Fall Gurlitt: NS-Raubkunstwerke sind restituiert
13. Januar 2021Hinter jedem Bild, jeder Skulptur stehe ein persönliches Schicksal, sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei der Übergabe der als Nazi-Raubkunst identifizierten Zeichnung des deutschen Malers Carl Spitzweg (1808-1885) aus der Sammlung Gurlitt. Auf Wunsch der rechtmäßigen Erben wurde das Kunstwerk dem Auktionshaus Christie's zur Versteigerung eingereicht, wie das Kunstmuseum Bern am Mittwoch (13.01.2021) mitteilte.
Die Zeichnung, so ergaben intensive Recherchen der Provenienzforscher, war im Jahr 1939 von den Nazis beschlagnahmt worden. Eigentümer war damals der jüdische Musikverleger Henri Hinrichsen, dessen Kunstsammlung der damaligen "Arisierung", wie die Nazi ihre Beschlagnahmungen nannten, zum Opfer fiel.
1940 wurde die Zeichnung von dem Kunsthändler Hildebrand Gurlitt (1895-1956), einem der Einkäufer für Hitlers geplantes Führermuseum in Linz, erworben - für einen Spottpreis. Gurlitt kam nach dem Krieg als Mitläufer des NS-Regimes davon und wurde 1948 Leiter des renommierten Kunstvereins Düsseldorf.
Restitution der NS-Raubkunstwerke abgeschlossen
Die Spitzweg-Zeichnung stammt aus dem Konvolut von rund 1500 Kunstwerken, die 2013 in der Münchner Wohnung von Hildebrand Gurlitts Sohn Cornelius beschlagnahmt wurden. In dessen Haus in der Schweiz wurden noch weitere, ebenso wertvolle Gemälde entdeckt.
Der "Fall Gurlitt", der zufällig bei einer Grenzkontrolle zwischen der Schweiz und Deutschland aufgeflogen war, war damals eine Sensation und brachte die internationale Kunstwelt in Aufruhr. Die deutsche Kulturpolitik, die sich Versäumnisse vorwerfen lassen musste, geriet in Zugzwang.
Forderungen nach rechtmäßiger Restitution an die Erben der meist jüdischen Eigentümer wurden laut - verstärkt aus dem Ausland. Die "Washingtoner Erklärung" sieht eine Rückgabe oder eine entsprechende Entschädigung von NS-Raubkunst bereits seit 1988 vor.
Nachprüfung durch "Taskforce Gurlitt"
Die Bundesregierung richtete übereilt eine "Taskforce Schwabinger Kunstfund" ein, die den sensationellen Fund untersuchen sollte. Das Ergebnis der kunsthistorischen Überprüfungen aller Bilder fiel allerdings 2016 ausgesprochen mager aus.
Als Cornelius Gurlitt 2014 starb, vermachte er seine Sammlung dem Kunstmuseum Bern. Inzwischen befindet sich die gesamte Kunstsammlung im Bestand des renommierten Hauses. Ein Erbvertrag machte eine intensive Provenienzforschung aller Kunstwerke ausdrücklich zur Bedingung der Schenkung. Diese fand jetzt mit der letzten Übergabe ihren Abschluss.
Insgesamt wurden von den Fachleuten 14 Kunstwerke als definitive "NS-Raubkunst" eingestuft. Es gibt aber weiterhin Grenzfälle, wo unter Umständen die Kategorie "fluchtbedingter Verkauf" noch zum Tragen kommen könnte.
Späte Anerkennung des NS-Unrechts
Der ursprüngliche Besitzer der wertvollen Zeichnung von Carl Spitzweg, Henri Hinrichsen, wurde von den Nazis deportiert und 1942 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.
Für Kulturstaatsministerin Monika Grütters ist diese aktuelle Restitution an die Erben auch ein politisches Zeichen: "Wir können dieses schwere Leid nicht wiedergutmachen", sagte sie gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa). "Aber durch die Aufarbeitung des NS-Kunstraubes versuchen wir, ein Stück weit zu historischer Gerechtigkeit beizutragen und unserer moralischen Verantwortung gerecht zu werden."
Bei mehr als 1000 Kunstwerken der beschlagnahmten Kunstsammlung Gurlitt waren Herkunft und Vorbesitzer bzw. die meist jüdischen Eigentümer nicht mehr zu ermitteln. Viele wurden von den Nazis deportiert und ermordet, andere flohen ins Ausland und verstarben dort. Trotz intensiver Recherchen der Provenienzforscher in Deutschland und der Schweiz ist nach wie vor unklar, woher viele dieser Arbeiten stammen.
Nur insgesamt 14 Gemälde und Zeichnungen, u.a. von Henri Matisse, Max Liebermann, Adolph von Menzel und jetzt der Spitzweg, konnten eindeutig zugeordnet und an die rechtmäßigen Erben restituiert werden.
hm/suc (mit dpa/epd)