Ex-Nissan-Chef Ghosn bricht DW-Interview ab
23. Juni 2021Carlos Ghosn war einst einer der mächtigsten Männer der globalen Autoindustrie. Die Geschichte seiner Verhaftung und seiner spektakulären Flucht aus Japan im Dezember 2019 machte weltweit Schlagzeilen.
In der DW-Interviewsendung Conflict Zone hat der ehemalige Manager nun das Gespräch darüber abrupt abgebrochen. Ghosn sagte, DW-Moderator Tim Sebastian spreche in "böser Absicht", nachdem dieser darauf hingewiesen hatte, dass Ghosn einige Wochen nach seiner Verhaftung im November 2018 in Japan mit der Presse habe sprechen dürfen.
Frei, zu reden?
Dies, so Sebastian, habe Ghosn die Möglichkeit gegeben, seine Unschuld zu beteuern und zu behaupten, er sei das Opfer eines ausgeklügelten Plans gewesen, der das Ziel gehabt habe, seinen Ruf zu zerstören. "Wenn Sie der Meinung sind, dass man mir die Chance gegeben hat, mit der Presse zu sprechen, haben Sie böse Absichten", entgegnete Ghosn aus Beirut, wo er heute lebt, nachdem er im Dezember 2019 in einer großen Kiste aus Japan geschmuggelt worden war.
Ghosn hatte zuvor eine Automobilallianz geleitet, zu der Nissan, Renault und Mitsubishi gehörten. 2018 war Ghosn in Tokio festgenommen und unter dem Vorwurf finanziellen Fehlverhaltens angeklagt worden. "Mir wurde jede Möglichkeit verweigert, zu reden, und das wissen Sie", sagte Ghosn nun. "Und wenn Sie die Frage stellen, bedeutet das, dass Sie böse Absichten haben, und wenn Sie böse Absichten haben, beenden wir die Diskussion hier", fügte er hinzu.
Interview im Januar 2019
"14 Monate lang wurde mir verboten, mit meiner Frau zu sprechen, mir wurde verboten, meine Familie zu sehen. Als ich eine Pressekonferenz in Japan organisieren wollte, wurde ich erneut verhaftet. Nachdem ich ein zweites Mal freigelassen wurde, sagte mir der Staatsanwalt, dass es mir frei stehe zu reden, aber es steht ihnen frei, weitere Anklagen zu erheben. Wenn Sie der Meinung sind, dass es mir frei stand zu reden - offen gesagt, bin ich der Meinung, dass Sie nicht ein Minimum an Gutwilligkeit haben", erklärte er.
Im Januar 2019 - wenige Wochen nach seiner ersten Verhaftung - hatte Ghosn in einem Interview mit der französischen Presseagentur AFP und der französischen Zeitung "Les Echos" seine Inhaftierung in Japan kritisiert. Ghosn wurde mit den Worten zitiert, er sei das Opfer eines "Komplotts", und er fügte hinzu, Nissan versuche seinen Ruf zu zerstören.
Spektakulärer Fall
Für den ehemaligen Konzernchef war es ein spektakulärer Absturz, der diverse straf- und zivilrechtliche Vorwürfe mit sich brachte. Ghosns Flucht vor der Justiz führte ihn in den Libanon, der kein Auslieferungsabkommen mit Japan hat. Der gebürtige Brasilianer besitzt auch die libanesische und französische Staatsbürgerschaft.
Im Juni bekannten sich zwei mutmaßliche Komplizen von Ghosn schuldig, ihm bei der Flucht aus dem Land geholfen zu haben.
Bevor er das Interview abbrach, kritisierte Ghosn das japanische Justizsystem scharf. "Ich werde gerne nach Japan gehen, um mich vor Gericht zu stellen, sobald es in Japan ein Justizsystem gibt, in dem die Verteidigung sich äußern darf", sagte er.
"Solange es einen Witz von einem Justizsystem namens Geiseljustiz gibt, werde ich mich auf keinen Fall der Maskerade einer Justiz aussetzen, der ich mehr als ein Jahr lang unterworfen war", fügte er hinzu.
Ghosn kritisiert französisches Justizsystem
Ghosn kritisierte auch Frankreichs Justiz, die ebenfalls gegen ihn ermittelt und rund 30 Millionen US-Dollar (25,2 Millionen Euro) seines Vermögens eingefroren hat.
"Ich habe die Tatsache kritisiert, dass sie sehr schnell mein Vermögen eingefroren haben, was die einzige Konsequenz hat, meine Verteidigung zu erschweren, weil man dabei offensichtlich eine Menge Rechnungen zu bezahlen hat", sagte Ghosn.
Nachdem der ehemalige Nissan-Manager das Interview abgebrochen hatte, sagte Gastgeber Sebastian, dass Ghosn die Einladung zur Rückkehr abgelehnt habe. "Es gibt harte Fragen, die beantwortet werden müssen, und wir hatten uns darauf gefreut, sie zu stellen", schloss Sebastian.