Barroso, der Unbekannte
30. Juni 2004Er war nicht der Kandidat der Deutschen und der Franzosen: Jose Manuel Duaro Barroso, der portugiesische Premier. Berlin und Paris wollten Guy Verhofstadt, Belgiens Ministerpräsident. Doch der war nicht durchsetzbar - nicht nur die Engländer lehnten den Belgier ab. Also auf zur zweiten Runde der Kandidatensuche ... und so wurde es Barroso, der schon länger als Geheimtipp gehandelt worden war. Barroso ist ein Konservativer - das sichert ihm die Unterstützung der Mehrheitsfraktion im Europaparlament, die er braucht. (N.B.: Zur Zeit kritisieren vor allem die Sozialdemokraten Barroso, aber wenn es zur Abstimmung geht, dann werden wohl auch sie ganz im Geheimen "Ja" sagen.) Barroso ist ein Konservativer, in einem konservativen Europa eine Selbstverständlichkeit. Und er kommt aus Portugal - einem Land, das noch nie eine wichtige europäische Position oder eine Position, die einem Europäer zusteht, besetzten durfte.
Die neue Macht
Portugal war also einfach mal dran - wie übrigens demnächst auch Österreich oder Finnland oder Griechenland oder Schweden oder Dänemark. Barroso kommt aus einem kleinen Land - sein Vorgänger Romano Prodi aus einem großen, nämlich Italien. Der Wechsel sichert die Machtbalance zwischen den Großen und Kleinen. Und er kommt aus dem Süden Europas - genauso wie Europas Chefdiplomat, Javier Solana, der der erste europäische Außenminister wird. Europa wird derzeit vom Süden und von der Peripherie regiert. Auch das ist ein Zeichen der größer gewordenen EU. Barroso ist Transatlantiker, sprich: schlicht und einfach ein "Freund der Amerikaner". Das hat ihn unbeliebt gemacht in Berlin und Paris. Doch die beiden "alten Europäer" können nicht mehr ungehindert in Europa machen, was sie wollen.
Wer aber ist Barroso?
Das fragen sich selbst die erfahrenen Europakorrespondenten in Brüssel. Gut, er hat die Wahl gegen seinen in Brüssel sehr angesehenen sozialistischen Vorgänger Gutteres gewonnen. Er ist niemals durch irgendeine besonders europakritische oder auch europafreundliche Position aufgefallen. Also: Er ist unscheinbar. Andererseits: Er hat die Kontinuität portugiesischer Politik fortgesetzt. Lissabon hat nie wie zum Beispiel Spanien die EU erpresst, um mehr Geld aus den Töpfen herauszuholen. Portugal ist ein vernünftiges, rationales Mitglied im "Club EU" - und genauso verhält sich auch Barroso. Er ist also eher ein Europapraktiker, kein Visionär. Er - angeblich schwach, angeblich ein Kandidat zweiter Wahl, angeblich durchschnittlich grau, angeblich wenig brillant, sondern staubtrocken - muss sich messen lassen an Romano Prodi, seinen Vorgänger.
Prodi, der Glücklose
Prodi kam als politisches Wunder nach Brüssel - ein Wissenschaftler, ein Vorstandschef einer Industrieholding, ein politischer Seiteneinsteiger, der das Olivenbaumbündnis gegen Berlusconi geschmiedet hatte, der Mann, der Italien Euro-reif gemacht hat, ein Visionär und Pragmatiker. Und dann? Ein Mann ohne Charisma, ohne Durchsetzungsvermögen, ohne Fremdsprachenkenntnisse, ohne rhetorische Brillanz. Alles in allem: ein schwacher Präsident ohne fortune, manche meinen sogar, der schwächste, den Brüssel erlebt hat. Also hat Barroso eine Chance, es besser zu tun.
Warum nicht Ahern?
Im Hintergrund gab und gibt es eine Alternative. Nein, nicht der unvermeidliche Juncker aus Luxemburg, der nicht wollte. Nein, gemeint ist Bertie Ahern, der Ire, der ein glanzvolles halbes Jahr als Ratspräsident hinter sich hat. Ihm ist es zu verdanken, dass Europa eine Verfassung und einen neuen Kommissionspräsidenten hat. Und wie ist ihm das gelungen?! Mit Charme, mit Überzeugungs- und Durchsetzungskraft, mit dem Willen zum Konsens und zum Kompromiss, mit dem Talent, Eitelkeiten in Rechnung zu stellen - also mit all den Voraussetzungen, die man braucht, um in Brüssel erfolgreich zu sein. Doch Ahern stand nicht zur Debatte.