikamenten einsetzt. "Und das erfordert die Weitergabe von Know-how und Technologie durch diejenigen, die es in der Hand haben."

Die Befürworter einer Ausnahmeregelung wie Ellen 't Hoen, zu denen Dutzende der weniger entwickelten Länder und NGOS gehören, sagen, die Regeln der WTO für geistiges Eigentum stellten ein Hindernis für die dringende Ausweitung der Produktion von Impfstoffen in armen Ländern dar.

"Keine einzige Dosis mehr"

Die Aussetzung des Patentschutzes "würden das Angebot kurzfristig um keine einzige Dosis erhöhen", setzte Thomas Cueni bei DW dagegen. "Weil sie die Komplexität der Impfstoffherstellung übersehen und das Ausmaß ignorieren, in dem Impfstoffhersteller und Pharmaunternehmen und Entwicklungsländer bereits zusammenarbeiten, um die Impfkapazitäten zu erhöhen." Cueni ist Generaldirektor des Internationalen Dachverbands der Pharmafirmen IFPMA.

Dem pflichtete auch Han Steutel bei, der Chef des deutschen Verbandes forschender Arzneimittelhersteller: "Zwangslizenzen helfen nicht", sagte er am Donnerstag im ZDF-Fernsehen. Man wisse in Deutschland sehr genau, wie lange es dauere, bis neue Impfstoffe sicher hergestellt werden können. So habe BioNTech zwar schon im September ein bestehendes Werk in Marburg gekauft. "Und dann hat es noch fast acht Monate gedauert, bevor die jetzt produzieren können. Das Personal muss geschult werden, es müssen extra Bio-Reaktoren kommen und so weiter."

Deutschland Biontech startet Impfstoffproduktion in Marburg
Komplexe Produktion - Werk von Biontech in MarburgBild: BioNTech SE 2020/dpa/picture alliance

"Profit sollte nicht im Fokus stehen", sagt dagegen Elisabeth Massute, von Ärzte ohne Grenzen, ebenfalls im ZDF. Es sei ja nicht so, dass Produktionskapazitäten außerhalb von reicheren Ländern fehlten. "Es gibt sie. Es war in der Vergangenheit aber so, dass Hersteller selbst in Kanada versucht haben, Lizenzen zu bekommen von produzierenden Herstellern. Sie haben keine bekommen."

Der Verband der Pharamafirmen macht hingegen seit jeher geltend, dass die Firmen nur durch einen Patentschutz, der später Einnahmen garantiert, genügend Anreiz hätten, in Forschung zu investieren. Und gerade weil ihre Patente geschützt seien, hätten Impfstoffhersteller bereits mehr als 200 Technologietransfer-Abkommen abgeschlossen, um mit Partnern in ärmeren Ländern mehr Impfstoffe bereitstellen zu können.

Gefährlich ungerechte Verteilung

Das Problem seien vielmehr Handelsbarrieren sowie Mangel an Rohstoffen und Bestandteilen, die für die Herstellung der Impfstoffe nötig seien. Ähnlich hatte noch Ende April die EU-Kommission ihre ablehnende Haltung begründet: "Die Probleme des Zugangs zu Impfstoffen werden nicht durch den Verzicht auf Patente gelöst; sie hängen vielmehr mit dem Mangel an ausreichenden Produktionskapazitäten zusammen", so eine EU-Sprecherin.

Deutschland Impfpass mit Corona-Impfung
Ungleiche Verteilung - deutscher ImpfpassBild: Matthias Stolt/CHROMORANGE/picture alliance

Hilfsorganisationen bringen die Frage des Patentschutzes in Zusammenhang mit der ungleichen Verteilung von Impfstoffen in der Welt. Die deutsche Organisation "Brot für die Welt" wies darauf hin, dass in wohlhabenden Ländern inzwischen jeder vierte Mensch gegen das Corona-Virus geimpft sei - in armen Ländern nur jeder Fünfhundertste. "Dieses Missverhältnis macht deutlich, dass es dringend geboten ist, mehr Impfstoffe zu produzieren und die dafür nötigen geistigen Eigentumsrechte - unter definierten Bedingungen - auszusetzen",  erklärte die Hilfsorganisation. "COVID-19 wird nur besiegt, wenn überall geimpft wird."

Die US-Handelsbeauftrage Katherine Tai betonte übrigens am Mittwoch, die amerikanische Regierung glaube fest an den Schutz geistigen Eigentums. Aber sie werde sich dennoch bei der Welthandelsorganisation WTO für eine Ausnahmeregelung bei Corona-Impfstoffen einsetzen, um die Pandemie zu beenden. "Das ist eine weltweite Gesundheitskrise", so Tai, "und die außergewöhnlichen Umstände der COVID-19-Pandemie verlangen nach außergewöhnlichen Maßnahmen."