EU und NATO ringen um ihre Verteidigungspolitik
21. Oktober 2003Zentraler Streitpunkt des Treffens zwischen NATO- und EU-Vertretern in Brüssel (20./21.10.2003) ist der Wunsch der europäischen Staaten, der Union auch militärisch ein gebührendes Eigengewicht zu verleihen. "Seltsam" wäre es, so der Präsident des EU-Militärkomitees, General Gustav Hagglund, wenn der EU mit ihren zukünftig 450 Millionen Einwohnern "keinerlei militärische Hilfsmittel" zur Verfügung stünden.
Wie man die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik stärken könnte, hatten Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg bereits beim so genannten "Pralinengipfel" im April 2003 erläutert. Ein eigener Planungs- und Führungsstab stand dabei ganz oben auf der Wunschliste.
Ohne NATO handeln können
Ziel einer verstärkten Zusammenarbeit sei es, auch ohne die Beteiligung der NATO eigenständig Militäreinsätze durchführen zu können. Ein Hauptquartier im belgischen Tervuren, vor den Toren Brüssels, sollte nach dem Willen der vier Staats- und Regierungschefs die Ressourcen bündeln. Zentrale Aufgaben sollten nicht mehrfach bei den einzelnen Mitgliedsstaaten, sondern auf EU-Ebene angesiedelt sein.
In Washington lösten die Pläne für einen vermeintlichen Gegenpol zur NATO Unbehagen aus. Der US-Botschafter bei der NATO, Nicholas Burns, nannte die Bestrebungen der Europäer "die derzeit bedeutendste Bedrohung" für die Zukunft des Nordatlantik-Pakts. Washington befürchtet, dass parallele Strukturen aufgebaut werden könnten, welche die NATO überflüssig machten.
Kritik aus Großbritannien
Großbritannien, gefangen im Spannungsfeld zwischen Amerika und Europa, versucht zu vermitteln. "Niemals" werde man ein europäisches Verteidigungsprojekt akzeptieren, das die NATO gefährde, stellte Tony Blair auf dem am Freitag (17.10.03) zu Ende gegangenen EU-Gipfel in Brüssel klar. Bereits im Vorfeld hatte britischer Protest die Pläne des "Pralinengipfels" vom Frühjahr zerschlagen. Von einem eigenen Hauptquartier ist längst keine Rede mehr.
EU-Ratspräsident Silvio Berlusconi fand indes versöhnliche Worte. Es herrsche völlige Übereinstimmung, dass die geplante Zusammenarbeit "eine Ergänzung, keine Alternative" zur NATO sei. Im Rahmen des Abkommens "Berlin plus" darf die EU bislang die Strukturen der NATO mitbenutzen.
EU braucht Militär
Zugleich zeigte der Gipfel jedoch die Überzeugung der europäischen Staaten, auf dem richtigen Weg zu sein. "Alle Mitgliedsstaaten sind sich einig, dass die Europäische Union militärische Fähigkeiten benötigt", betonte der EU-Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana.
Niemandem sei dabei der Weg versperrt, an dem Prozess teilzuhaben. Allerdings sei denkbar, dass einige Länder mit dem Aufbau der neuen Institutionen vorangingen. "Dies war bereits im Rahmen der Währungsunion der Fall", erinnerte Solana. Eine Verteidigungsunion ohne Großbritannien sei allerdings "in sich nicht schlüssig", steuerte Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac dagegen.
Planungszelle statt Hauptquartier
Indes machen neue Vorschläge die Runde. Bei der Sitzung des NATO-Rats am Montag (20.10.2003), die auf Wunsch der USA und gegen den Protest der Europäer einberufen worden war, setzte sich Großbritannien für den Aufbau einer "EU-Planungszelle" ein. Diese soll den Europäern unter dem Dach des militärischen NATO-Hauptquartiers im südbelgischen Mons einen größeren eigenen Spielraum verschaffen. Auch ein EU-eigener Planungsstab im Rahmen der NATO ist in der Diskussion.
Doch würden sich die anderen EU-Staaten unter dem Druck der USA und Großbritanniens damit immer mehr von ihrem eigentlichen Ziel entfernen, "in Fällen, in denen die NATO nicht beteiligt ist, EU-geführte militärische Operationen einzuleiten und durchzuführen." So hatte man beim Helsinki-Gipfel 1999 die bevorstehende Aufgabe definiert.
Am Dienstag (21.10.2003)muss die EU der NATO erklären, welche Vorteile die NATO aus einer "strukturierten" Zusammenarbeit der europäischen Staaten in der Verteidigungspolitik ziehen kann. Überzeugt sie, so könnte sie doch noch ihr Ziel erreichen.