EZB bringt sich gegen Corona in Stellung
19. März 2020Die Europäische Zentralbank hat über Nacht das große Geschoss, die finanzielle "Bazooka" abgefeuert. 750 Milliarden Euro will EZB-Präsidentin Christine Lagarde über Anleihekäufe klammen Staaten und Unternehmen zukommen lassen. Für dieses Jahr steigt das Ankauf-Volumen der Zentralbank mit den alten Zusagen auf zusammen 1,1 Billionen Euro an. Das ist ein riesiges Paket, das knapp zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts aller Euro-Staaten ausmacht. Das zeigt die Dimension der Wirtschaftskrise, die durch die Eindämmung der Corona-Pandemie, ausgelöst wird. Noch vor einer Woche war die EZB-Präsidentin eher zögerlich, jetzt sieht sie sich zum Handeln gezwungen.
Positive Signale
"Das ist eine positive Nachricht, dass die EZB jetzt zurück ist im Spiel, um die verschiedenen Märkte zu unterstützen", sagte Guntram Wolff der DW in Brüssel. Er leitet dort die wirtschaftspolitische Denkfabrik Bruegel. Wolff sagte weiter: "Wir haben in den letzten sieben Tagen dramatische Verwerfungen gesehen in den Anleihemärkten, besonders die italienischen Zinsen sind wahnsinnig nach oben gegangen." Das Notfall-Programm der EZB erlaube es den Regierungen, sich darauf zu konzentrieren, die Gesundheitskrise zu bekämpfen und die Wirtschaft zu stabilisieren.
Mit Anleihekäufen, also dem Ankauf von staatlichen Schuldentiteln, soll wohl vor allem Italien gestützt werden, das von der Corona-Seuche am schwersten getroffen wird und das ohnehin schon hoch verschuldet ist. Am Donnerstag reagierten die Märkte bereits mit fallenden Zinsen für italienische Anleihen. Ein erster Hoffnungsschimmer? Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier lobte im Deutschlandfunk die "weitreichende" Entscheidung der Europäischen Zentralbank. "Diese Maßnahme ist getroffen worden und ich hoffe, dass sie heute auch dazu führt, dass an den Börsen, an den Märkten klar wird: Europa wird seine Interessen wahren und Europa ist entschlossen, diese Krise zu überwinden." Aber so recht wollen die Anleger nicht glauben, dass dies alles reichen wird: Der Deutsche Aktienidex (Dax) jedenfalls drehte nach anfänglichen Kursgewinnen im weiteren Handelsverlauf ins Minus. So schlimm wie seit 1945 nicht mehr
Nach Auffassung von Wirtschaftsforscher Guntram Wolff in Brüssel erleben wir "in diesem Jahr die tiefste und größte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg." Dennoch sei sie mit der Euro-Staatschuldenkrise der Jahre 2010 bis 2015 nicht wirklich zu vergleichen. Sie sei völlig anderer Natur, so Wolff im Gespräch mit der DW. "Es ist größer als die Eurozonen-Krise. Die Hoffnung ist natürlich, dass man mit vernünftigen Maßnahmen die Unternehmen einigermaßen am Leben erhält, so dass sie, wenn die Maßnahmen zur Virus-Bekämpfung beendet werden können, die wirtschaftliche Aktivität sofort wieder nach oben springt. Ich hoffe, dass es eine wesentlich kürzere Rezession sein wird als damals die Krise in der Eurozone und dass sie so abgefedert wird, dass es nicht zu den langen sozialen Verwerfungen kommt. Also: kurz, schmerzhaft und abgefedert."
Unternehmen am Leben halten
Zum "Abfedern" der Krise hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer außergewöhnlichen Fernsehansprache am Mittwochabend bekannt. Darunter ist gemeint, möglichst viele Unternehmen über Wasser zu halten, auch wenn sie jetzt so gut wie keine Einnahmen mehr erzielen und ihre Mitarbeiter bald nicht mehr bezahlen können. Nach Auffassung von Guntram Wolff, dem Chef der Bruegel-Denkfabrik, die die EU-Finanzminister berät, müssen die EU-Staaten ihren Unternehmen jetzt mit Steuerstundungen, Krediten und auch echten Transferleistungen helfen. "Was ich gerne verhindern würde, ist dass diese Unternehmen jetzt massenweise in den Bankrott gehen, weil damit zerstört man die Produktionsstrukturen. Und wenn es dann wieder aufwärts gehen soll, dann sind diese Strukturen nicht mehr da", sagte Wolff. Man müsse versuchen, die nächsten drei, sechs oder zwölf Monate zu überbrücken. "Natürlich wird es Engpässe und Kürzungen geben, aber nicht massenweise in den Konkurs treiben!"
Staatsschulden werden steigen - und zwar kräftig
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier will für Deutschland diesen Kurs vorantreiben und Selbstständigen und kleinen Unternehmen helfen. "Entscheidend ist, dass wir schnell und unbürokratisch helfen. Dafür können auch Zuschüsse in Betracht kommen. Ob man das einen Notfall-Fonds nennt, oder ob man es anders organisiert, das werden wir gemeinsam in der Bundesregierung in den nächsten Stunden diskutieren und entscheiden", versprach Altmaier im Deutschlandfunk.
Europäische Staaten, die solche Programme nicht aus eigener Kraft oder mit neuen Schulden finanzieren können, könnten gezwungen sein, den Euro-Rettungsschirm ESM zu aktivieren. Der Schirm, der aus Kreditzusagen der Euro-Staaten besteht, war geschaffen worden, um Griechenland und andere in der Staatsschuldenkrise vor der Pleite zu retten. Wirtschaftsforscher Guntram Wolff plädiert dafür, Schuldengrenzen vorübergehend in der aktuellen Notlage nicht zu beachten. Die Staatsverschuldung könne, wenn die Corona-Krise ein Jahr andauere, auf bis zu zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts anwachsen, was angesichts der momentan niedrigen Zinsen aber nicht so dramatisch sei.
Die Europäische Zentralbank wird sich die 750 Milliarden Euro, die über Nacht ankündigt wurden, selbst "drucken" und ihre Bilanzsumme entsprechend vergrößern. Dieses Geld will sie sich am Ende der Krise irgendwann wieder an den Märkten zurückholen. Präsidentin Lagarde versprach aber auch, dass sie die Bazooka noch vergrößern will, wenn die Finanzmärkte es fordern. "Es gibt kein Limit", so Lagarde kurz und knapp auf Twitter.