Faktencheck: Video zeigt kein Kriegsverbrechen Israels
20. Dezember 2023Es sind kaum zu ertragende Bilder. Bilder von extremer Gewalt und Kaltblütigkeit. Die Videos sind frei zugänglich auf der Plattform X, früher bekannt als Twitter, und bislang weder gelöscht noch zensiert worden. Sie sollen Gräuel im aktuellen Konflikt zwischen Israel und der Hamas zeigen. Wir zeigen die Videos wegen der extremen Gewalt bewusst nur in Screenshots und archivierter Form.
Behauptung: Eine X-Nutzerin aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mit mehr als einer halben Million Followern postete ein Video (Triggerwarnung: extreme Gewalt), das die Hinrichtung von mindestens zwei Personen in einem Keller zeigt. Dazu schrieb sie auf Englisch über "feige Israelis", die "sadistische Barbaren" seien und anderen in den Rücken stechen. Sie wirft Israel eine ethnische Säuberung im aktuellen Konflikt mit Palästinensern vor. Das Video sei ein Beweis dafür. Ähnliche Behauptungen finden sich auch in persischer oder türkischer Sprache.
DW Faktencheck: Falsch.
Das Video stammt nicht aus dem Gaza-Streifen und ist auch nicht aktuell. Es sind auch keine israelischen Soldaten involviert. Das Video ist bereits über zehn Jahre alt und stammt aus Syrien. Das lässt sich über eine Bilderrückwärtssuche zum Beispiel mit Google oder Tineye herausfinden.
Die Rückwärtssuchen von einzelnen Szenen aus dem Video führen zu Videos aus dem Jahr 2013. Demnach zeigt das Video (Triggerwarnung: extreme Gewalt) keine Szenen aus Israel, sondern Gräueltaten aus dem Syrienkonflikt. Es soll sich dabei laut Medienberichten um eine Hinrichtung von Zivilisten durch die Shabiha-Miliz handeln, eine dem Assad-Regime treue Gruppe, die durch extreme Brutalität im Syrien-Krieg auffiel.
Aus dem Kontext gerissene Bilder und Videos, die bewusst oder unbewusst Falschinformationen transportieren, sind keine Neuheit, sondern verlässliche Begleiter aller größeren Konflikte. "Für Menschen, die keine Ortskenntnisse haben, können diese Bilder echt aussehen", sagt Pia Lamberty, Sozialpsychologin und Leiterin des CEMAS-Instituts, einem deutschen Think Tank, der zu Desinformation und Verschwörungsideologien berät. "Diese Bilder und Videos wirken, weil sie etwas in uns hervorrufen. Gerade in emotionalisierten Situationen prüfen wir Fakten nicht so sehr." Das erkläre, warum immer wieder Bilder aus anderen Konflikten recyclelt werden, um Stimmung zu machen und den Konfliktgegner zu diskreditieren.
Syrische Kriegsbilder werden zu angeblichen israelischen Verbrechen
So werden auch im laufenden Krieg zwischen Israel und der Hamas immer wieder Bilder und Videos geteilt, die angebliche Gräuel der Armee Israels zeigen sollen, tatsächlich aber aus dem Syrien-Krieg stammen. So zum Beispiel auch in diesem Fall: Ein auf verschiedenen Plattformen geteiltes Video soll Kriegsverbrechen der israelischen Streitkräfte im Gaza-Streifen zeigen. Doch das Video stammt gar nicht aus dem Gaza-Streifen und entstand ebenfalls schon 2013 in Syrien. Es zeigt, wie Milizen des syrischen Präsidenten Bashir al-Assad 2013 in Damaskus Zivilisten hinrichten, wie ein Faktencheck von AfrikaCheck nachweist.
Auch einige Videos von angeblichen Bombardements durch die israelische Armee sind nicht authentisch. Ein Nutzer auf X behauptet, dass Israels Armee hier das Al-Sadaqa Krankenhaus bombardiert. Tatsächlich zeigt das Video aber einen Angriff auf ein Krankenhaus in der syrischen Stadt Aleppo im Jahr 2016, wie dieser Mimikama-Faktencheck nachweist. Und auch das Leid von Kindern aus dem Syrien-Krieg wird missbraucht, um falsche Informationen im aktuellen Konflikt zwischen Israel und der militante-islamistischen Hamas zu streuen, die Deutschland, die EU und die USA als Terrororganisation einstufen. So behauptet hier ein Nutzer auf X, dass "ein kleiner Junge in Gaza um seine Schwestern trauert". Aber auch dieses Video stammt aus Syrien aus dem Jahr 2014, wie ein Faktencheck von India Today aufzeigt.
Fakten treten durch Emotionen in den Hintergrund
Die erwähnten, aus dem Kontext gerissenen Videos können also keine Kriegsverbrechen oder Angriffe Israels auf die Zivilbevölkerung in Gaza belegen. Das bedeutet aber nicht, dass Israels Angriffe im Gaza-Streifen kein Leid für die Bewohner des umkämpften Gebietes bringen. Die Vereinten Nationen berichten (unter Berufung auf das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium von Gaza) inzwischen von mehr als 19.000 Opfern auf palästinensischer Seite (Stand: 18. Dezember 2023).
Beide Seiten in diesem Konflikt arbeiten mit Desinformation. So kursieren immer wieder auch millionenfach geteilte falsche Behauptungen über die Palästinenser und die Ereignisse im Gazastreifen. In einem hunderttausendfach geteilten Post auf X wurde etwa behauptet, dass ein Video beweise, die Hamas hätte das Al‑Ahli-Krankenhaus in Gaza selbst mit Raketen beschossen - was mit diesem Video nicht zu belegen ist, wie unser Faktencheck zeigt. Auch KI-Fakes werden sowohl von pro-israelischen als auch von pro-palästinensischen Accounts verbreitet.
Falschinformationen zum Konflikt in Gaza fördern den Hass auf beiden Seiten und können so verheerende Folgen haben, wie UN-Generalsekretär António Guterres warnte: "Polarisierung und Entmenschlichung werden durch einen Tsunami von Desinformationen angeheizt. Wir müssen Antisemitismus, antimuslimischem Fanatismus und allen Formen des Hasses die Stirn bieten."
Für Desinformations-Expertin Pia Lamberty steckt hinter den wiederholten Verbreitungen älterer Inhalte aus einem anderen Kontext eine Strategie: "Eine Intention dahinter ist, dass durch die extreme Emotionalisierung die Fakten in den Hintergrund treten. Selbst wenn das Bild dann nicht stimmt, scheint es dennoch zu transportieren, dass es ja so häufig passiert, dass es ja doch irgendwie stimmt. Fakten können in solchen Situationen fast schon amoralisch wirken, weil die Emotionen dominieren."
Mehr Faktenchecks und Informationen zur Verifizierung von Bildern und Videos hier.