Corona-Impfstoff - made in Germany
3. April 2021Die Impfstoffproduktion beginnt unter anderem mit Salzen, Fetten und Zucker - doch wie diese Stoffe in sogenannten Bioreaktoren verarbeitet werden, hat nichts mit einer herkömmlichen Backstube zu tun: Im neuen BioNTech-Werk im hessischen Marburg vergehen etwa 50.000 Arbeitsschritte bis zum fertigen Impfstoff. In diesen Tagen verlassen die ersten Erzeugnisse das Werksgelände, zuerst zu einer Abfüllanlage im belgischen Puurs. Anschließend werden die fertigen Dosen verteilt und sollen nach ihrer Endkontrolle ab Ende April verimpft werden.
Mit 250 Millionen Impfdosen pro Quartal allein aus Marburg will BioNTech die weltweite Impfkampagne gegen das Coronavirus weiter beschleunigen. Das neue Werk ist wohl die größte, aber nicht die einzige Maßnahme, mit der von Deutschland aus die Impfstoffproduktion erhöht werden soll.
"Deutschland hat sich wirklich in wenigen Monaten zu einem der absolut maßgeblichen Länder für die COVID-19-Impfstoff-Produktion in der Welt gemausert", sagt Rolf Hömke, Sprecher des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (vfa). Die deutschen Werke seien jedoch auch darauf angewiesen, dass andere Arbeitsschritte an anderen europäischen Standorten erledigt werden.
Neue Produzenten, neue Abfüller
"Eine Reihe von Firmen werden in den nächsten Monaten mit dazukommen", sagt Hömke im DW-Gespräch. "Da werden die Früchte der Arbeit geerntet, die eigentlich in den letzten Monaten gemacht wurde."
So sollen etwa weitere Partner hinzukommen, die den BioNTech-Impfstoff abfüllen können - zusätzlich zur Firma Baxter im westfälischen Halle soll dieser Schritt bald auch bei Allergopharma in Reinbek bei Hamburg und bei Siegfried im niedersächsischen Hameln erfolgen. "Abfüllen klingt immer ganz trivial, aber so banal ist es nicht. Denn wenn man den Impfstoff auf die falsche Weise abfüllt, dann ist er unwirksam", erklärt Hömke.
Ein zweiter in Deutschland entwickelter Impfstoff soll bis Ende Juni zugelassen werden: Das Tübinger Unternehmen CureVac will mehr als 100 Millionen Dosen in Heidelberg herstellen. Darüber hinaus hat CureVac einige Partner ins Boot geholt, darunter den Pharmariesen Bayer: In Wuppertal soll noch in diesem Jahr die Produktion beginnen, nächstes Jahr will Bayer dort immerhin 160 Millionen Impfdosen produzieren.
Langwierige Vorbereitungen
Bei der Impfstoffproduktion und -abfüllung gelten neben den speziellen technischen Anforderungen auch extrem strenge Hygienevorschriften, die in Deutschland durchaus noch einmal strenger ausfallen können als in anderen Regionen der Welt. Einen Standort komplett neu einzurichten, sei nicht in unter einem Jahr zu schaffen, schätzt vfa-Sprecher Hömke.
Schließlich brauche man selbst wenn alles aufgebaut ist noch Zeit, damit die Mitarbeitenden die Abläufe an den Maschinen einstudieren können, bevor die wertvollen Vorprodukte eingesetzt werden: "Genau die richtige Temperatur, genau die richtige Konzentration, genau die richtige Art, die Dinge zu mischen."
Doch selbst wenn man über eine Fabrik voller Spezialtechnik und qualifiziertes Personal verfügt, fehlt für den Impfstoff noch etwas: die Zutaten - zum Beispiel sogenannte Lipide, also Fettpartikel, mit deren Hilfe die mRNA-Bausteine im Körper der Impflinge an Ort und Stelle gelangen.
"Die Firmen haben natürlich im letzten Jahr, als absehbar war, dass sie von einer kleinen Produktion für Forschungszwecke zu einer Großproduktion für eine Weltversorgung wechseln müssen, auch mit ihren Zulieferern gesprochen", sagt Rolf Hömke. So fährt der Essener Chemiekonzern Evonik an zwei deutschen Standorten die Produktion von Lipiden hoch, die ab der zweiten Jahreshälfte an BioNTech geliefert werden sollen.
Die nächsten Impfstoffe warten bereits
Ein Unternehmen, das im Zuge der Impfkampagne in Deutschland an Bekanntheit gewonnen hat, ist IDT Biologika in Dessau im Bundesland Sachsen-Anhalt. Nach dem Zusammenbruch der DDR hatte die Treuhand, also die für die Privatisierung der früheren Staatsbetriebe zuständige Anstalt, "das Unternehmen mit seinen damals 30 Mitarbeitern zunächst als 'nicht sanierungsfähig' eingestuft", sagte Marcel Graul vom städtischen Amt für Wirtschaftsförderung im März der DW. Heute sei IDT bei einigen Impfpräparaten Weltmarktführer.
Inzwischen ist IDT auch selbst in die Corona-Impfstoffproduktion involviert: Mitte März begannen die Vorbereitungen zur Produktion des bereits in der EU zugelassenen Impfstoffs von Johnson & Johnson. Mit ersten Auslieferungen wird ab dem 19. April gerechnet. Insgesamt wird dort zwölf Wochen lang produziert - so lange wurde die geplante Herstellung eines Dengue-Impfstoffs verschoben. Aktuell baut IDT eine Produktionslinie für den Wirkstoff von AstraZeneca auf, die voraussichtlich Ende 2022 den Betrieb aufnehmen soll. Darüber hinaus laufen Verhandlungen, bereits im gerade begonnenen Quartal erste Chargen AstraZeneca zu produzieren.
Weiterhin steht IDT laut einem Sprecher in Verhandlungen zur Produktion des russischen Impfstoffs Sputnik V - allerdings noch ohne Ergebnis.
Im bayerischen Illertissen baut R-Pharm aus Russland derzeit eine Produktionsstätte auf, an der AstraZeneca in Lizenz produziert werden soll. Nach einer Zulassung in der EU könnte auch Sputnik V in Illertissen produziert werden. Dass die Impfstoffe AstraZeneca, Sputnik V und Johnson & Johnson häufig in einem Atemzug genannt werden, liegt übrigens daran, dass es sich bei ihnen um Vektorimpfstoffe handelt - die anders produziert werden als die neuartigen mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna.
Reserve für die Zukunft
Auf absehbare Zeit werden alle Kapazitäten dringend benötigt, um die Corona-Pandemie zu bekämpfen: Am 31. März waren gerade einmal 4,31 Prozent der Weltbevölkerung mindestens einmal geimpft, zudem rechnen Fachleute damit, dass neue Mutationen weitere Folgeimpfungen notwendig machen dürften. Bis Mai will die deutsche Impf-Taskforce, die federführend beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt ist, ein Konzept zur Impfstoffproduktion ab 2022 erstellen. "Ziel ist, den Forschungs- und Produktionsstandort Deutschland für die Produktion von Impfstoffen mit neuartigen Technologien wie der mRNA-Technologie auszubauen und langfristig zu sichern", teilte das Ministerium auf DW-Anfrage mit. Solche Kapazitäten sollen auch für künftige Pandemien vorgehalten werden.
Rolf Hömke vom vfa weist darauf hin, dass es dafür eine Kostenteilung geben müsse zwischen den Herstellern, die in Fabriken und Fachpersonal investieren, und der öffentlichen Hand, "die möchte, dass die Anlagen ungenutzt für den Fall der Fälle weiter bereitgehalten werden".
Gleichzeitig könnten so nach der Pandemie jedoch auch mRNA-Impfstoffe gegen andere Krankheitserreger erprobt und hergestellt werden, gegen die es bislang noch keine Vakzine gibt.