Deutsche Exporte im Visier
13. November 2013Wer den Export-Weltmeister Deutschland kritisiert, muss mit heftigen Reaktionen rechnen. Das war auch EU-Währungskommissar Olli Rehn schon lange klar, aber er zeigte sich in Brüssel dennoch überrascht, welcher "publizistische Sturm schon seit Tagen tobt, obwohl der Bericht der EU-Kommission zu wirtschaftlichen Risiken in Europa noch gar nicht offiziell verabschiedet war." Deutschland hat seit Jahren einen Exportüberschuss in der Handelsbilanz, verkauft also mehr Waren ins Ausland, als es ins eigene Land einführt. Der Überschuss erreichte im vergangenen Jahr 190 Milliarden Euro. Die Europäische Kommission vermutet eine strukturelle Schwäche, ein Ungleichgewicht, dass jetzt geprüft werden soll, wie Olli Rehn ankündigte.
"Das ist nicht lächerlich"
Das bringt den deutschen Europa-Abgeordneten Heribert Reul (CDU) auf die Palme. "Die deutschen Exporterfolge beruhen auf wettbewerbsfähigen Qualitätsprodukten", so Reul. "Ausgerechnet die europäische Konjunkturlokomotive Deutschland bremsen zu wollen, würde ganz Europa international zurückwerfen." Unternehmensverbände und Zeitungskommentatoren in Deutschland hatten ins selbe Horn gestoßen. Den Vorwurf, die Untersuchung des deutschen Exportüberschusses sei angesichts der massiven Probleme in anderen EU-Staate geradezu lächerlich, wies der Präsident der EU-Kommission, Jose Barroso, leicht beleidigt zurück: "Wenn die Europäische Kommission ihre Pflicht erfüllt, ist das sicher nicht lächerlich. Das ist eine Voraussetzung für eine ernsthafte wirtschaftspolitische Führung in Europa." Zuvor hatten bereits die US-Regierung, aber auch Wirtschaftspolitiker aus Frankreich, Italien und anderen Krisenländern die deutschen Exportüberschüsse kritisiert, weil sie angeblich zu Lasten der ärmeren EU-Staaten gingen.
"Europa braucht mehr Deutschlands"
Jose Barroso stellte während einer Pressekonferenz in Brüssel gleich mehrfach klar, dass es nicht darum gehe, Deutschland zu bremsen oder gar zu bestrafen. Die EU-Kommission untersuche lediglich wirtschaftspolitische Entwicklungen, wozu sie nach den EU-Verträgen verpflichtet sei. Neben Deutschland haben noch weitere 15 EU-Staaten eine solche Untersuchung am Hals. "Das sollte nicht so verstanden werden, dass Europa etwas gegen Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit einzuwenden hat. Ganz im Gegenteil: Es ist gut für Deutschland und Europa, dass Deutschland als größte Wirtschaftsmacht weiter so exportorientiert wächst", versuchte Barroso die Gemüter zu beruhigen. Und dann sagte er, gerade die Krisenländer könnten bei der Wettbewerbsfähigkeit noch einiges lernen. "Wir hätten gerne mehr von diesen 'Deutschlands' in Europa."
Erst im Frühjahr 2014 soll das Ergebnis der Bewertung vorliegen. Ob daraus dann praktische Konsequenzen und neue Politikempfehlungen folgen, ist völlig offen. EU-Währungskommissar Olli Rehn wies darauf hin, dass der Europäische Rat, also die Staats- und Regierungschefs der EU, inklusive Bundeskanzlerin Merkel, eine Ankurbelung der Binnenkonjunktur in Deutschland bereits im Sommer 2013 angeregt hatten. "Die Deutschen diskutieren ja selbst, ob sie genug im eigenen Land investieren. Wir haben schon im Mai auf einige Bereiche hingewiesen, die Deutschland sich anschauen sollte, um die Binnennachfrage zu stärken. Dazu gehört auch die Öffnung des Dienstleistungssektors", sagte Rehn in Brüssel. Zu viel Kapital fließe aus Deutschland ab, so die EU-Kommission in ihrem Bericht. Es sei besser für die deutsche Wirtschaft und die Binnenkonjuktur, wenn dieses Geld im eigenen Land investiert würde, versicherte Olli Rehn.
Europa in reichen Norden und armen Süden gespalten
Während die EU-Kommission in ihren jährlichen Zeugnissen zur Wirtschaftspolitik mit Deutschland milde umgeht, fallen die Noten für andere Länder weniger schmeichelhaft aus. Frankreich, Italien und Ungarn wurden bereits eindringlich aufgefordert, strukturelle Reformen durchzusetzen. Ob das geschehen ist, soll jetzt eine neue Untersuchung der EU-Kommission erweisen. Auch Spanien, Slowenien, Griechenland und Zypern müssten mehr tun, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, sagte Währungskommissar Olli Rehn. Insgesamt sei die europäische Wirtschaft aber auf dem Wege der Besserung. Die Konjunktur springe wieder an. Die Defizite der öffentlichen Haushalte gingen langsam zurück. Deshalb könne man auch die Sparpolitik etwas langsamer gestalten.
Nicht ganz so positiv sieht der für den Arbeitsmarkt zuständige EU-Kommissar Laszlo Andor die Entwicklung. Die Zahl der Arbeitslosen sei in vielen Mitgliedsstaaten unverhältnismäßig hoch. Die Risiken, in Armut abzugleiten, nähmen zu. Die Schere zwischen armen und reichen Staaten in Europa gehe immer weiter auseinander, so Andor.
"Seit 2008 gibt es eine wachsende und stetige Spaltung zwischen dem Süden und dem Norden in Europa, genauer gesagt zwischen den Kernstaaten und der Peripherie. Diese Spaltung lässt sich an der Arbeitslosenquote und der Zahl der arbeitslosen Jugendlichen ganz genau ablesen."
Die heute vorlegten Berichte sind Teil des sogenannten europäischen Semesters, das die Wirtschaftspolitik der 28 Mitgliedsstaaten überwachen und steuern helfen soll. Die neuen Regeln wurden nach dem Finanz- und Schuldenkrise unter anderem im Fiskalpakt der EU festgelegt. "Heutzutage ist in der Europäischen Union, vor allem in der Euro-Zone, die Wirtschaftspolitik nicht mehr nur alleine in der nationalen Verantwortung, sondern sie geht ganz Europa an", so EU-Kommissionspräsident Jose Barroso. Am Freitag wird die EU erstmals die Staatshaushalte für das kommende Jahr bewerten und ein Urteil über Schuldenentwicklung und Reformvorhaben in Euro und Cent fällen. Alle Mitgliedsstaate mussten dazu ihre Haushalte in Brüssel zur Prüfung einreichen.