EU sucht Wege für ukrainischen Weizen
20. Juni 2022"Das Problem entsteht durch die russische Blockade von ukrainischem Getreide", sagte der oberste EU-Diplomat Josep Borrell beim Treffen der Außenminister der Europäischen Union am Montag in Luxemburg. Damit machte er noch einmal klar, wer seiner Meinung nach Schuld ist an der sich abzeichnenden weltweiten Getreidekrise.
Etwa 20 Millionen Tonnen Getreide in ukrainischen Lagerstätten sind nach Schätzungen von UN-Agenturen betroffen. "Millionen von Menschen werden diesen Weizen nicht essen können", warnte der EU-Außenbeauftragte und forderte Russlands Regierung erneut auf, die Blockade aufzugeben. Der Krieg werde "dramatische Konsequenzen" für die Welt haben, so Borrell: "Wir müssen erneut vor dem Risiko einer Hungersnot warnen, vor allem in Afrika."
Borrell wirft Russland Kriegsverbrechen vor
Europäische Union und Vereinte Nationen arbeiten an einer Lösung: Es soll mit Russland und der Ukraine eine Art sicherer Korridor ausgehandelt werden für Schiffe, die Getreide - vor allem aus Odessa - durch das Schwarze Meer transportieren.
Borrell sagte in Luxemburg auf eine Frage der DW, es gebe Fortschritte und er sei sich sicher, dass die Vereinten Nationen ein Abkommen zustande bringen würden: "Ich hoffe, dass niemand am Ende in der Lage sein wird, dem Druck der internationalen Gemeinschaft zu widerstehen." Alles andere sei eigentlich undenkbar, so der EU-Chefdiplomat weiter. "Man kann sich nicht vorstellen, dass Millionen Tonnen von Weizen in der Ukraine blockiert werden, während der Rest der Welt hungert. Das ist ein wirkliches Kriegsverbrechen. Russland müsste sich dafür verantworten. Man darf Hunger nicht als Waffen benutzen."
Der russische Machthaber Wladimir Putin hatte vergangene Woche behauptet, der Westen sei mit seinen Sanktionen gegen Russland für die sich abzeichnende Hungerkrise verantwortlich. Die russische Regierung behauptet außerdem, dass russische Exporte von Getreide und Düngemitteln nicht mehr möglich wären.
Borrell weist diese Darstellung zurück: "Der Krieg verursacht Preisanstieg und Knappheit bei Energie und Nahrungsmitteln. Ich bestehe darauf, dass die europäischen Sanktionen, die Krise nicht auslösen. Wir zielen mit Sanktionen nicht gegen Nahrung oder Düngemittel. Jeder, der in Russland Nahrung oder Dünger kaufen will, kann das tun. Keine Beschränkungen, sie können kaufen, transportieren, versichern."
Werden Häfen zugänglich gemacht?
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte versichert, Russland werde den Weizenexport aus ukrainischen Häfen ermöglichen. Die Ukraine wirft Russland inzwischen vor, Weizen aus den umkämpften oder besetzten Gebieten zu stehlen und nach Russland zu schaffen. Die Türkei hat sich als Vermittler angeboten. Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu sagte, man arbeite an einer Lösung, die es nicht erforderlich machen würde, die Seeminen vor den ukrainischen Häfen zu räumen. Die Türkei ist Anrainer des Schwarzen Meeres und garantiert seerechtlich die freie Durchfahrt vom Schwarzen ins Mittelmeer.
Die EU berät darüber, ob es möglich wäre, europäische Kriegsschiffe zu entsenden, um damit Getreidefrachter zu schützen. Doch das scheint nach Angaben von EU-Diplomaten sehr unwahrscheinlich, weil jede militärische Konfrontation mit der russischen Marine vermieden werden soll. "Darüber wird intensiv gesprochen", sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock auf eine Frage der DW in Luxemburg. "Die Herausforderungen sind natürlich riesig, aber die Herausforderungen sind in so einem brutalen Bereich, sind in allen Bereichen wahnsinnig schwierig. Deshalb ist es wichtig, alle Optionen zu prüfen."
Deutschland, Polen und Rumänien arbeiten am Schienenweg
Die Außenministerin kündigte für Freitag eine internationale Konferenz zur Ernährungssicherheit und zu Getreideexporten aus der Ukraine in Berlin an. Etliche Minister hätten schon zugesagt. Am Wochenende wollen sich auch die G7-Staaten bei ihrem Gipfeltreffen im bayrischen Elmau mit der Frage befassen. Die Bundesregierung arbeite weiter im Hintergrund mit Polen und Rumänien daran, den Export von Getreide aus der Ukraine mit der Eisenbahn zu verstärken, berichtete die deutsche Außenministerin. Für gewöhnlich werden 90 Prozent des Weizens mit dem Schiff und lediglich zehn Prozent auf dem Landweg transportiert.
"Klar ist, wir werden am Ende nicht alles Getreide herausbekommen", sagte Annalena Baerbock, aber schon ein Teil könne helfen, die globalen Herausforderungen zu lindern. Zunächst müssten Schienenwege "ertüchtigt" und die richtigen Güterwaggons gefunden werden. Die Ukraine hat in ihrem Schienennetz eine andere Spurweite als Polen und Rumänien, so dass Züge an den Grenzen auf andere Fahrgestelle umgesetzt oder Güter umgeladen werden müssen.
Die Weizenexporte sind von sechs Millionen Tonnen monatlich vor dem Krieg auf rund zwei Millionen Tonnen gesunken. Der stellvertretende Landwirtschaftsminister der Ukraine, Markian Dmytrasevych, gibt an, dass die Lagerkapazität für die neue Ernte von Winterweizen durch russisches Bombardement stark beeinträchtigt wurde. Die USA arbeiten mit europäischen Partnern daran, an den Grenzen zu Polen und Rumänien behelfsmäßige Getreidesilos für kommende Ernten zu installieren. Das Getreide solle dann per LKW oder Zug zu europäischen Häfen gebracht werden. Das kündigte US-Präsident Joe Biden vergangene Woche an. Experten schätzen, dass dieser umständliche Transportweg die ohnehin schon explodierten Weizenpreise noch einmal stark ansteigen lassen wird.