Mit der neuen EU-Kommissionspräsidentin, neuem EU-Spitzenpersonal und einem neuen Europäischen Parlament kommt im neuen Jahr mehr Schwung in den behäbigen Apparat. Das neue Schwerpunktthema steht schon fest: Green Deal. Der Umbau Europas zu einer klimaneutralen, von Innovationen angetriebenen Wirtschaftsweise wird die politischen Debatten im diesem Jahr bestimmen. Ursula von der Leyen wird an der Spitze der EU-Kommission alle andere Politikansätze diesem populären Ziel unterordnen. Politik mit zornigem Zopf sozusagen. Alles, was nach Greta Thunberg aussieht, kann der EU nur guttun - weil es junge Leute bewegt und anspricht, so das Kalkül der neuen EU-Führung. Neben der Rettung des Planeten könnte so auch eine Image-Verbesserung für die müde Dame Europa vorangetrieben werden.
Der französische Präsident Emmanuel Macron wird weiter auf die Tube drücken. Zu Hause stößt er auf erheblichen Widerstand, da will er wenigstens bei der Reform der EU seine dynamischen Qualitäten beweisen. Wenn auch die Begeisterung für "das souveräne Europa, das schützt", von anderen Staats- und Regierungschefs nicht unbedingt so geteilt wird.
Merkel muss ein weiteres Meisterstück liefern
Dynamik lässt vor allem die natürliche Partnerin Frankreichs, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, vermissen. 2020 hat sie die Chance und auch die Verantwortung, noch einmal ein europapolitisches Meisterstück abzuliefern: In der zweiten Hälfte des Jahres muss sie als reguläre Präsidentin des Rates der EU den Etat der nächsten Haushaltsperiode mit ihren dann noch 26 Kolleginnen und Kollegen aushandeln. Es geht um mehr als eine Billion Euro für die nächsten sieben Jahre. Bereits 2007 und 2014 war Merkels Rolle als Vertreterin des größten Nettozahlers in der EU die entscheidende.
Diesmal sind die Gräben aber noch tiefer als damals. Ein Ausgleich zwischen westlichen und östlichen, nördlich und südlichen Mitgliedsstaaten ist gefragt. Kann Merkel Polen und Ungarn mit finanziellen Daumenschrauben dazu bringen, sich wieder auf die Bewahrung der Rechtsstaatlichkeit zu besinnen? Die Erwartung und Hoffnung in Brüssel ist deshalb, dass die Dauerkanzlerin weiter im Amt bleibt, um ihren europäischen Auftrag zu erfüllen. Koalitions-Knatsch zu Hause hin oder her.
Aus dem alten Jahr nimmt die EU auch viele alte Probleme mit. Eine gemeinsame Migrationspolitik sollte angesichts der schrecklichen Bilder von Asylbewerber-Lagern in Griechenland und vom Balkan zwar schnell gefunden werden, aber in der Praxis sind die Positionen meilenweit voneinander entfernt. Viele Staaten - nicht nur die notorischen Verweigerer Ungarn und Polen oder Österreich - wollen keine neuen Migranten.
Rechtsstaatlichkeit und Reformwünsche
Die Konflikte mit Ungarn und Polen, neuerdings auch Malta, um ihre rechtsstaatliche Ordnung harren einer Lösung. Die Strafverfahren nach Artikel 7 laufen zwar weiter, aber die übrigen Mitgliedsstaaten haben wenig Appetit, die Stimmung vor den schwierigen Budgetverhandlungen (siehe oben) noch giftiger werden zu lassen.
Bei den beitrittswilligen Staaten des westlichen Balkans steht die EU weiter im Wort, deren Aufnahme vorzubereiten. Aber Frankreich und einige andere blockieren. Wird 2020 da eine Lockerung oder eine Perspektive bringen?
Das wird nur gelingen, wenn Frankreichs Präsident Macron seinen Willen und damit eine Reform des Beitrittsprozesses bekommt. Das kann aber nur gelingen, wenn die europäischen Regierungen das Gefühl haben, dass ihnen Rechtspopulisten mit ihren absurden Forderungen nicht ständig im Nacken sitzen. Genau danach sieht es aber nicht aus: In Spanien, Belgien oder Österreich ist die Regierungsbildung wegen deren Aufstieg im Moment recht schwierig. In Italien ist eine fragile Anti-Rechts-Koalition im Amt, die beim geringsten Anlass zerbrechen kann.
Ein Déjà-vu und die CO2-Bilanz von Konferenzen
In dieser Lage wird die EU eine neue "Konferenz zur Zukunft Europas" aus der Taufe heben, die flauschige Reformträume in harte Aktionspläne übersetzen soll. Die Konferenz soll entspannt zwei Jahre lang nachdenken, um dann festzustellen, dass es eigentlich doch am politischen Willen fehlt, das Erkannte auch umzusetzen. Das hatten wir schon einmal vor 18 Jahren: 2002 entwickelte der EU-Konvent eine europäische Verfassung, die in Referenden scheiterte. Sie wurde abgespeckt als Vertrag von Lissabon fünf Jahre später aufs Gleis gesetzt.
Jetzt wird das ganze Unterfangen 2020 wiederbelebt. Warum? Gibt es wirklich so viele neue Ideen - mal von Präsident Macrons Fantasien abgesehen? Hoffentlich!
Ansonsten wäre die Dauerkonferenz eine Geld- und Zeitverschwendung, wahrscheinlich mit einer ziemlich schlechten CO2-Bilanz. Die soll ab 2020 bei EU-Konferenzen auch errechnet werden. Green Deal eben.