EU rettet, was zu retten ist
3. Juni 2005Es gibt auch positive Nachrichten für die Befürworter der EU-Verfassung: In Lettland ratifizierte das Parlament die EU-Verfassung am Donnerstag (2.6.2005) mit Zweidrittelmehrheit. Damit haben inzwischen zehn EU- Länder dem umstrittenen Vertragswerk zugestimmt.
Die EU-Spitze und Deutschland setzten sich derweil für die Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses ein. Zwischen den EU-Hauptstädten begannen intensive Kontakte, um ein endgültiges Aus für den Verfassungsprozess zu verhindern. Dänemark, Polen, Portugal und Tschechien wollen nach Aussagen ihrer Regierungschefs an ihren Volksabstimmungen festhalten.
"Auf nationalen Egoismus verzichten"
Der französische Präsident Jacques Chirac wird am Samstag (4.6.2005) zu einem Sonderarbeitsabendessen bei Kanzler Gerhard Schröder in Berlin erwartet. Sie wollen damit offensichtlich ein politisches Zeichen setzen, um die EU-Verfassung zu retten. Das Projekt der europäischen Einigung dürfe nach den gescheiterten Referenden zur Verfassung nicht aufgegeben werden, sagte Schröder. Alle EU-Staaten müssten auf nationalen Egoismus verzichten.
Im Streit um die umstrittene künftige EU-Finanzplanung zeigte Schröder dann auch schon Kompromissbereitschaft - erstmals. Schröder sagte am Donnerstag abend (2.6.2005) nach einem Treffen mit dem luxemburgischen EU-Ratspräsidenten Jean-Claude Juncker: "Deutschland ist bereit, sich zu bewegen." Aus Diplomatenkreisen verlautete, ein neuer EU-Vorschlag sehe eine geringere Erhöhung des Beitrages für die einzelnen Mitgliedsländer als bislang vorgesehen. Juncker strebt für den EU-Gipfel Mitte Juni eine Einigung über die Finanzen an. Er hatte erklärt, nach der Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden sei eine Einigung über die Finanzplanung noch wichtiger geworden. Deshalb müsse auch eine Einigung über das Budget von 2007 bis 2013 erzielt werden. Juncker warnte am Freitag (3.6.2005) nochmals eindrücklich vor einem Scheitern der Verhandlungen. "Ein Scheitern der finanziellen Perspektiven würde die europäischen Schwierigkeiten zu einer großen europäischen Krise werden lassen", sagte Junker.
"Wir zahlen zu viel"
Der niederländische Finanzminister Gerrit Zalm, der auf eine strikte Begrenzung des EU-Haushalts dringt, hatte zuvor seine Verhandlungsposition durch das Nein bei dem Referendum in seinem Land als gestärkt bezeichnet. "Wir zahlen zu viel", sagte er. Die Niederlande sind pro Kopf gerechnet der mit Abstand größte Nettozahler der EU. Der Missmut in der niederländischen Bevölkerung darüber hatte zur Ablehnung des Vertrags beigetragen.
Trotz aller Willensbezeugungen: So recht weiß momentan niemand, wie es mit der EU-Verfassung weitergehen soll. Gültig darf die Verfassung ja nur werden, wenn alle 25 Länder zugestimmt haben. Im Gespräch ist auch eine Verlängerung der Frist für die Ratifizierung über den November 2006 hinaus. Die irische Regierung erwägt offenbar, auf das geplante Referendum über die EU-Verfassung zu verzichten. Die Zeitung "Irish Times" berichtete am Freitag (3.6.2005), Außenminister Dermot Ahern habe auf die Frage nach der Zukunft des irischen Referendums geantwortet: "Das kann ich nicht sagen. Wir müssen die Ergebnisse des Europäischen Rats Mitte Juni abwarten". Dies ist das erste Mal, dass ein irisches Regierungsmitglied eine Absage des Referendums nicht ausgeschlossen hat.
"Andere längst abgehakt"
Die schwedische Regierung will den Prozess zur Ratifizierung der EU-Verfassung im eigenen Land sofort abbrechen, falls Frankreich oder die Niederlande neue Verhandlungen über den Inhalt verlangen sollten. Das kündigte Ministerpräsident Göran Persson am Freitag (3.6.2005) in einem Interview mit "Dagens Nyheter" in Stockholm an. Persson sagte weiter: "Es wäre ja völlig sinnlos, Stellung zu etwas zu beziehen, das andere längst abgehakt haben." Der sozialdemokratische Regierungschef erklärte, er könne "nur sehr schwer erkennen, wie vor allem die Niederlande mit der erdrückenden Nein-Mehrheit beim Referendum die entstandenen Probleme meistern wollen". Es sei für die EU-Länder von entscheidender Bedeutung, dass Frankreich und die Niederlande klar zu erkennen geben, ob sie Neuverhandlungen wünschten oder nicht. Diese Klärung müsse rechtzeitig vor dem EU-Gipfel am 16. und 17. Juni kommen.
Der britische Außenminister Jack Straw wird nach übereinstimmenden Presseberichten am kommenden Montag (6.6.2005) im Unterhaus ankündigen, dass Großbritannien sein geplantes Referendum zur EU-Verfassung auf unbestimmte Zeit aufschiebt. Im Detail berichteten die britischen Zeitungen am Freitag aber unterschiedlich. Einig sind sich die Blätter darin, dass Premierminister Tony Blair auf keinen Fall als derjenige erscheinen will, der der Verfassung den "Todesstoß" versetzt hat. Großbritannien hat in der zweiten Hälfte dieses Jahres die EU-Präsidentschaft und muss dann als Vermittler auftreten. (sams)