EU schwächt Russland-Drohung ab
21. Oktober 2016Die meisten Gipfelteilnehmer sehen in der russischen Offerte ein zynisches Katz-und-Maus-Spiel: Wenige Tage vor dem Brüsseler Treffen hatte Russland angekündigt, an diesem Donnerstag, also passend zum Gipfel, die Angriffe auf Aleppo ein paar Tage einzustellen. Russland wolle die EU schwächen, meinte Ratspräsident Donald Tusk. Dem wollten die Staats- und Regierungschefs europäische Einigkeit entgegensetzen. Zu einem weiteren Sanktionsentschluss reichte sie allerdings nicht.
Das Thema Russland und Sanktionen war bereits vor Monaten auf die Tagesordnung des Europäischen Rates gesetzt worden, auch, wenn nicht vorwiegend, im Zusammenhang mit der Ukraine. Seit mehr als zwei Jahren gelten eine Reihe von Wirtschaftssanktionen, die sich gegen den russischen Staat richten, sowie Einreise- und Vermögenssperren gegen Personen im Umkreis von Präsident Putin.
Ginge es nur um die Ukraine, hätten die Russen vielleicht auf eine Aufweichung der Haltung der Europäer und möglicherweise eine Lockerung der Sanktionen hoffen können. Die EU hatte auf weitere Fortschritte in Richtung einer Verständigung zwischen Kiew und Moskau gesetzt. Und es gibt handfeste wirtschaftliche Interessen der EU, das Verhältnis zu Russland zu normalisieren. In diese Richtung drängen zum Beispiel der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi und der Grieche Alexis Tsipras. Der Ungar Viktor Orban lässt daneben eine ideologische Nähe, wenn nicht offene Bewunderung für Putin erkennen und ist auch deswegen gegen einen schärferen Kurs. Doch wie Donald Tusk sagte, ist es im Moment "wirklich schwierig, sogar unmöglich", über Russland zu sprechen, "ohne die derzeitigen Angriffe auf Zivilisten und Krankenhäuser in Aleppo zu nennen".
Auch Theresa May setzt auf europäische Einigkeit
Es hagelte in Brüssel Verurteilungen, wie sich Russland in Syrien und speziell in Aleppo benimmt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wollte Moskau bei seiner Ehre packen, als er sagte: "Ich bin der Auffassung, dass Russland sich nicht so benimmt, wie man dies von einer Großmacht erwarten könnte." Der französische Präsident Francois Hollande nannte die russischen Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Aleppo "Kriegsverbrechen".
Und sogar die britische Premierministerin Theresa May, die viele schon Richtung EU-Ausgang spazieren sehen, setzte bei diesem Thema auf europäische Zusammenarbeit: "Wir müssen angesichts russischer Aggression eine feste und geeinte europäische Haltung zeigen." Damit schien sie den Satz zu bestätigen, den sie gleich bei ihrer Ankunft in Brüssel gesagt hatte: "Das Vereinigte Königreich verlässt die EU, aber bis wir sie verlassen, werden wir eine uneingeschränkte Rolle spielen." Die anderen nahmen's erfreut zur Kenntnis.
Putin hatte am Mittwoch bei einem Besuch bei Merkel in Berlin noch einen letzten Versuch unternommen, über die Kanzlerin positiv auf die Europäer einzuwirken, erreichte aber nichts.
Entsprechend hart haben die EU-Chefs das russische Vorgehen verurteilt. Doch in einem ersten Entwurf einer Erklärung war noch von konkreten Sanktionen die Rede gewesen. Jetzt stand im Text nur noch der Ausdruck "alle verfügbaren Optionen", die die EU androht, sollten die Greueltaten gegen die Zivilbevölkerung in Aleppo weitergehen. Das bedeutet eine weitere Abschwächung. Eine Festlegung auf Sanktionen war ohnehin nicht erwartet worden, dafür sind die inneren Widerstände in der EU zu groß. Es bleibt bei der Drohung mit nicht weiter beschriebenen Maßnahmen. Aber auch wann und unter welchen Umständen, blieb unklar. "Wir haben uns über die Zeitfolge nicht ausgetauscht", sagte Merkel dazu in der Nacht. Immerhin, soviel Einigkeit gibt es: Sanktionsmilderungen, auf die Moskau offenbar gehofft hatte, kann es unter dem Eindruck der Schrecken von Aleppo auch nicht geben.