Mit Kanonen auf Schlepper?
11. Mai 2015Unter der Führung Großbritanniens haben einige EU-Mitgliedsstaaten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen ersten Resolutionsentwurf formuliert, um Menschenschmuggler an der Küste Libyens zu bekämpfen. Der Entwurf soll an diesem Montag dem Sicherheitsrat vorgelegt werden. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini wird den Antrag in New York persönlich begründen und die Situation im Mittelmeer schildern. Eine Abstimmung wird heute nicht erwartet. Der Entwurf soll zunächst in informeller Sitzung diskutiert werden, hieß es vom Sitz der UN in New York. Mogherini gab sich nach einer China-Reise zuversichtlich, dass sie chinesische Bedenken gegen eine Resolution zerstreuen könne. Aus dem italienischen Außenministerium in Rom hieß es, auch Russland werde wohl kooperieren. China und Russland müssen als ständige Mitglieder des Sicherheitsrates einer möglichen Resolution zustimmen.
"Den Krieg erklären"
Die Europäische Union hatte sich bei ihrem Gipfeltreffen am 23. April vorgenommen, künftig Schmugglerboote, die illegal Flüchtlinge nach Italien transportieren sollen, schon unmittelbar an der libyschen Küsten oder gar schon an Land aufzuspüren und wenn möglich zu zerstören. Dazu ist völkerrechtlich ein Mandat der Vereinten Nationen nötig, weil die EU die Hoheitsrechte des - wenn auch dysfunktionalen - Staates Libyen verletzen würde. Die EU strebt ein Mandat nach Artikel VII der UN-Charta an, das sie zu "allen notwendigen Maßnahmen" ermächtigt, um das "Geschäftsmodell der Menschenschlepper zu zerstören".
Der EU-Kommissar für Flüchtlingsfragen und Einwanderung, Dimitris Avramopoulos, möchte systematisch nach Schlepperbooten suchen, die Schmuggler verhaften und auch Boote und Anlagen der Schlepper an Land in Libyen zerstören lassen. "Europa hat den kriminellen Banden bereits den Krieg erklärt, die unschuldige Menschen ausbeuten und oft in den Tod schicken. Wir werden nicht tatenlos zuschauen. Mit starkem politischem Willen, Entschlossenheit und neuen Methoden sowie mehr Einsatzmitteln werden wir sie zur Strecke bringen", sagte Avramopoulos bereits im April.
Vorbild Anti-Piraten-Mission
Die EU möchte die neue Anti-Schmuggel-Mission ähnlich aufbauen wie die Mission "Atalanta" vor Somalia, mit der Piraten bekämpft wurden. "Atalanta" war im Sommer 2008 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gebilligt worden. Es war das erste Mal, dass die Vereinten Nationen den Artikel VII heranzogen und die Souveränität eines Landes massiv beschnitten, indem sie Kriegsschiffe dorthin entsandten. Allerdings hatte die damalige Führung in Somalia der Bekämpfung der Piraten zugestimmt. Anders die Lage jetzt in Libyen. Dort gibt es zwei konkurrierende Regierungen und eine Reihe von Rebellengruppen, die sich gegenseitig bekämpfen. Die Versuche, die verschiedenen libyschen Bürgerkriegsparteien an einen Tisch zu bekommen, könnten durch eine Militäraktion scheitern, fürchten Kritiker. Die westlichen Staaten hatten mit Luftschlägen 2011 zum Sturz des libyschen Diktators Muammar al Gaddafi beigetragen. Auch damals hatten die Vereinten Nationen ein Mandat erteilt.
In Brüssel befürchten nach einem Bericht der britischen Zeitung "Guardian" EU-Diplomaten, dass Rebellengruppen, die an dem Schmuggelgeschäft mitverdienen, Gegenangriffe starten könnten. Die zum Teil schwer bewaffneten Rebellen könnten mit Raketen, Artillerie und Flugabwehrgeschossen Schiffe und Flugzeuge der EU vor der libyschen Küste angreifen. Die Lage könnte eskalieren und ein Eingreifen der NATO nötig machen.
Nach den Plänen der Europäischen Union soll Italien das militärische Kommando über die Anti-Menschenhändler-Mission führen. Großbritannien würde ein Kriegsschiff und Hubschrauber stellen. Weitere fünf Länder hätten bereits ihre Beteiligung zugesagt, heißt es in Brüssel. EU-Kommissar Avramopoulos will nicht nur die militärische Komponente stärken, sondern auch die Strafverfolgung verbessern. Nach Erkenntnissen der Grenzschutzagentur Frontex gibt es auch Verbindungen zwischen Schmugglerbanden und organisiertem Verbrechen in Europa, etwa der Mafia in Italien. "Europa muss an beiden Ufern des Mittelmeeres seine Anstrengungen bündeln, um gegen Schmuggler zu kämpfen. Die europäischen Agenturen - wie die Behörde für Asylverfahren auf Malta, die Grenzschutzagentur Frontex, die Polizeibehörde Europol und die europäische Staatsanwaltschaft Eurojust - sind bereit, vor Ort noch enger mit den Mitgliedsstaaten zusammenzuarbeiten", betonte Avramopoulos bei einem Besuch auf Malta.
"Was soll das lösen?"
Viele Kritiker bezweifeln, ob sich die Schleusung von Flüchtlingen tatsächlich mit militärischen Mitteln unterbinden lässt. Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ist nicht überzeugt. Er warnt, dass Angriffe auf Boote den Fischern an der libyschen Küste ihre Lebensgrundlage rauben könnte. Die Fischer wären dann vielleicht gezwungen, noch enger mit den Schleuserbanden zu kooperieren. Der Bürgermeister der libyschen Hauptstadt Tripolis, Mahdi al Harati, erklärte der Zeitung "Malta Times", es lebten Frauen und Kinder an der Küste, wo die Boote starten. "Selbst wenn sie nur auf die Boote zielen, was wird das lösen? Die Schmuggler werden ihr Geschäft woanders hin verlagern."
Ein Sprecher der Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtete am Wochenende in Tripolis, die Migranten flöhen vor den menschenunwürdigen Zuständen und der Gesetzlosigkeit in Libyen auf die Boote. Werde dieser Weg nun auch noch abgeschnitten, dann würden die Flüchtlinge in Libyen "attackiert, misshandelt und ausgebeutet", so Philip Luther von Amnesty. Es fehlten legale Wege, um nach Europa zu gelangen.
Die Europäische Union ist sich bewusst, dass die mögliche Bekämpfung der Schmuggler nur ein kleiner Baustein in einer größeren Strategie sein kann. "Wir müssen sehr klar aussprechen und anerkennen, dass der Flüchtlingsstrom nicht so bald abebben wird", räumt der zuständige EU-Kommissar Avramopoulos ein. "Der Krisenbogen, der Europa umgibt, wird weiter Flüchtlinge generieren. Eine Stabilisierung der Lage gelingt nur auf lange Sicht. Deshalb müssen wir vom Notfallmodus auf langfristige, strukturelle Lösungen umschalten."
Als weiteren Teil der Lösung will die EU-Kommission am kommenden Mittwoch ein Quotensystem zur Verteilung von geretteten Flüchtlingen auf alle Mitgliedsstaaten der EU vorschlagen. Bislang nehmen nur wenige Staaten Flüchtlinge und Asylbewerber in nennenswertem Umfang auf. Italien zum Beispiel lässt derzeit die Flüchtlinge nach Norden weiterreisen, obwohl es nach der sogenannten Dublin-III-Verordnung eigentlich verpflichtet wäre, die Migranten zu registrieren und deren Asylanträge zu bearbeiten.
Ein Quotensystem ist in der EU aber höchst umstritten. Großbritannien, Finnland und eine Reihe osteuropäischer Staaten lehnen es kategorisch ab, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Nach dem Wahlsieg der Konservativen in Großbritannien erklärte ein Sprecher des Innenministeriums: "Wir wehren uns gegen jeden Vorschlag zur Verteilung von Flüchtlingen, der nicht auf freiwilligen Vereinbarungen beruht." Der national-konservative ungarische Premierminister Viktor Orban nannte die Pläne der EU-Kommission schlicht "eine verrückte Idee".