EuGH-Gutachter: Afghanische Frauen haben Schutzanspruch
9. November 2023Mädchen und Frauen in Afghanistan können nach Auffassung eines Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) allein aufgrund ihres Geschlechts als verfolgt gelten. Seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban im Jahr 2021 seien so viele diskriminierende Maßnahmen gegenüber Frauen und Mädchen erlassen worden, dass es sich um Verfolgung handle, erklärte Generalanwalt Jean Richard de la Tour in seinen in Luxemburg vorgelegten Schlussanträgen. Eine Anerkennung als Flüchtling sei auch ohne weitere konkrete Beweise zu rechtfertigen.
Der Verwaltungsgerichtshof in Wien hatte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg um Klärung gebeten. Eine afghanische Frau und ein Mädchen hatten sich an den österreichischen Verwaltungsgerichtshofs gewendet. Sie bekamen in Österreich zwar subsidiären Schutz, aber kein Asyl.
Der Verwaltungsgerichtshof will vom EuGH wissen, ob die Behandlung von Frauen in Afghanistan als Verfolgung gesehen werden kann, die eine Anerkennung als Flüchtling rechtfertigt. Er fragte auch, ob ein EU-Mitgliedsstaat einer afghanischen Frau allein aufgrund ihres Geschlechts Asyl gewähren könne.
Der Generalanwalt erklärte dazu, dass nichts einen Mitgliedsstaat daran hindere, eine begründete Furcht dieser Frauen vor Verfolgung anzuerkennen. Dazu müsse ihre persönliche Situation nicht weiter geprüft werden. Die Schlussanträge des Generalanwalts sind noch kein Urteil. Die europäischen Richterinnen und Richter orientieren sich aber oft daran. Ein Urteilstermin wurde noch nicht bekanntgegeben.
Seit der Rückkehr des Taliban-Regimes in Afghanistan habe sich "die Lage der Mädchen und Frauen im Land rapide verschlechtert, und zwar in einem Maße, dass man von der Verleugnung ihrer Identität sprechen kann", erklärte de la Tour. Ihnen den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, Erwerbstätigkeit, Teilhabe am öffentlichen Leben oder ihre Bewegungsfreiheit zu verwehren, laufe in der Häufung der Maßnahmen auf eine Verletzung grundlegender Menschenrechte hinaus.
Vom Unionsrecht her seien Asylbehörden nicht daran gehindert, bei schutzsuchenden Frauen und Mädchen aus Afghanistan "zu dem Schluss zu gelangen, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung aufgrund des Geschlechts besteht, ohne dass sie nach weiteren sich aus der persönlichen Situation der Antragstellerin ergebenden Anhaltspunkten suchen müssen", so der Generalanwalt.
uh/fab (afp, kna)