Ukrainisch-russischer Konflikt überschattet ESC
1. März 2019Beim Eurovision Song Contest (ESC) wird seit 1956 der beste Song Europas gesucht - und das weit über die geografischen Grenzen der Europäischen Union hinaus mit Ländern wie Israel, Aserbaidschan, Russland und der Ukraine. Schon allein deswegen ist der ESC politisch. Gleichzeitig spiegeln sich aber auch politische Konflikte innerhalb des Wettbewerbs wider. Zuletzt verweigerte 2017 die Ukraine, die damals den ESC austrug, der russischen Sängerin Julia Samoilowa die Einreise - wegen eines Konzerts auf der annektierten Halbinsel Krim. Russland sagte daraufhin seine Teilnahme ab. Nun ist wiederum die Ukraine, die zwei Jahre später nicht teilnehmen wird.
Sie wolle "kein Werkzeug im politischen Spiel sein", sagte Sängerin Maruv und erklärte damit ihre Absage am ESC. Die 27-Jährige gewann mit "Siren Song" den nationalen Vorentscheid, der eher durch lasziv-erotische Tänzerinnen als durch politischen Text provoziert. Zum Eklat führte daher auch nicht der Songinhalt sondern ein Vertrag, den der öffentlich-rechtliche Rundfunksender der Sängerin vorlegte: keine Auftritte mehr in Russland sowie Verbot von Aussagen, "welche die territoriale Integrität und Sicherheit der Ukraine infrage stellen könnten."
Politisierung der Musik
Es ist sicherlich keine leichte Entscheidung für eine junge Sängerin, den weltweit größten Musikwettbewerb abzusagen. Angesicht der nun darauf folgenden Erklärung seitens der ukrainischen Rundfunkanstalt wird das politische Umfeld, in dem sich Künstler dort derzeit positionieren müssen, deutlich. Maruv weigere sich, eine "Kulturbotschafterin der Ukraine" und "Sprachrohr der öffentlichen Meinung der Ukraine" zu sein. "Der nationale Vorentscheid hat dieses Jahr auf ein systemisches Problem aufmerksam gemacht - die Verbindung von Künstlern mit einem Aggressor, mit dem wir seit fünf Jahren einen militärischen Konflikt ausfechten", so die offizielle Stellungnahme der ukrainischen Rundfunkanstalt.
Jetzt soll gar ein Gesetz diskutiert werden, dass die künstlerischen Beziehungen mit Russland regelt. Maruv, geboren in der russischsprachigen Provinz im Südosten der Ukraine, plant im Frühjahr Auftritte in Russland. Zudem steht sie - und damit auch ihr "Siren Song" - unter Vertrag mit Warner Music Russia.
ESC muss auf Dauer-Favorit verzichten
Daraufhin lehnten auch die Zweit- und Drittplatzierten des ukrainischen Vorentscheids eine Teilnahme ab. "Unsere Mission ist es, Menschen mit Musik zu einen, nicht Zwietracht zu säen", kommentierte die drittplatzierte Band Kazka auf Facebook. Mit der Absage der Nachrücker, blieb der Ukraine nur noch die ESC-Absage.
Damit wird beim diesjährigen Wettbewerb, der im Mai in Israel ausgetragen wird, ein Dauerfavorit fehlen: Zweimal gewann die Ukraine den Wettbewerb (2004 und 2016), neun Mal schaffte sie es unter die Top 10. ESC-Gewinnerin Ruslana zeigte sich bestürzt auf Facebook: "Was wollen wir damit sagen oder beweisen? Welche Botschaft tragen wir damit in die Welt?"
Kultur-Konflikt
Vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit wird so der ESC wiederholt zum Schauplatz kultureller Deutungshoheiten. Der bewaffnete Konflikt im Osten der Ukraine zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Soldaten ist längst auch zum Informations- und Kultur-Konflikt geworden. Wie beispielsweise schon 2016, als die ukrainische Sängerin Jamala mit dem Song "1944", der von der Vertreibung der Krimtataren unter Stalin handelte, den ESC gewann. Damalsverurteilte der rusissche Parlamentarier Konstantin Kosatschjow die Entscheidung, nannte sie einen "Sieg des Kaltes Krieges" des Westen gegen Russland. Auch auf ukrainischer Seite wurde der ESC-Sieg instrumentalisiert. Präsident Poroschenko twitterte: "Heute hat mit Jamalas Stimme das ganze ukrainische Volk gesprochen. Die Wahrheit hat wie immer gesiegt."
Auch wenn das seichte Wasser der populären Musik bisher kaum zu einer Annäherung beigetragen hat, verpasst die Ukraine mit ihrer Absage - und vor allem mit der Gängelung der Künstler, die auf beiden Seiten populär sind - eine weitere Chance. Die European Broadcasting Corporation, die über den ESC-Wettbewerb wacht, reagierte mit "Traurigkeit".