EU stimmt für Gesetz gegen den Kollaps der Ökosysteme
12. Juli 2023Nach heftigen Debatten in den vergangen Wochen hat das EU-Parlament knapp einem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zur Wiederherstellung der Natur zugestimmt.
Ziel des Gesetzes ist es, langfristig den Kollaps wichtiger Ökosysteme durch den Klimawandel und das Artensterben zu verhindern. Das Gesetz gilt als Flaggschiff des EU-Green Deal. Eine Ablehnung des Vorschlags wäre ein herber Rückschlag für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und den EU-Green-Deal gewesen, einer Top Priorität ihrer Amtszeit, die nächstes Jahr ausläuft. Der EU-Green-Deal ist ein umfassendes Maßnahmenprogramm, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral wirtschaften will.
Vor allem Konservative und Rechte Parteien hatten im Vorfeld Stimmung gegen den Gesetzesentwurf zur Wiederherstellung der Natur gemacht und einen Antrag zu Ablehnung eingereicht. Insgesamt stimmten 336 Mitglieder des Europäischen Parlaments für das Gesetz, 300 dagegen, bei 13 Enthaltungen.
Zustimmung für Naturgesetz: ein Meilenstein für den EU-Green-Deal
Bei der Ausarbeitung des Gesetzes kam die EU-Kommission zu dem Schluss, dass die Mitgliedsstaaten bisher die gemeinsamen Ziele zur Wiederherstellung zerstörter Ökosysteme verfehlt haben und es ihnen nicht gelungen ist, das Artensterben zu stoppen. Daher sei “entschiedeneres Handeln notwendig”, so die Kommission.
Ein Ziel des neuen Gesetzes ist die Verpflichtung für die Mitgliedsländern, wichtige Teile beschädigter Ökosysteme wieder in einen guten Zustand zu bringen. Darunter fallen Meeresgebiete, Wälder und Flussbetten, sowie einige landwirtschaftlich genutzte Flächen. Außerdem will man Grünflächen in Städten ausbauen sowie den Rückgang wichtiger Insektenpopulationen umkehren, die zur Bestäubung wichtig sind, wie beispielsweise Bienen und Wildbienen.
Die Maßnahmen sollten bis 2030 mindestens 20 Prozent der Flächen an Land und Meer abdecken, bis 2050 würden alle sanierungsbedürftigen Ökosysteme unter das Gesetz fallen. Streit gab es bei den Verhandlungen vor allem bei der Nutzung von Mooren und Torf. Laut dem Vorschlag sollten 30 Prozent aller derzeit in der Landwirtschaft genutzten Torfböden bis zum Ende des Jahrzehnts renaturiert und teils anders genutzt werden. Bis 2050 soll der Anteil dann auf 70 Prozent steigen.
Konservative im EU-Parlament und Bauernverbände liefen gegen das Gesetz Sturm und wollten es verhindern. Sie befürchten empfindliche Landverluste für Bauern. Befürworter sehen in dem Vorschlag einen nötigen Schritt, damit die Klimaziele der EU überhaupt erreicht werden können.
Falschinformationen zu renaturierten Mooren vor der EU-Abstimmung
Für Aufregung während der Verhandlungen sorgten zahlreiche Behauptungen der Gegner des Gesetzes, unter anderem eine von der konservativen European Peoples Party (EPP) auf Twitter verbreitete Aussage, es ergebe keinen Sinn, Dörfer, die vor hundert Jahren gebaut wurden, für Feuchtgebiete abzureißen.
Auf die Frage, auf welche Dörfer sich dieser Tweet genau bezieht, antwortete die EEP Pressestelle jedoch, man wisse nicht, ob überhaupt Dörfer und Infrastruktur in Gefahr seien. Als "absurd" und "Populismus" bezeichnete Jutta Paulus von den Grünen die Verbreitung solcher Falschinformationen im Vorfeld der Abstimmung.
Der EU-Kommissar für Umwelt, Meere und Fischerei Virginijus Sinkevičius etwa twitterte dazu: "Die Wiederherstellung der Natur bedroht nicht die Ernährungssicherheit, sondern sichert die Zukunft! […] Trotz der Mythen sind die Vorteile für die Landwirte vielfältig: fruchtbare Böden, geringere Auswirkungen von Dürreperioden, Wasserrückhalt, Bestäubung."
Sanierung von natürlichen Ressourcen soll wirtschaftliche Rendite bringen
Die EU-Kommission rechnet vor, dass langfristig jeder Euro, der in die Wiederherstellung natürlicher Ressourcen investiert wird, mindestens das Achtfache an wirtschaftlicher Rendite einbringt.
Der Verband europäischer Landwirte Copa-Cogeca warnte indessen vor den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des EU-Vorschlags. Dort wird befürchtet, große Teile landwirtschaftlicher Flächen könnten aus der Nutzung genommen oder deren Produktivität durch Wiedervernässung verringern werden. Damit sei das Ziel der Ernährungssicherheit in Gefahr.
Im Gegensatz dazu betonten vor allem Grüne, Linke und Sozialdemokraten, bei dem neuen Gesetz gehe es vor allem auch um die langfristige Sicherung der Ernährung.
Gesunde Torfböden als Klimaretter
Moore können helfen, den Klimawandel zu verlangsamen. Denn gesunde, feuchte Moore können über Jahrtausende mehr Kohlenstoff speichern als alle anderen Ökosysteme. Das geschieht, wenn sich abgestorbene Pflanzenreste unter Luftabschluss im Wasser zersetzten und zu Torf umbilden. Dabei wächst die Torfschicht um nur einen Millimeter pro Jahr.
Weltweit machen Moore gerade mal drei Prozent der Landfläche aus, sie binden aber fast doppelt so viel CO2 wie alle Wälder der Erde zusammen.
Doch wenn nasse Moore trockengelegt werden, geht diese Speicherwirkung verloren. Sieben Prozent der Europäische Treibhausgasemissionen stammt aus trockengelegten Torfböden und ehemaligen Feuchtgebieten.
Geschädigte Moore in Europa verursachen Treibhausgase
Die nährstoffreichen und für die Artenvielfalt besonders wichtigen Torfböden machen europaweit insgesamt eine Fläche aus, die so groß ist wie Deutschland. Über die Hälfte davon ist schon jetzt nachhaltig geschädigt. In Deutschland sind es sogar über 90 Prozent, so die Forschungseinrichtung Greifswald Mire Center.
In Deutschland machen Torfböden etwa sieben Prozent der landwirtschaftlich Nutzflächen aus, doch sie verursachen 37 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen durch die Landwirtschaft.
Moor-Renaturierung: Transformation "vergleichbar mit dem Kohleausstieg"
Mit dem neuen Gesetz soll sich das ändern. Zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens braucht es laut Sophie Hirschelmann, Expertin der Succow Stiftung und des Greifswalder Moor Centrums, "einen Paradigmenwechsel". Das bedeute eine Transformation weg von einer Landwirtschaft auf trockenen Torfböden hin zur sogenannten Paludikultur, der Landwirtschaft auf nassen Torfböden.
Um das zu erreichen, spielt die sogenannte Wiedervernässung eine entscheidende Rolle, also die Anhebung des Wasserspiegels bis zur Grasnarbe. Denn nur wenn der Boden mit Wasser bedeckt ist, wird der Verfall der Biomasse im Torf und der Ausstoß klimaschädlicher Emissionen gestoppt. Auch die Boden- und Wasserqualität und die Artenvielfalt profitieren langfristig.
Chancen für andere Landwirtschaft auf wiedervernässten Böden?
Bisher ist langfristig Wiedervernässung für die Hälfte der Flächen vorgesehen, auf der anderen Hälfte sollen auch weniger wirksamen Maßnahmen zum Einsatz kommen.
Weil in Deutschland vergleichsweise viel Landwirtschaft auf Torfböden betrieben wird, sei die angestrebte Wiedervernässung und Umnutzung "von der Dimension für uns sehr vergleichbar mit dem Kohleausstieg", so Hirschelmann, "Wir brauchen eine politische Gestaltung für den Wandel der Nutzung auf diesen Mooren". Die soziale und wirtschaftliche Folgen für die Landwirte müssten dabei ein wichtige Rolle spielen.
Büffel statt Kühe: nasse Torfböden profitabel nutzen
Befürworter für ein ambitionierteres Gesetz verweisen darauf, dass profitable Landwirtschaft und die Restaurierung von Feuchtgebieten kein Wiederspruch sein müssen. Wird ein Gebiet wiedervernässt, können dort zwar keine Monokulturen wie Getreide oder Mais mehr angebaut werden, doch es könnten andere Früchte dort wachsen, so ein Positionspapier diverser wissenschaftlicher Einrichtungen und Umweltorganisationen.
Auch könnte auf den sanierten Flächen Holzwirtschaft aufgezogen oder Gräser und Schilfe angepflanzt werden, die als Dämmmaterial für den Bausektor oder als Ausgangsmaterial für organischen Plastikersatz dienen. Und statt Kühen könnten in den Gebieten in Zukunft Wasserbüffeln weiden. Klar ist allerdings: Die Nutzung der Flächen müsste sich langfristig deutlich verändern.
Das EU-Parlament wird nun im Spätsommer mit Vertretern der Mitgliedsländer über den finalen Gesetzesentwurf verhandeln.
Dieser Artikel wurde am 12.07.2023 aktualisiert. Redaktion: Anke Rasper