Europäer misstrauen Europa
26. April 2013José Ignacio Torreblanca vergleicht die Euroskepsis mit einem Virus. Einem Virus, dem offenbar kaum jemand entkommen kann. Inzwischen, so der spanische Politikwissenschaftler, habe sich der gesamte Kontinent angesteckt.
Das Vertrauen der Bürger gegenüber der Europäischen Union ist zwischen 2009 und 2012 stark gesunken: Besonders betroffen, so eine aktuelle Umfrage der EU, sind die mit Restrukturierungsprogrammen und einer massiven Wirtschaftskrise kämpfenden südeuropäischen Staaten.
In Spanien vertraut nur noch eine Minderheit von 20 Prozent der Menschen der EU, 2009 waren es noch 56 Prozent. Auch die ebenfalls krisengeplagten Italiener sind zu Euroskeptikern geworden. Ihr Vertrauen in die EU sank im gleichen Zeitraum von 52 auf 31 Prozent.
Auch in den wirtschaftlich relativ stabilen Staaten wie Deutschland und Frankreich hat die Europäische Union an Ansehen verloren. So vertrauen nur noch 30 Prozent der Deutschen der EU. Das ist ein Rückgang von 14 Prozent gegenüber 2009. In Frankreich sank das Vertrauen um acht Prozentpunkte auf nun 34 Prozent. Die Zahlen sind Bestandteil des jüngsten Eurobarometers und wurden im Auftrag der EU erhoben.
"Das Überraschende ist", sagt José Ignacio Torreblanca, "dass sich in dieser Krise fast alle Europäer als Opfer sehen." Das gelte sowohl für Geberstaaten wie Deutschland als auch für Nehmerländer wie Spanien. Torreblanco hat die Umfragen für das European Council on Foreign Relations, ein europäisches Forschungsinstitut, ausgewertet.
"Die Menschen haben Angst vor der Zukunft, Angst um ihre Arbeitsplätze, Angst um ihren Lebensstandard. Und sie geben Europa die Schuld an der Krise", glaubt die SPD-Europaparlamentarierin Jutta Steinruck. Viele Politiker und viele Medien würden den Eindruck vermitteln, dass Europa an allem Schuld ist.
"Es gibt einen sehr starken Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Situation und dem Vertrauen in die EU", bestätigt der Politikwissenschaftler Torreblanca. Doch das Problem gehe tiefer: "Die Menschen haben das Gefühl, dass sie die Kontrolle verloren haben. Sie werden gezwungen, Dinge zu akzeptieren, die ihnen als alternativlos dargestellt werden." Die Deutschen müssten immer neuen Kreditpaketen zustimmen, die Südeuropäer immer neuen Sparpaketen. "Das ist eine Aushöhlung der Demokratie." Schließlich müsse es in der Demokratie auch immer Alternativen geben. Die große Gefahr sei, so Torreblanca, den Euro zu retten, aber dabei die Bürger zu verlieren.
"Wir haben leider zu lange gesagt, dass die Dinge alternativlos sind", findet auch Rainer Wieland. Der CDU-Politiker ist Vizepräsident des Europäischen Parlaments. Wieland unterstützt die Eurorettung. Er findet es erfreulich, dass die große Mehrheit der deutschen Politik das auch so sieht.
Trotzdem müssten die unterschiedlichen Optionen in Zukunft offener diskutiert werden. "Es gibt immer Alternativen." Die Deutschen könnten zum Beispiel den klammen Staaten die Unterstützung verweigern. Allerdings müssten sie dann auch die negativen Konsequenzen dieser Entscheidung tragen.
Unzufriedenheit ja, Ausstieg nein
Bislang gibt es weder in Deutschland noch in Spanien eine große Anzahl von Menschen, die für einen Ausstieg aus dem Euro oder aus der Europäischen Union plädieren. Doch viele sind mit der Art und Weise der Krisenbekämpfung unzufrieden. Auch weil es in den Krisenstaaten bisher an greifbaren Ergebnissen der Sparprogramme mangelt. Spanien zum Beispiel steckt noch immer tief in der Rezession, die Arbeitslosigkeit liegt inzwischen bei 27 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit noch deutlich höher. Gleichzeitig zweifeln viele Deutsche am Sinn von immer neuen, aus Steuergeldern finanzierten Kreditprogrammen.
"Der Gedanke eines solidarischen Europa", befürchtet Jutta Steinruck, "löst sich auf. Die Menschen fangen wieder an, einander zu misstrauen, alte Feindbilder wieder aufzubauen. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass politische Extreme solche Krisen für ihre Zwecke missbrauchen."
Rainer Wieland sieht das ähnlich: "Die Gefahr liegt eindeutig darin, dass die Menschen ihr Heil bei populistischen Parteien suchen." Schon jetzt sind europafeindliche Populisten in Ländern wie Griechenland oder Italien auf dem Vormarsch. Und auch in Deutschland hat sich jüngst eine neue Partei gegründet, die vor allem auf einen Ausstieg aus dem Euro setzt.
Die europäische Demokratie stärken
Die Gefahr, dass Europa am mangelnden Rückhalt der Menschen scheitert, so Wieland, sei durchaus vorhanden. Was also tun? "Wir müssen wieder über die guten Dinge reden. Das wird viel zu wenig getan. Wir haben zu viele Ja-aber-Leute. Gemessen daran, wo unser Kontinent herkommt, sind wir heute in einer außergewöhnlichen Situation." Die Vision von Europa als Friedenskontinent sei noch immer lebendig.
Die SPD-Politikerin Steinruck fordert vor allem mehr Ehrlichkeit beim Thema Europa. "Was gut ist und aus Europa kommt, muss auch benannt werden. Es wird viel zu oft vergessen, dass unsere Arbeitsplätze und unser Wohlstand an Europa hängen." Es ist ein Grundproblem, dass sich die nationalen Politiker die Erfolge der EU zu eigen machen während sie eigene Misserfolge auf Brüssel schieben. Und es ist ein altes Muster zur Erklärung der mangelnden Popularität der EU.
Stärkung der Demokratie
Doch als Erklärung für das Misstrauen gegenüber der EU reicht das nicht aus. José Ignacio Torreblanca sieht vor allem eine Legitimitätskrise. "Deswegen müssen wir die Demokratie stärken." Die Teilhabe an europäischen Entscheidungsprozessen müsse verbessert werden. Und zwar sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.
Es könne nicht sein, so der spanische Politologe, dass Entscheidungen in nichtöffentlichen Nachtsitzungen der Euro-Gruppe oder von technokratischen Institutionen wie der Troika getroffen würden und dann von den Parlamenten nur noch abgenickt würden. Ohne eine Veränderung dieser Strukturen, befürchtet Torreblanca, werde sich das Virus der Euroskepsis nicht dauerhaft eindämmen lassen.