EU-Parlament für schnellen Ukraine-Beitritt
8. Juni 2022Ruslan Stefantschuk, ein großer Mann in olivgrünem Kampfanzug, wischte sich nach seiner Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg die Tränen aus den Augen. Seine Lippen zitterten, erleichtert atmete er tief aus. Mit minutenlangem stehendem Applaus hatten die Europaabgeordneten den Präsidenten des ukrainischen Parlaments "Verkhovna Rada" bedacht. Stefantschuk grüßte mit erhobener Hand in das weite Rund des Plenums, legte die Hand auf sein Herz und dankte für die Unterstützung am 105. Tag des russischen Krieges gegen sein Land.
"Wir kämpfen und wir werden siegen. Und wir werden es zusammen schaffen", rief der Gast aus Kiew den Abgeordneten zu. "Meine Mission ist es, sie zu überzeugen, dass wir den Status als Beitrittskandidat der EU verdienen", sagte Ruslan Stefantschuk, der seit Tagen durch europäische Hauptstädte reist, um Parlamente und Regierungen für eine möglichst schnellen Beitritt der Ukraine der EU einzunehmen. "Es ist so wichtig, diese mächtige Botschaft von Ihnen zu hören: 'Was ihr macht, ist nicht umsonst'!"
Viel Sympathie für Stefantschuk
Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, versicherte Stefantschuk, dass das Parlament hinter der Forderung steht, der Ukraine den Kandidatenstatus beim nächsten EU-Gipfel am 24. Juni zu verleihen. "Euer Kampf für Freiheit ist unser Kampf", versicherte Metsola, die am 1. April bereits selbst vor der Rada in Kiew gesprochen hatte. "Wir werden uns nicht abwenden und auch nicht kriegsmüde werden", versprach sie. Nur ein gerechter Frieden werde akzeptiert werden.
Die Ukraine hatte wenige Tage nach Beginn der russischen Aggression Ende Februar den sofortigen Beitritt zur Europäischen Union gefordert und förmlich beantragt. Den schnellen Beitritt werde es wohl nicht geben, räumte Ruslan Stefantschuk ein, aber die Ukraine sei bereit, den Weg zu gehen - ehrlich und ernsthaft. Als ersten Schritt könnte die Ukraine nach einer Empfehlung der EU-Kommission durch die Staats- und Regierungschefs und -chefinnen der EU einstimmig zum "Beitrittskandidaten" ernannt werden. Die EU könnte dann nach politischen und wirtschaftlichen Reformen in der Ukraine Beitrittsverhandlungen eröffnen. Bis zum Beitritt selbst könnten aber noch viele Jahre vergehen, hatte neben anderen auch der französische Präsident Emmanuel Macron gesagt, der zurzeit Ratspräsident der EU ist.
Kandidatenstatus soll kommen
Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, geht davon aus, dass die EU-Kommission in der kommenden Woche den Kandidatenstatus empfehlen wird. Die üblichen, langen Prüfverfahren wurden wegen des Kriegs drastisch verkürzt. Metsola setzt sich dafür ein, dass auch für Georgien und Moldau "die Tür offen bleibt". Es ist aber unklar, ob diese beiden von Russland ebenfalls bedrängten Länder, bereits beim EU-Gipfel den Kandidatenstatus bekommen. Georgien und Moldau hatten kurz nach der Ukraine einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt.
Der Präsident der Rada, Ruslan Stefantschuk, machte klar, dass es aus seiner Sicht zum Kandidatenstatus keine Alternative gebe. "Alles andere wäre ein Sieg für Putin", sagte Stefantschuk mit Blick auf den russischen Machthaber.
Der Ukraine den "Kandidatenstatus verleihen"
Die große Mehrheit der Abgeordneten im EU-Parlament wird in einer Entschließung den Kandidatenstatus für die Ukraine unterstützen. Manfred Weber, der Vorsitzende der größten Fraktion, der Christdemokraten, auf die Frage, ob die Ukraine schnell einen konkreten Pfad zum Beitritt bekommen soll: "Meine Antwort ist ja", sagte Weber der DW. "Sie sind willkommen, sie sind Europäer. Sie müssen beitreten. Darum brauchen wir jetzt diese starke Botschaft. Wir müssen den Kandidatenstatus sofort verleihen. Es wird lange Zeit brauchen bis eine volle Mitgliedschaft erreicht wird, aber das politische Signal wäre historisch und ist jetzt nötig."