EZB erhöht den Leitzins erneut deutlich
27. Oktober 2022Die europäischen Währungshüter um Notenbank-Chefin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag, den Leitzins um 0,75 Punkte auf nunmehr zwei Prozent anzuheben. Der an den Finanzmärkten maßgebliche Einlagensatz wurde im selben Umfang auf 1,50 Prozent erhöht.
Dies ist nach September die zweite XXL-Zinserhöhung in Folge und insgesamt bereits der dritte Straffungsschritt. Die Währungshüter signalisierten zugleich ihre Bereitschaft zu weiteren Zinserhöhungen: DerEZB-Rat "geht davon aus, dass er die Zinsen weiter anheben wird", hieß es.
Im Vorfeld der Zinssitzung hatten sich bereits viele Währungshüter dafür ausgesprochen, erneut eine ungewöhnlich starke Zinserhöhung von 0,75 Prozentpunkten zu beschließen. Auch Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte einen robusten Zinsschritt gefordert.
Bei der Inflation über Ziel hinausgeschossen
Mit ihrem abermaligen großen Zinsschritt reagieren die Währungshüterauf den anhaltenden Preisschub. Angetrieben von den steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen infolge des Ukraine-Kriegs ist die Inflationsrate im September auf 9,9 Prozent geklettert - das höchste Niveau seit Gründung der Währungsunion.
Die Teuerung hat dabei immer weitere Bereiche der Wirtschaft erfasst. Auch ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel zog die Teuerungsrate zuletzt kräftig an. Die Inflation liegt inzwischen fast fünfmal so hoch wie das Inflationsziel der Notenbank von zwei Prozent, das sie als ideal für die Wirtschaft erachtet. "Die Inflation ist nach wie vor deutlich zu hoch und wird für längere Zeit über dem Zielwert bleiben", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde.
Die Währungshüter wollen unbedingt vermeiden, dass sich die hohe Inflation in den Köpfen der Menschen festsetzt. Das Kalkül: Wenn die Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen, wird es für die EZB noch schwieriger, die Teuerung wieder einzudämmen und in Richtung ihrer Zielmarke zu bewegen. Lagarde betonte, der EZB-Rat werde den künftigen Leitzinspfad an der Entwicklung der Inflations- und Wirtschaftsaussichten ausrichten. Es sei mehr "in der Pipeline". Womöglich müsse man auf mehreren Sitzungen an der Zinsschraube drehen. Doch in welchem Tempo diese weitere Straffung vollzogen werde, sei noch offen.
Düstere Zukunftsaussichten
Die wirtschaftliche Aktivität habe sich im dritten Quartal wahrscheinlich deutlich verlangsamt, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss in Frankfurt. "Und wir erwarten eine weitere Abschwächung im weiteren Jahresverlauf und zu Beginn des nächsten Jahres."
Aus den jüngste Konjunkturdaten geht hervor, dass die Euro-Zone auch wegen der Schwäche ihrer größten Volkswirtschaft Deutschland auf eine Rezession zusteuert. So fiel der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft im Oktober und liegt nun deutlich unter der Wachstumsschwelle von 50 Zählern.
"Ein richtiger Schritt"
Die ersten Reaktionen aus der Wirtschaft fielen positiv aus. "Da das primäre Mandat der EZB Preisstabilität ist, war dies heute ein richtiger Schritt, dem vermutlich ein weiterer in diesem Jahr folgen wird", sagte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen.
Aus Sicht von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sollte die EZB die Zinsen in den kommenden Monaten weiter entschieden anheben und sich nicht von der anbahnenden Rezession irritieren lassen. "Der Euroraum braucht einen EZB-Einlagensatz in der Größenordnung von vier Prozent", so Krämer. Andernfalls würden zuletzt massiv gestiegenen Inflationserwartungen der Bürger weiter zulegen, und die hohe Inflation setze sich dauerhaft fest.
dk/hb (dpa, rtr)