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Tickende Zeitbomben in Küstennähe

Rüdiger Schacht21. Januar 2014

Ein Spaziergänger sammelte am Strand einen bernsteinähnlichen Brocken. Danach landete er mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus. In Wahrheit war es ein hochentzündlicher Stoff - und das Malheur kein Einzelfall.

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Taucher mit Bombe Mine Sprengkörper Bodensee (Foto: Picture Alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Schon oft haben Strandwanderer, beispielsweise auf der Ostseeinsel Usedom, angeschwemmte weiße Klümpchen eingesammelt, die sie für Bernstein hielten. Sie stecken den Fund in die Hosentasche, wo er sich in Kontakt mit Sauerstoff dann selbst entzündet - denn tatsächlich handelte es sich bei dem Klumpen um Phosphor. Über 100 Urlauber erlitten so in den letzten 40 Jahren schwere Verbrennungen.

Der hochgiftige und brandgefährliche Kampfstoff stammt aus Brandbomben-Blindgängern, die auf die ehemalige Raketenversuchsanstalt in Peenemünde geworfen wurden und ins Meer fielen. Seither verrotten die Bomben vor der Küste und entlassen ihren tödlichen Inhalt ins Meer. Strömungen und Stürme transportieren den Kampfstoff an den Strand. Heute weisen Warnschilder an den Strandzugängen auf die Gefahr hin.

Meist sind es Unfälle, die das Thema Munition im Meer in die Medien bringen. An Deutschlands Küsten gibt es rund 60 bis 70 gemeldete Munitionsfunde pro Jahr. "Davon zwei bis vier mit Personenschaden", sagt Claus Böttcher vom Umweltministerium Schleswig-Holstein in Kiel. "Tendenz steigend!" Böttcher ist Mitglied in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Munitionsaltlasten im Meer", die Ende 2011 den bisher umfangreichstenBericht zur Munitionsverseuchung vor deutschen Küstenvorstellte.

Das Meer wurde zur Müllkippe von Giftgas

Munitionsfacharbeiter Uwe Wilberg mit Fliegerbombe auf der Ostseeinsel Usedom. (Foto: Stefan Sauer)
Eine geborgene Fliegerbombe auf UsedomBild: picture-alliance/dpa

Entweder, damit sie den Siegermächten nicht in die Händen fielen oder auf Anordnung der Besatzer wurden rund 2 Millionen Tonnen Munition aller Art in der Nord- und Ostsee versenkt.

Neben Spreng- und Brandmunition wurden auch große Mengen Giftgas im Meer verklappt. Im Gegensatz zur konventionellen Munition sind diese Versenkungsgebiete auch relativ genau bekannt.

Nach den Erkenntnissen der Kieler Experten sind es die chemischen Kampfstoffe Senfgas, Tabun und Phosgen aus beiden Weltkriegen, davon wurden rund 220.000 Tonnen in der Nordsee und 42.000 bis 65.000 Tonnen in der Ostsee versenkt.

Freisetzung im Meer auch nach Jahrzehnten

Nach 70 bis 100 Jahren im Meerwasser ist der Zustand der Behälter der Kampfmittel am Meeresboden sehr unterschiedlich. "Viele Metallbehälter sind auch heute noch intakt - andere sind vollständig korrodiert, und es wurden leere Hüllen am Meeresboden gefunden", erläutert Jens Sternheim vom Kieler Umweltministerium und ergänzt: "Generalisierende Aussagen zum Zustand der Munition sind jedoch unmöglich, da die Korrosionsraten der Munitionskörper und die mögliche Freisetzung von Wirkmitteln auch von den spezifischen Bedingungen im Meer abhängen."

Ein schlagartiges und gleichzeitiges Aufbrechen mehrerer Kampfmittelhüllen mit einer massenhaften Freisetzung der enthaltenen Wirkmittel halten die Kieler Experten jedoch für unwahrscheinlich. Stattdessen würden die giftigen Bestandteile der Kampfstoffe nach und nach freigesetzt.

Einmal im Meerwasser angekommen, reagieren einige Substanzen aus den Kampfstoffen schnell mit Wasser und werden darin gelöst. Andere Verbindungen bleiben hingegen lange stabil, oder werden nur sehr langsam abgebaut. Sie könnten sich in der Nahrungskette anreichern - an dessen Ende dann der Mensch steht. Nach Angaben des Munitionsexperten Tobias Knobloch vom Bundesamt für Seeschifffahrt, konnten bei wiederholt durchgeführten Untersuchungen in der Nord- und Ostsee bislang jedoch noch keine Anreicherung in der Nahrungskette festgestellt werden.

Minensprengung in der Ostsee (Foto: Bundesmarine)
Einige Bomben aus den Weltkriegen müssen kontrolliert gesprengt werdenBild: Bundesmarine

Im Zuge des Ausbaus von Offshore-Windparks wird die Munition am Meeresgrund zusehends ein Problem. So müssen Areale, in denen Seekabel verlegt und Windkraftanlagen gebaut werden sollen, erkundet und vorhandene Munition beseitigt werden, was die Arbeiten enorm verzögert und verteuert.

"Aufgrund des Zustands der Munition und der vielfach widrigen Verhältnisse unter Wasser bleibt den Experten vielfach nichts anderes übrig, als die Munition vor Ort zu sprengen", erklärt Jürgen Kroll vom Kieler Landeskriminalamt, der zuständig für die akute Gefahrenabwehr auf den Schifffahrtswegen und den Stränden ist.

Rüstungsaltlasten rücken in den internationalen Fokus

Um die Munition im Meer umweltfreundlich zu entsorgen, gibt es aber auch bereits Pläne zum Bau eines Unterwasserräumfahrzeuges, dass am Fraunhofer Institut für Chemische Technologie entwickelt wurde. "Leider fehlt derzeit aber noch der politische Wille und die Freigabe der beantragten Fördermittel" für die Umsetzung, bedauert Sternheim.

Rüstungsaltlasten im Meer gibt es weltweit. "So gibt es auch etwa vor Puerto Rico, Japan, Italien und Hawaii ein bekanntes Munitionsproblem", sagt Sternheim. Inzwischen steht das Thema der Munitionsfunde in der Ostsee auf der internationalen Agenda.

Die Kommission für den Schutz der Meeresumwelt im Ostseeraum (HELCOM), zu der alle neun Anrainer-Staaten gehören, richtete eine Expertengruppe ein. Sie trägt alle Informationen zu den Rüstungsaltlasten in der Ostsee zusammen, beobachtet die Risiken für Mensch und Umwelt und gibt mitBerichtenEmpfehlungen für den weiteren Umgang.