Ex-NFL-Profi: Everest als neue Endzone
18. März 2021"Ich bin bereit", sagt Mark Pattison. In rund zwei Wochen will er nach Nepal fliegen, um den Mount Everest zu besteigen. Und als wäre das alleine noch nicht genug, plant der 59-Jährige, direkt im Anschluss auch noch auf den benachbarten 8516 Meter hohen Lhotse zu steigen. Innerhalb von 24 Stunden will er auf dem höchsten und dem vierthöchsten Berg der Erde gestanden haben - als erster Ex-Profi der nordamerikanischen Football-Liga NFL.
"So viele 'Erste …' gibt es ja nicht mehr auf der Welt", sagt Pattison mit einem Augenzwinkern. Der erste Football-Profi auf dem Mount Everest war 2019 Craig Hanneman. Er hatte in den 1970er Jahren in der NFL sein Geld verdient. Neben dem Everest bestieg er auch die anderen "Seven Summits", die höchsten Berge aller Kontinente - drei davon, nachdem bei ihm die Nervenkrankheit ALS diagnostiziert worden war. Doch auf dem Lhotse - wie Pattison es vorhat - war Hanneman nicht.
"Unglaubliche mentale Stärke"
Eigentlich wollte Pattison schon 2020 auf den Everest, doch wegen der Corona-Pandemie wurde die komplette Klettersaison in Nepal abgesagt. In den 1980er-Jahren hatte Pattison als Wide Receiver bei den NFL-Klubs Los Angeles Raiders und New Orleans Saints gespielt. Der Wide Receiver hat im Football die Aufgabe, im Angriff weit nach vorne in den freien Raum zu laufen, um dort die Pässe des Quarterbacks zu fangen und zum Touchdown in die gegnerische Endzone zu tragen. Nach seinem Karriere-Ende wurde Pattison ein erfolgreicher Geschäftsmann. Heute ist er Vorstandsmitglied der Zeitschrift "Sports Illustrated" und Motivationsredner. Zum Bergsteigen fand Pattison vor zehn Jahren in einer persönlichen Krise: Er hatte sich nach vielen gemeinsamen Jahren von seiner Ehefrau getrennt, sein Vater war nach einem schweren Schlaganfall gestorben.
Mittlerweile hat Pattison seine Seven-Summits-Sammlung fast vollendet - es fehlt nur noch der Everest. Um sich auf die Expedition vorzubereiten, steigt der 59-Jährige derzeit täglich 1000 Meter hoch auf einen Skiberg nahe seinem Haus in Sun Valley im US-Bundesstaat Idaho. Kraft- und weiteres Konditionstraining ergänzen das Programm. Seine NFL-Vergangenheit komme ihm zugute, meint Pattison: "Ein professioneller Athlet zu sein, erfordert eine unglaubliche mentale Stärke. Indem ich mich körperlich gequält habe, habe ich eben jene Einstellung entwickelt, die ich brauchen werde, wenn es da oben hart auf hart kommt."
Profisportler am Everest eher die Ausnahme
Über mentale und körperliche Stärke verfügen die meisten Profisportler. Und so würde man unter den erfolgreichen Bergsteigern am Mount Everest eigentlich mehr frühere Top-Athletinnen und -Athleten erwarten, als es tatsächlich sind. Seit 1953, dem Jahr der Erstbesteigung, wurde der höchste aller Berge über 10.000-mal bestiegen. Doch unter den rund 6500 Menschen, denen dies gelang, muss man aktuelle oder ehemalige Profis aus Sportarten, die nichts mit Bergen zu tun haben, fast mit der Lupe suchen.
So erreichte 2001 der Österreicher Wolfgang Fasching den Gipfel des Everest. Als Radprofi, der auf Langstreckenrennen spezialisiert war, gewann Fasching in den USA dreimal das legendäre "Race Across America". 2011 standen mit den Briten Steve Williams und Richard David Parks sowie dem Neuseeländer Adam Parore drei Ex-Topsportler auf dem "Dach der Welt": Williams hatte als Ruderer 2004 und 2008 olympisches Gold im britischen Vierer ohne Steuermann gewonnen, Parks als Rugby-Profi in der Nationalmannschaft von Wales gestanden und Parore für das neuseeländische Cricket-Team gespielt.
Anfällig für Höhenkrankheit
Dass Erfolge im Leistungssport noch lange kein Freiticket für den Gipfel des Mount Everest bedeuten, erlebte unter anderen Victoria Pendleton. Als Bahnradfahrerin hatte die Britin 2008 und 2012 Olympia-Gold gewonnen. Am Everest kam sie im Frühjahr 2018 nicht über Lager 2 auf 6400 Metern hinaus. "Als wir uns am Nachmittag im Lager mit einer ruhigen Herzfrequenz und einer weniger aktiven Atmung entspannten, begann ich mich leider ziemlich unwohl zu fühlen", schilderte Pendleton. "Ich hatte das Gefühl, dass mein Körper in einen Shutdown überging." Pendleton wurde Flaschensauerstoff verabreicht, am nächsten Tag stieg sie ab und beendete die Expedition.
Auch Leistungssportler sind eben in der dünnen Luft am Everest nicht vor der Höhenkrankheit gefeit - eher sogar anfälliger dafür. "Je stärker sie ausdauertrainiert sind, desto mehr Probleme haben Marathonläufer, Radrennfahrer, Biathleten usw., insbesondere wenn sie sich nicht schon lange vor der Expedition in der Höhe vorbereitet haben", sagt der Höhenmediziner und Bergsteiger Ulf Gieseler der DW. Zum einen überschätzten sich Leistungssportler gerne. "Durch den großen Trainingsumfang fühlen sie sich sehr oft übermäßig fit und steigen meist viel zu schnell zu hoch auf."
Weniger trainieren, dafür in der Höhe
Zum anderen hätten Ausdauersportler in der Regel zwar einen sehr niedrigen Ruhepuls und eine ruhige Atmung, dafür aber ein höheres Schlagvolumen des Herzens, erklärt Gieseler. Die Folge: Bei Belastung am Berg werden so viele rote Blutkörperchen ausgestoßen, dass diese in der Lunge nicht ausreichend mit Sauerstoff angereichert werden können.
"Die Roten rauschen quasi nur so durch die Lungengefäße. Und entsprechend steigt zusätzlich der Druck in den Lungenarterien an." Und damit auch das Risiko, sich ein lebensbedrohliches Höhenlungenödem zuzuziehen. Daher sei es sinnvoll, so der Höhenmediziner, "wenn Leistungssportler ihr Training reduzieren und sich dafür viel in der Höhe aufhalten."
Mark Pattisons Wohnort Sun Valley liegt auf 1800 Metern. Der frühere NFL-Profi ist zudem als Bergsteiger bereits mehrfach in Höhen zwischen 5000 und knapp 7000 Metern unterwegs gewesen, sollte also die Reaktion seines Körpers auf die sauerstoffarme Luft einschätzen können. Pattison liebt nach eigenen Worten nicht nur die körperliche Herausforderung beim Bergsteigen: "Daneben habe ich in den Bergen auch Ruhe und Gelassenheit gefunden, während ich in der Natur unterwegs war." Und Ruhe und Gelassenheit sind nicht das schlechteste Rezept für den Mount Everest.