EU hilft Ukraine
15. Dezember 2014"Wir haben heute bei Wasser und Brot verhandelt", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mit einem Schmunzeln nach der Sitzung der europäischen Außenminister in Brüssel. Das hatte aber nichts mit der Qualität der Beratungen zu tun, sondern mit dem Generalstreik in Belgien. Köche und Kantinenpersonal des Rates waren im Ausstand. Ohne Verpflegung berieten die Außenminister mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Pavlo Klimkin über die wirtschaftliche Lage, die wegen des Konflikts mit Russland um die Ostukraine und die Krim immer schwieriger wird. Der ukranische Premierminister Arsenij Jazenjuk, der zum ersten förmlichen Assoziierungssrat zwischen der Ukraine und EU auf Ministerebene angereist war, sprach von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit seines Landes. Die Ukraine braucht nach Schätzung des Regierungschefs im kommenden Jahr 15 Milliarden Euro zusätzlich zu den bereits bewilligten Krediten des Internationalen Währungsfonds in Höhe von 16 Milliarden US-Dollar.
Ukraine soll Korruption einschränken
Die urkrainische Seite drängt auf eine internationale Geberkonferenz, um Geld einzusammeln. Die EU zögert noch. Von den elf Milliarden Euro, die die EU im Frühjahr zugesagt hatte, ist erst ein kleiner Teil geflossen. Die Europäer beteiligen sich an der Begleichung von Rechnungen für Gaslieferungen aus Russland an die Ukraine. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier machte deutlich, dass es mehr Geld von der EU nur gegen einschneidende Wirtschaftsreformen in der Ukraine geben könne. Jede Hilfszahlung müsse ja schließlich den Menschen in Europa erklärt und begründet werden. "Das wird man nur begründen können, wenn die ukrainische Regierung sich darum bemüht, die administrativen Reformen so durchzuführen, dass wir auch sicher sein können, dass die Hilfe ankommt und nicht in Kanälen verschwindet, die wir nicht beobachten können", so Steinmeier vor Journalisten.
Staatliche "Naftogaz" soll mit EU-Kredit Pipelines renovieren
Klimkin sagte zu, dass die wichtigsten Reformen jetzt von der neuen Regierung in Kiew angepackt würden. "Die nächsten sechs Monate sind entscheidend", sagte Klimkin. Die wichtigste staatliche Firma in der Ukraine, der Gas-Transporteur "Naftogaz", hat in diesem Jahr Verluste in Höhe von 5,6 Milliarden Euro eingefahren. Der seit März amtierende Firmen-Chef, Andrij Kobolew, sagte der DW, er sei zuversichtlich, dass er im nächsten Jahr die Wende schaffen und das Unternehmen in die Gewinnzone führen könne. Die Regierung in Kiew hat eine Privatisierung des Monopolisten "Naftogaz" ins Auge gefasst, der einerseits die Ukraine mit Gas versorgt und andererseits für den Transport von russischem Gas nach Europa verantwortlich ist. Kobolew will jetzt europäische Partnerfirmen am Gasgeschäft beteiligen: "Das joint venture soll den Gastransport profitabler machen. Außerdem wird ein respektabler Partner, möglicherweise aus Europa, mehr Vertrauen bei unseren Endkunden in der EU auslösen. Diese Jungs würden nämlich sicherstellen, dass unser System effizient, verlässlich und transparent wird."
"Ukraine muss wirtschaftlich lebensfähig werden"
Von der europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung erhält "Naftogaz" einen Kredit von 150 Millionen Euro um dringende Modernisierungsarbeiten an der größten Transit-Pipeline quer durch die Ukraine ausführen zu lassen. Die Kreditvereinbarung wurde am Montag in Brüssel unterzeichnet. Sie ist ein Baustein aus dem Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine, das das Land auf eine mögliche Mitgliedschaft in der Union vorbereiten soll. Die ukrainische Regierung will den Gaspreis für die Kunden in der Ukraine um 40 Prozent erhöhen, um von den hohen Subventionen an "Naftogaz" wegzukommen. "Wir wissen, dass wir den Menschen einiges zumuten müssen, aber wir haben keine andere Wahl", heißt es zu diesem Schritt aus der ukrainischen Delegation. Auch der Außenminister von Österreich, Sebastian Kurz, möchte, dass die Ukraine wirtschaftliche Reformen durchzieht. "Andererseits geht es natürlich auch darum, wie sich die Ukraine selbst entwickelt, unabhängig vom Konflikt im Osten der Ukraine. Da ist, meiner Meinung nach, eine Verfassungsreform nötig. Man braucht Reformen in der Wirtschaft, damit die Ukraine wirtschaftlich überlebensfähig ist. Und man braucht den Kampf gegen Korruption. All das hat sich die neue Regierung vorgenommen und das muss jetzt auch umgesetzt werden."
Der Chef von "Naftogaz" ist zuversichtlich, dass die Regierung in Kiew diese Botschaft verstanden hat. Sie achte jetzt mehr darauf, ein verlässlicher und glaubwürdiger Partner zu sein, so Kobolew. In diesem Winter wolle er alle Gasrechnungen beim russischen Lieferanten "Gazprom" pünktlich bezahlen. Langfristig werde der Gaspreis sinken und die Ukraine könnte bessere Bedingungen aushandeln, vermutet Kobolew. Zumindest in den nächsten Monaten sollte es keinen Preiskrieg oder Lieferstopp geben. "Wir sind vorsichtig optimistisch. Die Vereinbarungen sind immer noch ziemlich zerbrechlich. Alle Seiten müssen ihre Verpflichtungen jetzt auch wirklich einhalten, damit das alles funktioniert", sagte Koboljew der Deutschen Welle.
Kritik aus Moskau und Hoffnung auf "Entflechtung"
Russland hat das Assoziierungsabkommen und den in Brüssel dazu tagenden Assoziierungsrat wiederholt kritisiert. Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew kündigte in einem Zeitungsartikel, das bisherige "brüderliche" Verhältnis zur Ukraine auf. Man werde die Wirtschaft nicht mehr stützen und neue Sanktionen verhängen. "Ehrlich gesagt, wir haben es satt", schrieb Medwedew. Neue Wirtschaftssanktionen gegen Russland werde die EU bei ihrem Gipfeltreffen Ende der Woche voraussichtlich nicht beschließen, kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin an. Ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier sah in Brüssel sogar eine militärische Beruhigung in der Ost-Ukraine in den vergangenen Tagen. "Aber wir sind lange noch nicht übern Berg", schränkte Steinmeier ein. Die EU-Außenminister sprachen sich dafür aus, jetzt schnell eine "Demarkationslinie" oder "Entflechtungslinie" zwischen den ukrainischen Regierungstruppen und den pro-russischen Rebellen auszuhandeln. Das wäre ein wichtiger Schritt zu einem Waffenstillstand und zur Umsetzung des Friedensplanes, den beide Seiten im September in Minsk vereinbart hatten, meinte der Außenminister von Luxemburg, Jean Asselborn: "Ich hoffe, dass jetzt bald etwas Entscheidendes geschieht, weil man sich bewußt ist, dass man das Problem nicht mit Waffengewalt löst. Im Kreml und in Kiew sollte man zusammen mit der EU vor allem versuchen, diplomatisch wieder Tritt zu fassen. Das wäre machbar, wenn eine klare Demarkationslinie für den Waffenstillstand festgelegt werden könnte." Bundesaußenminister Steinmeier sprach sich dafür aus, noch vor Weihnachten eine entsprechende Vereinbarung auszuhandeln und zumindest kleine Schritte voranzugehen.