Mehr Extremwetter durch Klimawandel?
25. August 2022Sengende Hitzewellen und monatelange Dürre: Während auf der Nordhalbkugel Ernten verdorren und mächtige Flüsse austrocknen, sind in Pakistan mehr als 1000 Menschen bei katastrophalen Überschwemmungen ums Leben gekommen und Millionen Familien vertrieben worden.
Die pakistanische Ministerin für Klimawandel, Sherry Rehman, sagte der DW, dass ein Großteil des Überschwemmungsgebiets, das sie vom Hubschrauber aus überblickte, wie ein "kleiner Ozean" aussah. "Das ist eine Klimakatastrophe, da bin ich mir ganz sicher", sagte die Ministerin. Nach den steigenden Temperaturen zu Beginn des Jahres und den Waldbränden hätte es ununterbrochen geregnet.
Auch im US-Bundesstaat Texas wurde kürzlich nach schweren Unwettern Katastrophenalarm ausgelöst.
Dass die Erwärmung des Planeten durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe dazu führt, dass extreme Wetterereignisse häufiger und intensiver auftreten, ist bekannt. Wissenschaftler warnen seit Jahren vor den Folgen.
Aber wie groß ist der Anteil des Klimawandels an tödlichen Überschwemmungen wie in Pakistan oder an den Hitzewellen, die Europa in diesem Sommer ausgetrocknet haben?
"Extremwetter hat es immer gegeben und wird es immer geben", sagt die Klimaforscherin Sjoukje Philip vom Königlich-Niederländischen Meteorologischen Institut (KNMI), "aber der Klimawandel kann einen Einfluss auf die Häufigkeit und die Intensität haben."
Aber ist der Einfluss so groß, wie Medien, Politiker und Aktivisten gerne glauben machen? "Häufig spielt die globale Klimaerwärmung bei extremen Wetterereignissen tatsächlich eine Rolle, aber ihr Einfluss wird teilweise pauschal angenommen oder überbetont", sagt die Klimatologin Friederike Otto vom Imperial College in London.
Otto und Philip gehören der internationalen Forschungsgruppe World Weather Attribution (WWA) an. Das Netzwerk erforscht, in welchem Maße sich die Erwärmung der Erdatmosphäre auf einzelne Wetterextreme auswirkt.
Dafür nutzen sie meteorologische Modelle, wie sie auch zur Wettervorhersage eingesetzt werden. Diese Modelle basieren auf den physikalischen Grundgleichungen, die Wetter und Klima bestimmen. Mit ihnen, erklärt Otto, könne man die Atmosphäre simulieren - sowohl mit all den von Menschen emittierten Treibhausgasen als auch ohne sie. Das heißt: in dem Zustand, in dem sie sich nach heutiger Erkenntnis vor der Industrialisierung befand. Durch den Vergleich beider Zustände berechnen die Wissenschaftlerinnen, wie sich die Veränderung der Atmosphäre auf Häufigkeit und Intensität bestimmter Wetterereignisse auswirkt.
Diese "Attributions- oder Zuordnungsforschung" sucht also Antworten auf die Frage, inwiefern sich einzelne Wetterkatastrophen der Erderwärmung zuordnen lassen. Das DW-Faktencheck-Team erklärt, was die Forschenden auf diese Weise über den Zusammenhang von Wetter und Klimawandel sagen können.
Löst der Klimawandel Starkregen, Hitzewellen und Co aus?
"Wetterkatastrophen sind immer die Folge vieler unterschiedlicher Faktoren", sagt Otto. Neben den natürlichen Gegebenheiten zählten auch menschengemachte Faktoren dazu. Bei Überschwemmungen durch starke Regenfälle etwa seien dies unter anderem großflächige Entwaldung und Flächenversiegelung durch Bebauung - aber eben auch die globale Erwärmung.
Insofern könne die Erderwärmung nicht alleiniger Auslöser einer Wetterlage sein. Wie stark der Zusammenhang ist, hänge von der Art des Wetterphänomens ab und ist bei jedem einzelnen Wetterereignis anders gewichtet, erklärt Otto: "Gerade für das Auftreten von Überschwemmungen oder auch Dürren spielt die globale Erwärmung (verglichen mit anderen Faktoren, Anm. d. R.) häufig sogar eher eine kleinere Rolle."
Der Klimawandel allein kann also keinen Starkregen auslösen, wohl aber die Voraussetzungen dafür begünstigen und die Niederschlagsmenge erhöhen: "Eine wärmere Atmosphäre kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, was dann zu stärkeren Regenfällen führen kann", sagt Philip, "aber es hängt von vielen Faktoren ab, wo und wann der Niederschlag fällt."
Bei Temperaturextremen sei der Effekt der Erderwärmung viel direkter, erklärt Philip weiter. Die Ausschläge seien zwar nicht unbedingt extremer, aber in einer wärmeren Atmosphäre sind Hitzeperioden heißer - Kältephasen dagegen milder.
Deshalb seien die Ernteausfälle in Nordindien und Pakistan in diesem Jahr in großen Teilen unmittelbar dem Klimawandel zuzuschreiben: "Klimawandel ist hier wirklich ein Game-Changer", betont Otto.
Wirkt sich der Klimawandel überall gleich stark aus?
"Der Einfluss des Klimawandels ist von Region zu Region unterschiedlich", sagt Philip. "Selbst ähnliche Arten von Extremwetter können in unterschiedlichen Regionen sehr unterschiedlich beeinflusst werden."
Das macht der Vergleich zwischen der Ahrtal Flut-Katastrophe im Westen Deutschlands und den Überschwemmungen in der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal im April 2022 deutlich. Letztere kosteten mindestens 435 Menschenleben und machten Tausende obdachlos. Bei den Überschwemmungen im Ahrtal waren im Juli 2021 nach heftigen Regenfällen in Deutschland und Belgien mehr als 220 Menschen ums Leben gekommen.
Die Ahrtal-Flut wäre den WWA-Untersuchungen nach um das Jahr 1900 ein "500-Jahres-Ereignis" gewesen. Das heißt: In einem Gebiet entsprechender Größe zwischen Alpen und Nordsee musste man bei damaligen Durchschnittstemperaturen im Schnitt etwa alle 500 Jahre mit solchen Regenfällen rechnen.
Durch den Klimawandel liege diese Wahrscheinlichkeit 1,2- bis 9-mal höher: Im heutigen Klima muss man also alle 56 bis 400 Jahre mit einer solchen Flut rechnen. Gleichzeitig dürfte diese um 3 bis 19 Prozent stärker ausgefallen sein als noch vor 120 Jahren.
In KwaZulu-Natal hat sich die Wahrscheinlichkeit von Regenfällen wie in diesem Frühjahr laut WWA-Berechnungen seit 1900 etwa verdoppelt. Die Intensität war laut WWA um etwa 4 bis 8 Prozent stärker als sie ohne Klimawandel gewesen wäre.
Zum einen sind also die Unsicherheiten über den Einfluss des Klimawandels unterschiedlich groß. Das, erklären die Klimaforscherinnen, liege daran, dass das in Südafrika überflutete Gebiet um ein Vielfaches größer ist als die betroffenen Täler in Belgien und Deutschland. Je kleiner ein Gebiet, desto schwerer ist es exakte Aussagen zu treffen. Zum anderen wird deutlich, dass der Einfluss der Erderwärmung auf Starkregen in Südafrika aller Wahrscheinlichkeit nach kleiner ist als in Mitteleuropa.
Kann man künftige Wetterkatastrophen vorhersagen?
Seriöse Wetterprognosen sind nach wie vor nur einige Tage im Voraus möglich. Die Ungewissheit über die tatsächliche Wetterlage wächst exponentiell, je weiter man in Zukunft blickt. Für taggenaue Vorhersagen über einen größeren Zeitraum sei das Wetter im wahrsten Sinne des Wortes zu chaotisch, erklärt Otto.
"Aber was wir sehr wohl berechnen können, ist die Häufigkeit bestimmter Wetterlagen und Temperatur- oder Niederschlagsschwellen", sagt Otto. Und nach WWA-Erkenntnissen würden mit steigender Temperatur an vielen Orte der Welt Wetterlagen wahrscheinlicher, die Überschwemmungen, Dürren und andere bedrohliche Wettereignisse auslösen können.