Mehr Kohle für die Klimapolitik?
15. Januar 2020Im Dezember hatte das Europaparlament bereits den Klimanotstand ausgerufen, jetzt einigen sich die vier großen Fraktionen auf eine gemeinsame Erklärung zur Klimapolitik, die besonders für einige konservative Abgeordnete einen Quantensprung darstellt. Der Beschluss ist eine Reaktion auf den "Green Deal" der EU-Kommission - und mit der starken Mehrheit von 482 Stimmen der konservativen EVP, der Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen geht er in einzelnen Bereichen noch darüber hinaus.
Ehrgeizige Ziele
So will das Parlament das Ziel zur Verringerung der Treibhausgase bis 2030 auf 55% hochschrauben und fordert von der Kommission, dass sie umgehend die rechtlichen Bedingungen dafür schafft. Die EU solle sich als Vorreiter bei der Klimakonferenz COP 26 im November in Glasgow in Stellung bringen und sich zwingend bei den großen Handelspartnern für strengere Klimaziele einsetzen. Das müsse etwa für den nächsten EU-Afrika-Gipfel und vor allem den anstehenden EU-China-Gipfel im Herbst gelten.
In einem detaillierten Plan mit über hundert Abschnitten werden alle Bereiche europäischer Politik unter Klimagesichtspunkten betrachtet - von der Abfallwirtschaft bis zum Flugverkehr. Dabei sind die Forderungen des EP Kompromisse, die zwischen weiter reichenden Forderungen der Grünen und der wirtschaftlich begründeten Zurückhaltung der konservativen EVP-Fraktion liegen.
"Umwelt- und Klimaschutz können richtig gemacht zusätzliche Arbeitsplätze und Wachstum bringen", erklärt deren umweltpolitischer Sprecher Peter Liese. Positiv vermerkt er den Beitrag nachhaltiger Forstwirtschaft und die Zusagen zur Unterstützung der Industrie beim Wandel zu klimafreundlicher Produktion. Aber man teile auch nicht alle Aspekte, wie etwa die Anhebung des Klimaziels auf 55%. Enttäuscht seien die Christdemokraten, weil Grüne und Sozialdemokraten gegen die Einführung eines Emissionshandels bei Verkehr und Gebäuden gestimmt hätten. Insgesamt aber würden die Vorteile des gemeinsamen Beschlusses die Nachteile überwiegen.
Die Sozialdemokraten betonen als Fortschritt, dass öffentliche Gelder nur für Leistungen ausgegeben werden dürften, die den Anforderungen der Klimapolitik bei Umwelt- und Artenschutz genügen. Das müsse besonders für eine Reform der Landwirtschaftpolitik gelten, erklärt die SPD-Abgeordnete Delara Burkhardt. "Wollen wir zulassen, dass die Förderung der Landwirtschaft fast ausschließlich an die Größe der Betriebe gekoppelt bleibt?" Oder solle nicht eher "die hohe Qualität der Produkte und der Schutz der Lebensgrundlagen belohnt werden?" Auch die Sozialdemokraten wollen die Klimapolitik mit Chancen für einen sozialen Wandel verbinden und plädieren für eine Unterstützung der bisherigen Kohleregionen. Kritik wiederum üben sie an der Unterstützung für die Kernenergie bei den Konservativen – sie rechne sich schon längst nicht mehr und künftige Generationen dürften nicht auf dem Atommüll sitzen bleiben. Die Diskussion darüber ist angesichts der Klimakrise wieder aufgeflammt, weil etwa Frankreich und Tschechien ihre Atomkraftwerke weiter betreiben wollen.
Die Grünen sind begeistert über den Erfolg der von ihnen angestoßenen Resolution: Damit würden hohe Maßstäbe für mehr Klimaschutz und eine nachhaltige Landwirtschaft gesetzt. Zahlungen für den "gerechten Übergang", wie die EU-Kommission vorschlägt, sollten aber an verbindliche Zeitpläne für den Kohleausstieg gekoppelt werden. "Der Grüne Deal muss der Einstieg in eine Kreislaufwirtschaft ohne Schadstoffe und die Wende in der Landwirtschaftspolitik werden", erklärt Grünen-Parlamentarierin Jutta Paulus. Sie ist trotz einiger Punkte, bei denen die Grünen mehr gefordert hatten, "sehr glücklich" über die gemeinsame Resolution der großen Fraktionen. Sie will darüber hinaus eine grundlegende Reform der Agrarpolitik, in die über ein Drittel des europäischen Geldes fließt. Das eingeleitete Ende der Verbreitung von Pestiziden und hormonverändernden Stoffen sei dabei schon ein positiver Schritt.
Beim Geld aber wollen die Grünen noch viel mehr: Schlägt die Kommission vor, ein Viertel des EU-Budgets für die Klimapolitik auszugeben, wollen sie sogar die Hälfte des Haushalts dafür einsetzen. Gleichzeitig fordern auch die Grünen einen sozialverträglichen Wirtschaftsumbau mit Chancengleichheit und sozialer Sicherheit.
Streit um die Kohle
Am Dienstag hatte die EU-Kommission ihre Pläne für einen Investitionsplan im Umfang von einer Billion Euro in den nächsten zehn Jahren und im Zusammenhang damit auch den "Just Transition Fond" vorgestellt, mit dem sie den wirtschaftlichen und sozialen Übergang für die Kohleregionen in Europa abfedern will. Rund 250.000 Arbeitsplätze könnten dort vom Ausstieg aus der Kohle betroffen sein; rund 100 Milliarden Euro sollen in der nächsten Haushaltsperiode dafür sorgen, dass in den betroffenen Regionen wie Schlesien oder Westmazedonien neue Industrien angesiedelt und Arbeitnehmer umgeschult werden.
Mit dem Geld soll vor allem die Zustimmung der polnischen Regierung erkauft werden, die sich bislang noch gegen den Kohleausstieg wehrt. Allerdings sprechen Kritiker von "Luftbuchungen"; der Finanzexperte der Grünen, Sven Giegold, bezweifelt, ob die Mittel überhaupt vorhanden seien. Denn die Kommission will nur 7,5 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stellen, die weiteren Gelder sollen durch Umschichtungen aus dem EU-Haushalt, billige Kredite der Europäischen Investitionsbank EIB, Eigenmittel der Mitgliedsländer und Investitionen der Wirtschaft zusammen kommen. Es ist ähnlich wie beim "Juncker-Fonds" aus der letzten Legislaturperiode: Mit einer relativ kleinen Summe als "Saat" soll eine enorme Hebelwirkung entwickelt und große Programme für den klimaverträglichen Umbau ganzer Landstriche finanziert werden.
Frans Timmermans, der für die Klimapolitik zuständige EU-Kommissar, sprach dabei von "tektonischen Verschiebungen" in der europäischen Politik, die zwar Chancen für neue Arbeitsplätze und bessere Lebensbedingungen bringen, für andere aber auch einen schmerzhaften Anpassungsprozess bedeuteten und massive öffentliche und private Investitionen erfordern würden. "Wenn Regierungen jetzt nicht handeln, bedeutet das aber nicht, dass dieser Wandel nicht passieren wird", warnte Timmermans.
Aber der Kampf um das nötige Geld fängt überhaupt erst an. Denn noch ist der Rahmen für den nächsten EU-Haushalt nicht beschlossen und Deutschland wie andere Freunde der Sparpolitik wollen ihn auf ein Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzen. Die EU-Kommission fordert 1,11% und das Parlament 1,3%, was jeweils einen Unterschied von mehrstelligen Milliardensummen bedeutet. Trotz des Bekenntnisses der Bundeskanzlerin zur Klimapolitik blockt vor allem Berlin bei Mehrausgaben, weil auf Deutschland nach dem Brexit sowieso höhere Beitragszahlungen zukommen. Und Christdemokraten wie der Europaabgeordnete Peter Liese warnen, wenn deutsche Kohleregionen von Brüsseler Geldern nicht profitieren würden, weil Deutschland ein reiches EU-Land ist, dann könne er nicht für eine Ausweitung des Übergangsfonds stimmen.
Die Fronten sind also klar: Die Notwendigkeit, sofort und umfassend zu handeln, ist in der EU anerkannt. Es gibt ein Bekenntnis zum wirtschaftlichen Umbau ganzer Regionen und zu einer Reform der gesamten europäischen Politik unter Klimagesichtspunkten – aber die Mitgliedsländer entscheiden, was das kosten darf und woher das notwendige Geld kommen soll. Der Kampf wird spätestens beim Beschluss über den nächsten EU-Haushalt im Herbst ausgefochten – unter deutscher Führung, denn Berlin hat dann die Ratspräsidentschaft inne.