EZB beschließt umfassendes Maßnahmenpaket
12. März 2020Die Coronavirus-Epidemie wird das Wachstum im Euroraum nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) spürbar verringern. Das Virus sei ein großes Abwärtsrisiko für die Konjunktur - verbunden mit großen Unsicherheiten, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag in Frankfurt. Für dieses Jahr erwartet die Notenbank nun einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) im Währungsraum um 0,8 Prozent.
Daher steckt die EZBt bis zum Jahresende 120 Milliarden Euro zusätzlich in Anleihenkäufe. Zudem sollen besonders günstige Kredite Banken dazu bewegen, mehr Kredite zu vergeben und so besonders betroffene Branchen und Unternehmen unterstützen. Das soll vor allem kleinen und mittelgroßen Firmen helfen.
Die Anleihenkäufe waren in den vergangenen Jahren die stärkste Waffe der Währungshüter im Kampf gegen eine schwache Konjunktur und eine aus ihrer Sicht zu niedrige Inflation.
Ihren Schlüsselzins zur Versorgung der Institute mit Geld beließ die EZB dagegen bei 0,0 Prozent. Bereits seit März 2016 liegt er auf diesem Rekordtief. Auch den Einlagensatz hielten sie auf dem bisherigen Niveau von minus 0,5 Prozent. Banken müssen damit weiterhin Strafzinsen zahlen, wenn sie über Nacht Geld bei der Notenbank parken. Allerdings gibt es inzwischen für die Institute Freibeträge.
Was Analysten zur EZB-Entscheidung sagen
Stefan Schneider, den Deutschland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, sagte in einer ersten Einschätzung: "Die Maßnahmen sollten Wirkung zeigen - besonders die langfristige Refinanzierungsgeschäfte zu extrem günstigen Bedingungen. Auch die zusätzlichen 120 Milliarden Euro an Anleihekäufen sind ganz erheblich." Zusätzlich würden die Banken regulatorisch etwas von der Leine gelassen. "Das alles zusammen sollte etwas helfen. Mehr kann die EZB derzeit realistischerweise wohl auch nicht leisten."
Uwe Burkert, der Chefökonom der Landesbank Baden-Württemberg, sieht das Paket "kleiner als gedacht". Insofern reagierten die Märkte enttäuscht. "Aber wenn die EZB in dieser Situation die Leitzinsen nicht senkt, dann haben die Leitzinsen wirklich ihren Boden erreicht." Thomas Gitzel von der VP-Bank ergänzt: "EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat sich ihre ersten Monate im Amt sicherlich anders vorgestellt. Das Coronavirus stellt die Französin vor ihre erste Feuertaufe." Das Arsenal der EZB sei aber nicht mehr allzu voll. So sehr sich die Notenbank derzeit bemühten ihr Scherflein zur Krisenbewältigung beizusteuern, noch niedrigere Zinsen und noch mehr Staatsanleihekäufe würden nur bedingt ökonomischen Nutzen haben. "Es müssen jetzt die richtigen Instrumente benutzt werden. Lagarde hat dies erkannt."
Keine Chance auf steigende Zinsen
Mit steigenden Zinsen sollten Sparer und Banken in naher Zukunft nicht rechnen, denn auch die seit November amtierende EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte wiederholt bekräftigt, sie halte eine sehr lockere Geldpolitik auf absehbare Zeit für nötig. Nun ist die Coronavirus-Pandemie als weiteres Risiko für die Wirtschaft hinzugekommen - neben Handelskonflikten und Brexit.
China, wo das Virus seinen Ausgang nahm, ist zum Beispiel für deutsche Firmen einer der wichtigsten Absatzmärkte und für viele Unternehmen zudem ein bedeutender Produktionsstandort. Lagarde hatte Anfang vergangener Woche - ähnlich wie die Chefs anderer großer Notenbanken weltweit - betont: "Wir sind bereit, bei Bedarf geeignete und gezielte Maßnahmen zu ergreifen, die den Risiken angemessen sind."
Wegen der Virus-Pandemie hatten bereits andere große Zentralbanken ihre Geldpolitik gelockert. In den USA senkte die Federal Reserve Bank (Fed) ihren Leitzins deutlich um einen halben Prozentpunkt. Die Bank von England kappte ihre Leitzinsen ebenfalls in diesem Umfang. Von den Währungshütern in Japan wird für kommende Woche ebenfalls eine Lockerung der Geldpolitik erwartet.
Inflationsziel zwei Prozent
Seit Jahren versucht die EZB, mit einer Flut billigen Geldes die Konjunktur im Euroraum anzukurbeln und die Inflation in Richtung der Zielmarke der Notenbank zu treiben. Hauptziel der Währungshüter sind stabile Preise. Die Notenbank strebt für den Währungsraum mit seinen 19 Ländern mittelfristig eine Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent an - weit genug entfernt von der Nullmarke.
Ist die Inflation zu hoch, verlieren Verbraucher an Kaufkraft und die Währung hat weniger Rückhalt. Stagnieren Preise andererseits oder fallen auf breiter Front, kann das Verbraucher und Unternehmen verleiten, Investitionen aufzuschieben, denn es könnte ja bald noch günstiger werden. Dieses Abwarten kann die Konjunktur ausbremsen.
Derzeit liegt die Teuerungsrate im Euroraum nach wie vor deutlich unter der EZB-Zielmarke. Nach jüngsten Eurostat-Zahlen schwächte sich der Preisauftrieb im Februar wieder ab. Die Verbraucherpreise lagen um 1,2 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Im Januar 2020 betrug die Inflationsrate 1,4 Prozent.
hb/bea (rtr,dpa)