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PolitikEuropa

EU will Gaspreise senken - aber wie?

Barbara Wesel
7. Oktober 2022

Bei ihrem Treffen in Prag stritten die EU-Regierungschefs erneut über Lösungen für die Energiekrise. Eine Mehrheit will die Preise deckeln, Deutschland aber schlägt vor, gemeinsam mit den Anbietern zu verhandeln.

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EU-Gipfel in Prag 7.10.2022
Bundeskanzler Olaf Scholz will keinen Gaspreisdeckel auf EU-EbeneBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Am Ende landete die heiße Kartoffel wieder bei der EU-Kommission: Sie soll bis zum nächsten formellen Gipfel in zehn Tagen einen Vorschlag machen, wie die diversen Ideen der Regierungschefs unter einen Hut gebracht werden können. Einen langen Nachmittag hatten sie in Prag darauf verwendet, ihre Ideen auszutauschen, wie die hohen Gaspreise auf ein erträgliches Maß gebracht werden könnten. "Gas ist zu teuer", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz dazu lapidar, aber es gehe jetzt nicht um Ideologien. Dabei gibt es weiter Streit um den richtigen Weg.  

Vereinbarungen unter Freunden

Der deutsche Bundeskanzler widerspricht vehement der Mehrheit seiner europäischen Kollegen, die seit Wochen einen Gaspreisdeckel auf EU-Ebene fordern. Sein Gegenargument ist einfach: Wenn wir Lieferländern erklärten, wir würden zum Beispiel nur noch einen begrenzten Preis von bis zu 120 Euro pro Megawattstunde bezahlen, würden sie das knappe Gut an andere Abnehmer auf der Welt verkaufen und wir könnten am Ende ohne Gas dastehen. Olaf Scholz pocht dagegen auf eine Lösung, die Liefersicherheit bieten soll.

Er will sich deshalb gemeinsam mit der EU und darüber hinaus weltweit auch mit Japan und Südkorea in einer Art Käuferkartell absprechen - ohne es so zu nennen - und Vereinbarungen mit befreundeten Lieferländern wie Norwegen, den USA oder Kanada über längerfristige Lieferverträge treffen. Man habe in Europa zu viel auf Spotmärkte und kurze Verträge gesetzt, kritisierte Scholz. Der norwegische Regierungschef hatte sich in Prag für solche Deals offen gezeigt. Dabei solle es um ein verhandeltes Niveau für einen "erträglichen" Gaspreis gehen. Der Kanzler scheut Markteingriffe, wie einen Preisdeckel, weil sie seiner Auffassung an einem knappen Markt gegen Europa zurückschlagen könnten.

Deutschland | Gaszähler
Die EU hält die Gaspreise für unerträglich hoch - aber sie streitet über eine Lösung für die KriseBild: Jens Niering/picture alliance

Der lettische Premier Krisjanis Karins brachte das Problem auf den Punkt: "Ein Preisdeckel für Gas wäre großartig, wenn wir ihn hätten - unter der Voraussetzung dass wir die Liefersicherheit nicht gefährden. Wir können also keinen Preis so festsetzen, dass niemand mehr Gas an Europa verkauft."

Die EU-Kommissionschefin wiederum sieht Fortschritt bei der Diskussion über die Gaspreise, selbst wenn am Ende dabei ein Preiskorridor herauskommen sollte, wie sie ihn bereits vor ein paar Tagen vorgeschlagen hat. Es ist ein ähnlicher Ansatz wie ihn Bundeskanzler Scholz vertritt, und Ursula von der Leyen hat bereits einen Brief an "freundliche" Lieferländer geschickt, um einen möglichen Preiskorridor auszuloten. Der Unterschied: Der Kanzler beharrt darauf, unbedingt weitere internationale Partner einzubeziehen, um die gemeinsame Marktmacht zu erhöhen.

In den nächsten Wochen will von der Leyen zusätzliche Vorschläge machen, wie die Gaspreisbegrenzung abgewickelt werden kann. "Bis zum Frühjahr müssen wir eine gemeinsame Einkaufsvereinbarung haben, damit wir uns nicht gegenseitig überbieten."

EU-Gipfel in Prag 7.10.2022
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss zwischen den zerstritten EU-Ländern vermitteln Bild: Michal Krumphanzl/dpa/picture alliance

Abgesehen davon zeigt sie sich optimistisch, was die Aussichten für die nächsten Monate angeht: "Wir sind gut auf den Winter vorbereitet, wir haben stark diversifiziert, weg von Russland (seinen Energielieferungen, Anm. d. Red.) und unsere Speicher sind fast 90 Prozent gefüllt".

Deutschland in der Kritik

Am lautesten hatte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in Prag gegen Deutschlands Pläne zur nationalen Bewältigung der Energiekrise gepoltert, die die Bundesregierung in der vorigen Woche veröffentlicht hatte. "Doppelwumms" hatte der Kanzler das 200 Milliarden starke Hilfspaket für deutsche Verbraucher und die einheimische Industrie genannt. Es war auf einigen Unmut in der EU gestoßen, aber Morawiecki schoss aus allen Rohren auf Berlin: "Es darf nicht sein, dass die Energiepolitik der Europäischen Union unter dem Diktat Deutschlands umgesetzt wird", sagte Morawiecki gleich zu Beginn der Gespräche in Prag. Berlin nutze die gewaltige Kraft seiner Wirtschaft und seines Kapitals, und stelle enorme Mittel bereit, um allein seiner Industrie zu helfen.

Der Bundeskanzler reagierte gelassen auf die polnische Attacke. Man habe diese Art von "Missverständnissen" bei der Aussprache am Freitag ausgeräumt, erklärte er. Außerdem hätten andere Länder wie etwa Spanien oder Frankreich ähnliche Programme.

Das Problem liegt hier wohl in der Vermittlung. Dass Berlin ausgerechnet vor einem wichtigen Treffen der EU-Energieminister mit seinem Mega-Paket angetreten war und die Partner nicht im vorab informiert hatte, sorgte für Verärgerung. Diesen dürfte Olaf Scholz wohl nur mittelfristig und mit einiger Seelenmassage der Partner überwinden können.

Polen | Mateusz Morawiecki
Der polnische Premier Mateusz Morawiecki profiliert sich als unversöhnlicher Kritiker Kritiker Deutschlands Bild: Beata Zawrzel/NurPhoto/IMAGO

Denn sogar die EU-Kommissionspräsidentin ging verhalten kritisch auf den Streit um das deutsche Hilfspaket ein. "Unser größter Schatz in Krisenzeiten ist der Binnenmarkt. Wir müssen faire Wettbewerbsbedingungen garantieren und Verzerrungen vermeiden", sagte die Kommissionspräsidentin. Es dürfe nicht sein, dass Unternehmen großer Länder die Energiekrise besser überleben können als die Firmen wirtschaftlich schwächerer Mitglieder. 

Deshalb fordert eine Reihe von EU-Ländern, darunter Italien und Frankreich, einen neuen europäischen Krisenfonds, um Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszugleichen.

Bundeskanzler Olaf Scholz aber lehnt neue EU-Kredite rundweg ab: "Wir haben den Wiederaufbau-Fonds, von dem bislang nur ein Bruchteil ausgegeben ist." Es seien noch 600 Milliarden aus den Corona-Mitteln übrig, so der Kanzler. Er sieht keine Probleme darin, dass die Mitgliedsländer diese Gelder umdefinieren und zur Bewältigung der Energiekrise einsetzen.

Beim nächsten Gipfel der EU-Regierungschefs in Brüssel will man bereits konkrete Lösungen beschließen, wie die Gaspreise begrenzt und darüber hinaus der Strommarkt neu geordnet werden könne. Die Experten in der EU-Kommission werden wohl bis dahin entgegen aller Sparappelle ihre Bürobeleuchtung und ihre Computer im Dauerbetrieb halten - denn: "Es ist viel Arbeit zu leisten", so Ursula von der Leyen. Eine Formel, auf die sich nach dem Prager Treffen alle einigen können.