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PolitikEuropa

EU-Ladenhüter AstraZeneca für arme Länder?

Marco Müller
11. April 2021

Gebrochene Lieferversprechen, gefährliche Nebenwirkungen. Der COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca hat in der EU ein Image-Problem. Bleibt er liegen, könnten ihn ärmere Länder bekommen. Oder eben auch nicht.

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AstraZeneca Covid-19 Impfung
Teils mit spitzen Fingern wird der Impfstoff von AstraZeneca in der EU angefasstBild: Yui Mok/PA Wire/empics/picture alliance

Der Impfstoff von AstraZeneca gegen COVID-19 hat in vielen europäischen Ländern ein schlechtes Image. Neben den nicht eingehaltenen Lieferversprechen liegt der Hauptgrund in den Nebenwirkungen mit der seltenen Hirnvenenthrombose und den daraus resultierenden immer neuen Altersbeschränkungen, die zudem in den einzelnen Ländern Europas sehr stark variieren. Von keiner Altersbegrenzung bis nur für Menschen ab 70 ist so ziemlich alles dabei. Das schafft wenig Vertrauen.

Ein Blick auf Umfragen der letzten Zeit zeigt, dass AstraZeneca in der Beliebtheit regelmäßig auf dem letzten Platz liegt. In einer Anfang des Monats von RTL beauftragten Forsa-Umfrage gaben 51 Prozent der Deutschen an, sich mit AstraZeneca impfen lassen zu wollen. 57 Prozent gaben an, sich mit dem russischen Impfstoff Sputnik V impfen lassen zu wollen. Das Vertrauen in den - bisher noch nicht zugelassenen - russischen Impfstoff ist also größer als in den britisch-schwedischen.

Schlechte Umfragewerte

Bei einer Mitte März veröffentlichten YouGov-Umfrage erklärten 61 Prozent der in Deutschland Befragten, sie würden sich mit dem Impfstoff von BioNTech/Pfizer impfen lassen, 49 Prozent, sie würden Moderna nehmen, aber nur 35 Prozent, sie würden sich mit AstraZeneca impfen lassen. Hierbei handelt es sich aber keineswegs nur um ein deutsches Phänomen.

Beim Thema Sicherheit gaben rund 59 Prozent der Spanier an, AstraZeneca als sicher zu empfinden, bei den Italienern waren es 54 Prozent, bei Deutschen genauso wie bei US-Amerikanern nur etwas mehr als 40 Prozent, und bei den Franzosen gar nur 33 Prozent.

Eine komplette Ablehnung gegenüber dem britischen Impfstoff gab es laut einer Umfrage der Universität Wien bei 40 Prozent der in Österreich Befragten, die sich "auf gar keinen Fall" mit AstraZeneca impfen lassen wollten. Zum Vergleich: Bei BioNTech/Pfizer, Moderna und Johnson&Johnson sagten dies nur 13 bis 15 Prozent der Befragten.

Impftstoff Sputnik V
AstraZeneca neben seinen beliebteren Konkurrenten Moderna, Sputnik V und BioNTech/Pfizer sowie dem hier eher unbekannten chinesischen Impfstoff SinopharmBild: Attila Balazs/AP/picture alliance

In einigen Ländern Europas wurden zahlreiche Impftermine mit AstraZeneca gar nicht wahrgenommen. Wird AstraZeneca - zumindest in Europa - zu einem Ladenhüter? Und könnten eventuell Schwellen- und Entwicklungsländer davon profitieren und auf diese Weise an mehr Impfstoff kommen? 

Schwammige Statements

Symbolbild GAVI - Impfallianz
Weltweite Impfallianz GaviBild: STR/NurPhoto/picture alliance

Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Zumindest möchte sich scheinbar niemand eindeutig dazu äußern. Auch nicht die internationale Impfallianz Gavi, deren Ziel es ist, Menschen in Entwicklungsländern durch Impfungen vor Krankheiten zu schützen.

An der internationalen Initiative für einen gerechten Zugang zu COVID-19-Impfstoffen, genannt COVAX, sind die Impfallianz Gavi und die Weltgesundheitsorganisation WHO beteiligt.

Auf die Frage, ob sie auf Grund des schlechten Images in Europa mit mehr AstraZeneca Impfstoff rechne, teilte die Gavi mit, dass die Nachrichten über die "möglichen sehr seltenen Nebenwirkungen von AstraZeneca" sehr aufmerksam verfolgt würden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO wolle die neuesten Daten in ihre neue Empfehlung am 13. April einfließen lassen.

Die WHO selbst empfiehlt den Ländern, "weiterhin mit AstraZeneca zu impfen": In einem Statement gegenüber der DW heißt es, der Impfstoff habe "Millionen von Leben gerettet und ernste Erkrankungen verhindert."

Die WHO verweist darauf, dass "nur 182 Fälle von Hirnvenenthrombosen bei 190 Millionen verimpften Dosen von AstraZeneca aufgetreten sind. Sollte es eine kausale Verbindung geben, sind die Fälle sehr selten und das Risiko extrem gering."

Äthiopien | AstraZeneca | COVAX-Impfstoff
Äthiopiens Gesundheitsministerin Lia Tadesse (r.) erhält von der COVAX-Allianz Impfstoff für ärmere LänderBild: Amanuel Sileshi/AFP

Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA will über weitere Verwendungen des AstraZeneca-Impfstoffes nicht spekulieren. Sprecherin Ana Pisonero verwies darauf, dass es den einzelnen EU-Ländern freistehe, überzähligen Impfstoff zu spenden. 

Nehmen, was da ist

Deutschland | Corona-Testzentrum Soest zu Ostern 2021 | Michael Schnigge
Michael Schnigge hat keinen Impftermin mit AstraZeneca bekommenBild: Marco Müller/DW

In der Praxis ist von der Skepsis gegen über dem britischen Impfstoff wenig zu spüren. So waren in Nordrhein-Westfalen, das mit fast 18 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Bundesland in Deutschland, die 360.000 zusätzlich angebotenen Impftermine für Personen ab 60 Jahren innerhalb kürzester Zeit vergeben.

"Das war eine Katastrophe", sagt der 61-jährige Michael Schnigge aus der Region Soest in NRW. Zunächst hatte er online versucht, einen Termin zu ergattern. Vergeblich. Dann telefonisch. "Ich habe fast den ganzen Tag am Telefon gehangen. Da war ständig besetzt. Um 17 Uhr habe ich endlich mal die Warteschleife erreicht. Und nach 35 Minuten Warteschleife sagte man mir dann: Termine alle ausgebucht."

Gütersloh Ausbruch bei Tönnies | PK Karl-Josef Laumann
Zufrieden mit am Andrang: Karl-Josef LaumannBild: Imago Images/Noah Wedel

Dies zeigt, dass, wenn es eine Möglichkeit gibt, sich mit AstraZeneca kurzfristig impfen zu lassen, viele Menschen das Angebot auch wahrnehmen. Ob also AstraZeneca wirklich ein Ladenhüter wird, ist nicht gesagt.

Zudem weist die EU-Kommission daraufhin, dass AstraZeneca ohnehin aktuell deutlich weniger Impfdosen liefert als vereinbart. Von den rund 90 Millionen für das erste Quartal verabredeten Impfdosen konnte AstraZeneca nur rund 30 Millionen liefern, von den 180 Millionen für das zweite Quartal geplanten nur rund 70 Millionen.

Aktuell sieht es daher nicht danach aus, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer über die von der Impfallianz COVAX für sie ohnehin geplanten Impfdosen hinaus zeitnah noch zusätzliche aus nicht genutzten AstraZeneca Beständen von EU-Ländern bekommen werden. Aber das kann sich jederzeit ändern. Die Halbwertszeit von Corona-Nachrichten ist aktuell eher kurz.