Carbon Farming: Klimalösung oder Greenwashing?
5. Mai 2022"Die Gesellschaft erwartet heute viel von Landwirten", meint der belgische Milchbauer Kris Heirbaut. "Nicht nur, dass wir Lebensmittel produzieren, sondern auch, dass wir einen Beitrag zum Klimaschutz leisten."
Heirbaut besitzt einen Bauernhof in der flämischen Stadt Temse, 30 Kilometer von der Hafenstadt Antwerpen entfernt. Er betreibt einen kleinen Hofladen, in dem er selbst hergestellte Milchprodukte verkauft, wie etwa Speiseeis aus der Milch seiner Kühe. Und er nimmt seit zwei Jahren am Pilotprojekt für die Kohlenstoffbindung in der Landwirtschaft teil, am sogenannten "Carbon Farming", das von der Europäischen Union finanziert wird. Das Ziel von "Carbon Farming": die Qualität der Ackerböden zu verbessern, dadurch mehr CO2im Boden zu halten und so dem Klimawandelentgegenzuwirken.
Landwirtinnen und Landwirte können dann Emissionszertifikate in der Höhe verkaufen, in der sie den Kohlenstoff auf ihren Flächen binden.
Das Pilotprojekt lief in Belgien, den Niederlanden, Deutschland und Norwegen. Landwirte erhielten EU-Unterstützung bei der wissenschaftlichen Beratung, der Verwaltung und der Vergabe der ersten CO2-Zertifikate an lokale Unternehmen.
Im Dezember 2021 stellte die EU dann ihre Carbon Farming-Initiative vor, mit der das Projekt auf die gesamte EU ausgeweitet werden soll. Landwirte sollen ermutigt werden, ihre Arbeitspraktiken umzustellen und zum Beispiel kohlenstoffreiche Düngemittel zu verwenden, bodenschädigendes Pflügen zu reduzieren und solche Pflanzen sowie Bäume anzubauen, die CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen können.
Umstellung der Anbaumethoden
Böden sind wichtige Kohlenstoffspeicher, aber in der industriellen Landwirtschaft wird CO2 nicht absorbiert, sondern im Gegenteil in die Atmosphäre freigesetzt - zum Beispiel durch Pflügen, das zur Degradierung des Bodens führen kann. Verarmte Böden speichern kaum noch CO2.
Seit er der Initiative beigetreten ist, lässt Heirbaut auf einigen Felder etwa Spitzwegerich wachsen - ein mehrjähriges Wildkraut, das viel Kohlenstoff binden kann - sowie Kulturpflanzen, die das ganze Jahr über im Wechsel angebaut werden können. Auf insgesamt 14 Hektar Land gedeihen nun Gräser, Klee, Luzerne, Spitzwegerich und Wegwarte, die das ganze Jahr über CO2 binden.
Viermal im Jahr mäht Heirbaut diese Wiesen. "Da wir (anders als beim Ackerbau - Anm. d. Red.) keine schweren Maschinen brauchen, um den Boden zu bearbeiten, bleibt der gesamte Kohlenstoff, den die Wurzeln der Pflanzen in die Erde bringen, dort", erklärt er.
Auf einem weiteren Feld betreibt Heirbaut Agroforstwirtschaft. Dabei werden Bäume oder Sträucher um Nutzpflanzen und Weiden herum gepflanzt. Diese binden ebenfalls langfristig CO2, und der Schatten der Bäume ermöglicht es den Kühen, im Sommer auf der Weide zu grasen.
Verbesserung der Bodengesundheit
Die Carbon-Farming-Initiative ist Teil des Europäischen "Green Deals", mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden will. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur stammen schätzungsweise mehr als 385 Millionen Tonnen CO2 aus der europäischen Landwirtschaft - das sind etwas mehr als 10 Prozent der Gesamtemissionen der EU. Das zusätzliche Einkommen durch den Verkauf der CO2-Zerifikate soll Bäuerinnen und Bauern dazu bringen, von CO2-Emittenten zu CO2-Sparern zu werden - so die Hoffnung.
"Der Kohlenstoffgehalt ist ein guter Indikator für die Gesundheit des Bodens", sagt Celia Nyssens von der Nichtregierungsorganisation (NGO) European Environmental Bureau (EEB). Laut einer Studie der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2020 sind etwa 60 bis 70 Prozent der Böden in der EU derzeit in keinem gesunden Zustand, was größtenteils auf den Einsatz von Pestiziden sowie übermäßige Düngung oder Bewässerung in der intensiven Landwirtschaft zurückzuführen ist.
Pfluglose Landwirtschaft, wie sie Heirbaut auf seinen Wiesen praktiziert, ist eine der Möglichkeiten zur Verbesserung der Bodengesundheit. Weitere Methoden, die den Böden helfen, Kohlenstoff zu speichern, sind Fruchtwechsel, der Anbau von Bodendeckern auf brachliegenden Flächen oder die Verwendung von Kompost anstelle von chemischen Düngemitteln. Diese Praktiken schützen auch wichtige Bodennährstoffe, die Pflanzen für ihr Wachstum benötigen - was als Folge wiederum den Bedarf an Agrarchemie verringert.
Kritik am CO2-Emissionshandel
Kompensationsprogramme, wie der in der Carbon-Farming-Initiative vorgesehene Zertifikatsverkauf, stehen jedoch schon länger in der Kritik. Durch sie können Unternehmen, Einzelpersonen und Staaten sich eine gute CO2-Bilanz erkaufen, statt selbst CO2 einzusparen.
In einem Schreiben an den US-Kongress forderten letztes Jahr mehr als 200 Nichtregierungsorganisationen die US-Gesetzgeber auf, sich gegen eine Gesetzesvorlage auszusprechen, die derzeit im Repräsentantenhaus diskutiert wird, und mit der in den USA eine Carbon-Farming-Initiative ins Leben gerufen werden könnte.
"Kraftwerke, Raffinerien und andere Umweltverschmutzer könnten diese Zertifikate kaufen, um ihre Emissionen auszugleichen oder sogar zu erhöhen, anstatt sie tatsächlich zu reduzieren und zu eliminieren”, argumentieren die Unterzeichner.
"Carbon Farming" nur für Großkonzerne?
Mehrere multinationale Konzerne zeigen bereits Interesse am "Carbon Farming". So hat bereits Microsoft für mehr als vier Millionen Dollar (3,6 Millionen Euro) Emissionsgutschriften von US-Landwirten gekauft, die seit 2021 an Pilotprojekten zur Kohlenstoffwirtschaft teilnehmen, um seine eigenen Emissionen auszugleichen.
Die Unternehmen, die Heirbauts nachhaltigere Anbauverfahren zum Ausgleich ihrer Emissionswerte nutzen, sind keine multinationalen Konzerne. Anfang dieses Jahres verkaufte der Landwirt seine ersten Emissionsgutschriften für etwa 50 Euro pro eingesparter Tonne CO2 an den lokalen Molkereibetrieb Milcobel.
Heirbaut hofft, künftig noch mit weiteren Unternehmen in der Region Flandern zusammenzuarbeiten. "Der Vorteil beim Kauf von Emissionsgutschriften vor Ort ist: die Leute können uns besuchen, mit uns zusammensitzen und etwas trinken, die Felder anschauen", sagt er. Obwohl das ursprüngliche Pilotprojekt inzwischen beendet ist, will Heirbaut mit dem "Carbon Farming" weitermachen.
Eine von der niederländischen Rabo Bank in Auftrag gegebenen Studie ergab, dass Landwirte jedes Jahr bis zu 3,6 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar physikalisch speichern könnten. Um dies zu erreichen, sind jedoch hohe Investitionen nötig. Neben der Umstellung auf die neuen Anbaumethoden müssen etwa auch Bodenanalysen von unabhängigen Experten erstellt werden, um den Zustand des Bodens zu bewerten. Das sei ein mühsamer Prozess, der einige Landwirte abschrecken könnte, sagt Heirbaut.
Manche Kritiker befürchten, dass die Hürden beim "Carbon Farming" für kleinere Betriebe zu hoch seien und fast nur große industrielle Landwirtschaftsbetriebe begünstigt werden könnten.
Sorge vor "Landgrabbing" durch Emissionshandel
Zudem haben CO2-Ausgleichprojekte, etwa solche zur Gewinnung von Biokraftstoff oder auch Aufforstungsprojekte, weltweit zuLandgrabbing beigetragen, das heißt zu massiven Aufkäufen von Land durch große Unternehmen.
Celia Nyssens vom EEB ist der Ansicht, dass ein schlecht konzipiertes EU-System für die Kohlenstoffbewirtschaftung Gefahr läuft, in dieselbe Falle zu tappen. "Wenn wir ein System schaffen, bei dem Landbesitz noch mehr Wert hat, weil man auch noch CO2-Zertifikat verkaufen kann, werden wir diese Probleme weiter verschärfen", sagt sie.
Auf seinem Milchhof, so berichtet Heirbaut, gebe ihm die Kohlenstoffspeicherung die Möglichkeit, den Zustand seines Ackerlandes zu verbessern und gleichzeitig ein kleines Nebeneinkommen zu erzielen. Und es ist nicht sein einziges Umweltprojekt: Neben dem "Carbon Farming" betreibt er auch ein Labor, in dem er auf der Basis von proteinreichen Mikroalgen, die zunehmend als Fleischersatz verwendet werden, neuartige Lebensmittel herstellt.
"In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Landwirte auf bestimmte Sparten spezialisiert, und jetzt wissen wir, dass das ein großes Problem ist, wenn diese Sparten plötzlich wegbrechen", sagt Heirbaut, während er seine Kunden im Laden empfängt und sie mit seiner neuesten Kreation verwöhnt: einem Eis aus Haselnüssen und selbst angebauten Mikroalgen.
Redaktion: Ruby Russell und Holly Young. Übersetzung aus dem Englischen: Johanna Thompson.