EU-Kommission auf Schlingerkurs
31. Januar 2005Wie fördert man Wohlstand und Arbeitsplätze für eine Gemeinschaft aus 25 Staaten mit zusammen fast 450 Millionen Einwohnern, deren Wachstum nicht nur von Land zu Land, sondern auch von Region zu Region extrem schwankt? Für José Manuel Durão Barroso, seit November 2004 Präsident der EU-Kommission, ist dies die Kardinalfrage seiner fünfjährigen Amtszeit. Seine Vorstellungen hat der Portugiese Ende Januar in einer Grundsatzrede über die strategischen Ziele der Kommission klar gemacht.
Arbeit und Wohlstand für die Europäer
Überflüssige Regulierungen will er abbauen, die Bürokratie entschlacken. Für Forschung und Bildung sollen in Zukunft mindestens 3 anstatt momentan 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU ausgegeben werden. Europas Arbeitsmärkte müssten flexibler gestaltet werden. Schon bald soll es wesentlich einfacher werden, Dienstleistungen über Ländergrenzen hinweg anzubieten. Unternehmerfreundliches Europa heißt das Ziel. Das erfordere einen Veränderungsprozess "so kühn wie die Schaffung des Binnenmarktes, der Start des Euro oder die Erweiterung", orakelt der sozial-liberale Ex-Regierungschef.
Zusammen mit dem deutschen Industrie-Kommissar Günter Verheugen will Barroso dem Anspruch näher kommen, die EU zur wettbewerbsfähigsten Zone der Welt zu machen. Diesen Traum hatten die Europäer im Jahr 2000 in Lissabon formuliert. Der Kraftakt sollte ursprünglich bis 2010 geschafft sein. Angesichts der momentanen Wachstumsraten von durchschnittlich gerade zwei Prozent hat sich die Kommission inzwischen jedoch von dem gewagten Zeitplan verabschiedet, wie die Financial Times Deutschland berichtet.
"Eine dumme, nutzlose Debatte"
Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen des 49-Jährigen sind nicht bahnbrechend neu. Ein Novum war jedoch die Priorität, die Barroso der Wirtschaftsförderung und der Schaffung von Arbeitsplätzen ursprünglich einräumen wollte - vor anderen Anliegen wie der Verbesserung des sozialen Zusammenhalts und dem Umweltschutz: Ziele die ebenfalls auf der Lissabon-Agenda stehen. Noch Mitte Januar geriet er deshalb mit dem EU-Ratspräsidenten und Regierungschef Luxemburgs, Jean-Claude Juncker, aneinander. Die Diskussion, ob Wettbewerbsfähigkeit wichtiger ist als Sozialpolitik und ökologische Projekte, bezeichnete Juncker als "dumme, nutzlose Debatte." Die drei Ziele stünden nicht im Widerspruch zueinander.
Abgeordnete der Grünen, der Sozialdemokraten und selbst Parlamentarier des christlich konservativen EVP-Blocks standen Juncker im EU-Parlament dabei zur Seite. Umweltverbände wie der deutsche BUND oder Greenpeace kündigten ebenfalls Widerstand gegen Barrosos Rangordnung an.
Rückzug in Reih und Glied?
Bei der eigentlichen Vorstellung seines Fünfjahresprogramms im EU-Parlament wählte der Kommissionschef seine Worte dann mit Bedacht. Wohlstand, Solidarität - worunter auch der Umweltschutz fällt - und Sicherheit seien die wichtigsten strategischen Ziele. Von einem Primat der Wirtschaftpolitik war nicht mehr explizit die Rede. Für das entschärft formulierte Programm gab es Zustimmung aus allen Fraktionen, mit Einschränkungen auch bei den Grünen.
Trotzdem bleiben viele skeptisch, ob Barroso seine Vorstellungen geändert hat oder nur Wortkosmetik betreibt. "Barroso hat eine wohl balancierte Rede gehalten, in die er sogar Vorschläge der Linken aufgenommen hat", sagt Jan Marinus Wiersma, Vize-Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im EU-Abgeordnetenhaus. "Wir müssen vorsichtig sein und abwarten, ob er sich an seine Worte hält." Die Stunde der Wahrheit rückt näher. Am Mittwoch (2.2.05) wird die EU-Kommission einen konkreten Aktionsplan zur Neusausrichtung der Lissabon-Agenda vorlegen. Dann wird sich zeigen, ob José Manuel Durão Barroso seine Vorlieben wirklich geändert hat.