Reisende Kämpfer aufhalten
10. Oktober 2014Der Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel Ende Mai, bei dem ein wieder eingereister Dschihadist vier Menschen tötete, hat die EU-Innenminister wach gerüttelt. Es bildete sich eine sogenannte "Belgien-Gruppe": Sie setzt sich zusammen aus Vertretern der mitteleuropäischen Staaten, aus denen die meisten der rund 3000 europäischen Kämpfer der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) stammen. Diese Gruppe, zu der auch Deutschland gehört, hat jetzt alle 28 EU-Mitglieder überzeugt, schneller und geschlossener gegen sogenannte "reisende Kämpfer" vorzugehen. "Wir wollen nicht, dass Menschen aus Deutschland oder aus Europa, sich an diesen schrecklichen Gewalttaten beteiligen", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière beim Innenministertreffen in Luxemburg der DW. "Und wir wollen erst recht nicht, dass sie, wenn sie zurückkommen, Anschläge in Deutschland oder Europa planen."
Durch verstärkte Kontrollen an den Außengrenzen der Europäischen Union, durch eine Erfassung von Flugpassagierdaten und den Entzug von Reisedokumenten sollen die reisenden Terrorkämpfer gestoppt werden, sagte die zuständige EU-Kommissarin für Inneres, Cecilia Malmström.
EU-Grenzen sollen schärfer kontrolliert werden
"Wir haben keine Zeit zu verlieren", mahnt der Anti-Terrorbeauftragte der EU, Giles de Kerchove. Dabei muss sich die EU mit ihren eigenen Regeln herumschlagen. Eigentlich sind systematische Kontrollen von EU-Bürgern an den Grenzen des Schengen-Raumes nicht zulässig. "Schengen" steht für 26 europäische Staaten, die Reisen ohne interne Personenkontrollen vereinbart haben. Nur stichprobenartig geben die Grenzbeamten Passdaten in das "Schengen-Informations-System"(SIS) ein. Auf diesem zentralen Server hinterlegen alle nationalen Strafverfolgungsbehörden gesuchte oder verdächtigte Personen. Die Abfrage im SIS dauert einige Minuten und ist die Ausnahme: Normalerweise werden an den Außengrenzen der EU nur mit einem kurzen Blick die Passbilder und die Gültigkeit des Reisedokuments kontrolliert. Die SIS-Abfrage für alle Reisenden würden auf Flughäfen und an Grenzstationen wahrscheinlich lange Warteschlangen auslösen. Das wolle man natürlich vermeiden, so der Anti-Terror-Beauftragte Giles de Kerchove.
Die zulässigen Stichproben könnten aber ausgeweitet und miteinander gekoppelt werden. Man könnte zum Beispiel alle Flugzeuge aus der Türkei systematisch kontrollieren. "Zwischen den erlaubten Stichproben und den untersagten flächendeckenden Kontrollen gibt es ja einen entscheidenden Spielraum", so de Kerchove. "Wir werden jetzt mit Hilfe der Grenzschutzagentur Frontex herausfinden, wie man die Arbeitsweise der Grenzbeamten so verändern kann, dass die Stichproben von bestimmten Routen und Reisegruppen effizienter koordiniert werden können, ohne dass sie systematisch im Sinne von Schengen wären." Die Innenminister der EU sind sich einig, die Gesetze zum Reiseverkehr selbst nicht zu ändern. Das würde zu lange dauern.
Neue Such-Kriterien bei Grenzkontrollen
Stärkere Grenzkontrollen nutzen nur, wenn die Beamten im SIS-Computer erkennen können, wer Terror-Reisender ist und wer nicht. Deshalb sollen die einzelnen EU-Staaten alle ihnen bekannten Verdächtigen in das System eingeben. Wie ein "Gefährder" definiert wird, ist dabei jeder nationalen Ermittlungsbehörde überlassen. "Wir müssen an den Außengrenzen des Schengen-Raumes sicherstellen, dass jeder Grenzbeamte weiß, ob es sich um einen 'foreign fighter' handelt, um ihn entweder nicht ausreisen zu lassen oder bei der Wiedereinreise verhaften zu können." Bislang erfasst das SIS zwar alle möglichen Straftaten von Menschenhandel über Drogendelikte bis zu Sexualstraftaten, aber eben nicht reisende IS-Kämpfer.
Ersatzpapier statt Personalausweis
Ohnehin müssten die EU-Staaten jeder für sich eine UN-Resolution umsetzen, nach der selbst das Reisen in ein bestimmtes Gebiet schon als Straftat gewertet werden kann. Diese Verschärfung des internationalen Rechts ist für Deutschland nicht einfach zu verwirklichen, weil es rechtliches Neuland wäre, so diplomatische Kreise beim Innenministertreffen in Luxemburg.
Frankreich, Großbritannien und Deutschland sind dabei oder sagen zu, das Einziehen von Reisepässen zu erleichtern. Verdächtigen reisenden Kämpfern sollen die Dokumente abgenommen werden, damit sie den Schengen-Raum nicht legal verlassen können. Allerdings reicht für die Einreise in die Türkei und eine Weiterreise nach Syrien im Moment für EU-Bürger ein Personalausweis. Der kann nach deutschem Recht nicht einfach eingezogen werden. Zwar können deutsche Behörden ein Ausreiseverbot aussprechen - das aber kann ein Grenzbeamter weder dem Ausweis ansehen noch im Schengen-Informations-System (SIS) erkennen. Eine Markierung des Ausweises ist aus verfassungsrechtlichen Gründen schwierig. Deshalb schlägt Bundesinnenminister Thomas de Maizière jetzt vor, Terrorverdächtigen den Personalausweis abzunehmen und ihnen ein Ersatzdokument aus Papier auszustellen, auf dem eindeutig steht: "Nur für Reisen in Deutschland". Dieses Konzept könnten wohl die meisten Fraktionen im Bundestag mittragen.
Erfassung von Passagierdaten wie in den USA?
Die EU-Innenminister einigten sich außerdem darauf, die Sammlung der Daten von Flugpassagieren wiederzubeleben. So sollen, ähnlich wie das bereits heute im Reiseverkehr mit den USA üblich ist, schon bei der Buchung des Fluges personenbezogene Daten und die Passnummer abgefragt und gespeichert werden. Mit diesem PNR (Passenger name record) genannten System wolle man dann europaweit die Reiserouten von möglichen Terroristen ermitteln, so der EU-Anti-Terror-Beauftrage Giles de Kerchove. Das Problem aus Sicht von de Kerchove ist aber, dass das Europäische Parlament das PNR seit zwei Jahren blockiert. "Die Praktiker vor Ort wissen, dass die Passagierdaten-Erfassung einer der wenigen Mechanismen ist, der es erlaubt, die geplanten Reisen nach Syrien oder in den Irak von uns noch unbekannten Verdächtigen zu ermitteln. Wir könnten bald vor dem Problem stehen, dass die Zahl der Rückkehrer steigen wird, auch wegen der Luftangriffe gegen IS. Deshalb müssen wir vorbereitet sein, um Rückkehrer zu erkennen" mahnte de Kerchove. Mit dem Europäischen Parlament sollten jetzt "pädagogische" Anstrengungen unternommen werden, um datenschutzrechtliche Bedenken bei den Abgeordneten auszuräumen. Sicher ist nur, dass die Einrichtung eines PNR-Systems, wie die USA es nach den Terroranschlägen von 2001 eingeführt haben, geraume Zeit in Anspruch nehmen würde.
Zusammenarbeit mit Internet-Konzernen
Die Sympathie-Werbung für den IS im Internet soll mit allen rechtlichen Mitteln unterbunden werden. Um langwierige Verfahren zu vermeiden, setzen die EU-Innenminister auf freiwillige Kooperation mit den großen Internet-Konzernen. Google, Microsoft, Facebook und Twitter sagten bei einem informellen Abendessen in Luxemburg zu, dass illegale Postings zum IS in sozialen Netzwerken oder auch ganze Web-Seiten gelöscht oder blockiert werden sollen. "Das wird die IS-Propaganda im Netz zwar nicht verhindern, aber doch erschweren", sagte dazu ein deutscher Sicherheitsexperte in Luxemburg. Die IS-Anhänger wichen schon heute auf alternative Anbieter wie zum Beispiel ein soziales Netzwerk in Russland aus.