Europarat: Warum Russland bleiben sollte
25. Juni 2019Nach fünfjähriger Unterbrechung darf Russland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) wieder abstimmen - trotz des Widerstandes der Abgeordneten aus der Ukraine, aus Georgien und anderen Ländern. 2014 war Russland das Stimmrecht wegen der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim entzogen worden. Im Juni 2017 stellte Moskau dann die Zahlung seiner Mitgliedsbeiträge von rund 33 Millionen Euro pro Jahr ein - rund neun Prozent des Jahresbudgets des Europarates. DW sprach mit Dr. Andreas Nick (CDU), dem Vizepräsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und Leiter der Delegation des Deutschen Bundestages.
Deutsche Welle: Herr Dr. Nick, im Moment bespricht man in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) in Straßburg die Rückkehr der russischen Delegation. Was ist die deutsche Position dazu?
Dr. Andreas Nick: Wir haben eine unveränderte Position zu den materiellen Fragen, die etwa die Annexion der Krim und den Konflikt in der Ostukraine und im Asowschen Meer angehen. Aber wir sind der Auffassung, dass Russland mit allen Rechten und Pflichten Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates bleiben sollte. Dabei geht es uns insbesondere um die Sicherstellung des Zugangs zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für die 140 Millionen Bürger der Russischen Föderation, aber auch darum, dass der Europarat seine Rolle als Forum des Dialogs und des Austausches auch zu schwierigen Problemen zwischen den Mitgliedsstaaten erfüllen kann. Und da ist die Russische Föderation ein unverzichtbarer Partner.
2014 wurde Russland wegen Invasion und Annexion von Teilen der Ukraine sanktioniert und sein Stimmrecht im PACE suspendiert. Ist die Rückkehr der russischen Delegation richtig, obwohl Russland keine Anstrengungen unternommen hat, die Situation zu verbessern?
Unsere Einschätzung zu den genannten Themen - Krim, Donbass, Asowsches Meer, aber auch zur Menschenrechtssituation in der Russischen Föderation - ist unverändert. Wir haben gerade erst in der vorigen Woche in der Europäischen Union die Sanktionen in diesen Fragen noch einmal einstimmig verlängert.
Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob man mit dem Ausschluss eines Landes aus dem Europarat irgendeinen Fortschritt erzielen kann. Ich glaube, der Europarat hat ein Mandat, das sich vorrangig auf den Schutz der Menschenrechte, die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in der pluralistischen Demokratie konzentriert. Da ist der Zugang zum Menschenrechtsgerichtshof für die Bürger Russlands ein entscheidendes Datum. Auch der Zugang der Organe des Europarats, etwa der Menschenrechtskommissarin, auf das Territorium Russlands ist eine der Forderungen, die im Raum steht.
Die Kollegen aus der Russischen Föderation werden sich hier - auch schon in dieser Woche - schwierigen Debatten stellen müssen. Wir haben eine Debatte über die Aufklärung der Ermordung von Boris Nemzow (russischer Oppositionspolitiker, der 2015 in Moskau erschossen wurde - d. Red.). Es wird eine Debatte über den Stand der Ermittlungen zum Abschuss des Flugzeugs MH17 geben. Insofern ist das hier ein wichtiges Forum, um gerade auch in die russische Gesellschaft hinein positiven Einfluss ausüben zu können.
In deutschen Medien wird die Meinung laut, dass Europas Entscheidung, die Rückkehr der russische Delegation zu ermöglichen, ein falsches Zeichen an die Autokratie sendet. Was meinen Sie dazu?
Ich tendiere immer dazu, dass wir Politik nicht nach symbolischen Gesichtspunkten machen, sondern nach konkreten Ergebnissen. Mir hat noch niemand erklären können, was an der Situation im Donbass, auf der Krim oder in der Russischen Föderation besser werden würde, wenn wir das Ausscheiden Russlands aus dem Europarat erzwungen hätten.
Die Ukraine droht, ihre Teilnahme in PACE auszusetzen, soll die russische Delegation das Stimmrecht zurückbekommen. Wie würden Sie das kommentieren?
Ich glaube, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wir haben noch in diesem Monat Parlamentswahlen in der Ukraine, danach wird die Rada in Kiew ohnehin eine neue Delegation zu benennen haben. Nach allem, was man heute ahnen kann, wird die wahrscheinlich personell und politisch sehr viel anders zusammengesetzt sein.
Ich würde das für einen großen Fehler halten, sich aus dem Europarat zurückzuziehen. Ich glaube, es wäre eine vertane Chance und würde der Ukraine sicherlich in der Gesamtschau eher schaden.
Könnte die finanzielle Frage einer der Gründe sein, die Rückkehr der russischen Delegation zu ermöglichen? Auf Ihrer Webseite schreiben Sie, dass mit der Auszahlung der ausstehenden Beiträge seitens Russlands eine finanzielle Krise im Europarat vermieden werden könnte.
Ich habe nie von der finanziellen Krise gesprochen, sondern von der institutionellen Krise. Die finanzielle Frage ist eine nachgeordnete. Es geht um den Verbleib eines Landes in der Organisation, den Zugang seiner Bürger zum Menschenrechtsgerichtshof und die Chance für einen intensiven Dialog auf dem öffentlichen Forum der Parlamentarischen Versammlung, auch zu den kritischen Fragen, die die Russische Föderation betreffen.
Auf Ihrer Seite steht aber, ich zitiere: "Erwartet wird, dass Russland anschließend seine ausstehenden Beiträge zahlt und damit eine finanzielle Krise im Europarat vermieden werden kann."
Das war nur eine Beschreibung der Situation. In dem Moment, wo die Russische Föderation ihre Beiträge bezahlt, ist natürlich die finanzielle Krise nicht mehr vorhanden. Ich habe mich nur gegen die Unterstellung verwahrt, dass die finanzielle Frage die entscheidende Motivation für die Entscheidung von gestern ist. Das ist sie mit Sicherheit nicht. Und dafür werden Sie auch in meinen Äußerungen keinen Beleg finden.
Das Interview führte Kateryna Ivanova