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Russland: Eindämmen oder Einbinden?

Richard A. Fuchs, Berlin 8. Dezember 2014

Noch kommt die Debatte nicht in Gang, die sich 60 Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Medien in Deutschland wünschen. In einem öffentlichen Appell haben sie vor einer "Dämonisierung" Russlands gewarnt.

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Flagge neben der Kreml-Kirche in Moskau (Foto: dpa)
Ein anderes Russland-Bild: 60 Prominente wollen ein Ende der Kriegsrhetorik zwischen "dem Westen" und RusslandBild: picture-alliance/dpa
"Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" – mit diesem Slogan will eine Gruppe von 60 Persönlichkeiten in Deutschland eine Debatte über eine neue Russland-Politik anstoßen. Die Unterzeichner, darunter eine Vielzahl früherer Politiker, aber auch Journalisten, Künstler und Personen des öffentlichen Lebens, fordern die Bundesregierung auf, Russland nicht weiter zu isolieren sondern mit einer "neuen Entspannungspolitik" einzubinden. "Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden", heißt es im Wortlaut des Appells, der am vergangenen Freitag auf der Webseite von "Zeit Online" veröffentlicht wurde. Initiiert wurde der Appell vom früheren Kanzlerberater Horst Teltschick (CDU), vom ehemaligen Verteidigungsstaatssekretär Walther Stützle (SPD) und von der früheren Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen). Die Bundesregierung reagierte bislang nicht auf den öffentlichen Aufruf. Und auch in den Medien wird der Appell bislang nur vereinzelt aufgegriffen.

Polenz: Russlands Rolle als Aggressor ignoriert

Ruprecht Polenz, der ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, hält den Appell für ein Dokument ohne Realitätssinn. So werde - entgegen des Wortlauts im Appell - in Europa längst wieder Krieg geführt. Es handle sich dabei um "eine kaum verdeckte militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine", schreibt Polenz in einem Gastkommentar auf "Zeit Online" vom Montag. "Wacht endlich auf", ruft der heutige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde deshalb den Unterzeichnern des Appells zu. Denn statt nur auf das legitime Sicherheitsbedürfnis der Russen zu verweisen, so Polenz, gelte es auch die tief sitzenden Befürchtungen der östlichen Nachbarländer Deutschlands im Blick zu behalten. So verliere der Appell über die legitimen Sicherheitsinteressen der Ukraine kein Wort, kritisiert Polenz das Dokument, hinter dem sich eine bunte Schar von Unterstützern verbirgt.

Ruprecht Polenz, ehemaliger CDU-Außenpolitiker (Foto: dpa)
Hält den Appell für geschichtsvergessen: Ruprecht Polenz, ehemaliger CDU-AußenpolitikerBild: picture-alliance/dpa

Darunter sind politische Schwergewichte wie Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, Alt-Bundespräsident Roman Herzog oder Lothar de Maizière, der letzte Ministerpräsident der DDR. Darunter sind aber auch Schauspieler und Künstler wie Mario Adorf, Klaus Maria Brandauer und Regisseur Wim Wenders. Und darunter sind Vertreter von Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft. Die ehemalige evangelische Bischöfin Margot Käßmann unterstützt das Dokument, ebenso wie der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes oder der Kabarettist Georg Schramm. "Für mich war es sehr wichtig aus einer politischen Sackgasse herauszukommen", sagt Regisseur Andres Veiel im DW-Interview zu seiner Motivation, den Aufruf namentlich zu bekräftigen. "Es fehlt eine Perspektive und dieser Aufruf versucht, diese Perspektive wieder herzustellen."

Ex-Kanzler Gerhard Schröder (Foto: dpa)
Prominenter Russland-Freund: Ex-Kanzler Schröder hält seit Jahren beste Kontakte in den KremlBild: picture-alliance/dpa/ Jens Büttner

Russland eindämmen oder einbinden?

Im Appell werden die deutsche Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages deshalb dazu aufgerufen, über die "Friedenspflicht" der deutschen Politik gegenüber Russland zu wachen. "Einbinden statt ausschließen muss das Leitmotiv deutscher Politiker sein", heißt es darin wörtlich. Statt gegenseitiger Schuldzuweisungen zwischen dem Westen und Russland gelte es, so die Unterzeichner, Signale der Entspannung auszusenden. Und auch die Medien und ihre Rolle als Vermittler werden von Unterzeichnern des Aufrufes in den Blick genommen. So werden die deutschen Medienvertreter dazu angehalten, künftig deutlich vorurteilsfreier als bisher über Russland zu berichten. Der Vorwurf: "Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen."

Der Osteuropa-Experte und Historiker Karl Schlögel hält den Appell nicht nur wegen dieser Medienschelte für ein "peinliches Dokument". In einem Essay für die Zeitung "Die Welt" kritisiert er die gemachten Vorwürfe an die deutsche Presse und Politik scharf: "Was ist das, wenn nicht der Versuch, die Arbeit von Journalisten zu beeinflussen, ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden und auf sie Druck auszuüben." Statt eines Beitrags zu einer Versachlichung der Russland-Debatte bezeichnet Schlögel den Appell als Dokument der Geschichtsvergessenheit, ein Sammelsurium, das "Plattitüde über Plattitüde" aneinanderreihe. "Es ist in diesem Aufruf von einer 'Ukraine-Krise' die Rede, wo es sich um einen unerklärten Krieg Russlands gegen die Ukraine handelt", sagt Schlögel. Dem im Russland-Appell erweckten Eindruck, der "Westen" trage an der aktuellen "Krise" mit Russland eine Mitschuld, entgegnet der Historiker: "Niemand hat sich so sehr um die Aufrechterhaltung des Gesprächs gekümmert wie die für ihre geduldigen Telefonate gerühmte Bundeskanzlerin".

Medienecho bleibt verhalten

Historiker Karl Schlögel (Foto: dpa)
Russlands Handeln ist maßgeblich für die Krise: Historiker Karl SchlögelBild: picture-alliance/dpa

Auch wenn es den einzelnen Beiträgen in dieser Debatte nicht an Brisanz und Zuspitzung mangelt: Insgesamt war das Medienecho auf den Appell bislang bescheiden. Nur wenige Zeitungen und Radiosender griffen das Thema auf, viele Nachrichtenkanäle und deutsche Leitmedien übergingen das Thema ganz. Und auch aus den letzten Äußerungen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nicht abzulesen, dass sie sich dem Wortlaut des Aufrufs anschließen würde. Erst am Wochenende verteidigte sie ihre neue, scharfe Kritik am Kurs von Präsident Wladimir Putin. "Ich bin überzeugt, dass die gemeinsame europäische Antwort auf Russlands Handlungen richtig ist", sagte die CDU-Politikerin der Zeitung "Welt am Sonntag". Merkel kritisiert in dem Interview Russlands Umgang mit anderen Staaten. "Mit Moldau, Georgien, und der Ukraine haben drei Länder aus unserer östlichen Nachbarschaft aus eigener souveräner Entscheidung ein Assozierungsabkommen mit der EU unterschrieben. Diesen drei Ländern bereitet Russland Schwierigkeiten".