EU-Hilfe für die Ukraine: Blockierer Orban als Verlierer
2. Februar 2024Das Verhalten des ungarischen Premiers Viktor Orban gegenüber seinen Partnern in der Europäischen Union hat etwas zunehmend Rätselhaftes, vor allem aber auch Würdeloses - für ihn selbst, für seine bedingungslos loyalen Mitarbeiter in seiner Partei Fidesz und für seine treuen Wählerinnen und Wähler. Schon Dutzende Male in den vergangenen Jahren hat Ungarns Premier versprochen, bestimmte Vorhaben der EU auf keinen Fall zu akzeptieren und erbarmungslos gegen sie zu kämpfen. Am Ende hat er sie doch mitgetragen. Oft ohne weitere Erklärungen und ohne dass klar wurde, ob und warum er im Gegenzug Zugeständnisse erhielt.
So war es auch diesmal vor dem EU-Sondergipfel vom 1. Februar, auf dem über das finanzielle Hilfspaket für die von Russland überfallene Ukraine entschieden wurde. Der Gipfel war notwendig geworden, weil Orban Ende vergangenen Jahres seine Zustimmung zu dem Paket verweigert hatte. Geplant sind 50 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahre. Seit Wochen hatte Orban immer wieder angekündigt, sein Veto gegen das Vorhaben einzulegen - und das in einer nie dagewesenen Lautstärke und mit so schrillen Worten, dass ein Rückzug schwer vorstellbar erschien. Er rief zum "Kampf gegen die Brüsseler Bürokraten" und den "kriegstreiberischen Westen" auf und erklärte, er sei der einzige Regierungschef der EU, der für Frieden eintrete. Die Ukraine nannte er "eines der korruptesten Länder der Welt", dem man nicht einfach so 50 Milliarden Euro geben dürfe - ausgerechnet als Regierungschef eines Landes, das als eines der korruptesten der EU gilt.
Am Donnerstagvormittag jedoch zog Ungarns Premier seine Vetodrohung in kleiner, informeller Runde zurück, noch bevor der EU-Gipfel in Brüssel richtig begonnen hatte. Nach dem nicht-offiziellen Treffen, an dem auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz teilgenommen hatte, schrieb Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rates, auf X: "Wir haben einen Deal."
Heftiger Gegenwind
Von außen betrachtet kam das nach der wochenlangen Zitterpartie höchst überraschend. Es ist unklar, wer oder was Orban diesmal zur Aufgabe seiner Vetodrohung bewegt haben könnte - klar war zuvor nur gewesen, dass der Ungar mit heftigstem Gegenwind zu rechnen hatte und nicht einmal sein einziger Noch-Verbündeter, der sozialdemokratisch-rechtsnationale slowakische Regierungschef Robert Fico beim Veto mitmachen wollte.
Im Dezember-Gipfel hatte Orban nach einer ähnlichen Vetodrohung doch noch der Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zugestimmt. Umgestimmt hatte ihn die Brüsseler Zusage, wonach ein Teil der gesperrten Fördermittel für Ungarn nun ausgezahlt werde. Es ging um zehn von insgesamt 22 Milliarden Euro, die seit 2021 wegen Rechtsstaatsmängeln im Land und wegen Korruptionsvorwürfen gegen die ungarische Regierung eingefroren worden waren.
Diesmal war von einem derartigen Deal nicht die Rede. Orban habe keinerlei weitere Zusagen über die Auszahlung gesperrter EU-Gelder erhalten, hieß es in Brüssel. Orban selbst postete auf seiner Facebook-Seite ein Video mit dem Titel "Wir haben es erkämpft". Darin sagt er, Ungarn habe eine Garantie erhalten, dass die dem Land zustehenden Gelder nicht an die Ukraine gingen. Außerdem werde es einen Kontrollmechanismus geben, der die "vernünftige Verwendung der Gelder" garantiere. Über dem Video schrieb Orban: "Wir haben es erkämpft! Das Geld der Ungarn wird nicht den Ukrainern gegeben. Wir werden nicht am Krieg teilnehmen, wir schicken keine Waffen, und wir stehen weiterhin auf der Seite des Friedens!"
Größte Niederlage seit Jahren
Wie so oft behauptet Orban auch in dieser Erklärung etwas, das gar nicht zur Debatte stand, nämlich, dass für Ungarn eingeplante Gelder an die Ukraine gehen sollen. Deshalb ist auch von jeglichen Garantien keine Rede. Auch den von Orban angeführten Kontrollmechanismus wird es so nicht geben. Das EU-Hilfspaket wird zwar nach zwei Jahren überprüft - vom Tisch ist es aber nur, wenn alle 27 Mitgliedsstaaten sich einhellig dafür aussprechen.
Das Gipfelergebnis ist für Ungarns Premier eine der größten Niederlagen, die er in den vergangenen Jahren in Brüssel erlitten hat. Eine Niederlage auch angesichts des Lärms, den Orban zuvor veranstaltet hatte, und angesichts seiner Forderung, jedes Jahr von Neuem über einen jeweiligen Teil der Ukraine-Hilfe abzustimmen. Das hätte Ungarns Premier künftig jedes Jahr eine Veto-Möglichkeit gegeben.
Geschuldet sein dürfte die Niederlage auch der verbreiteten "Orban-Müdigkeit" in der EU, wie sie der neue polnische Premier Donald Tusk konstatierte. Im Vorfeld des EU-Gipfels hatten mehrere Regierungschefs und zahlreiche hochrangige Politiker wie auch EU-Abgeordnete ihre Frustration über den ungarischen Premier ausgedrückt. In Brüssel hatte Orban für den Fall einer fortgesetzten Blockade-Haltung auch mehr oder weniger offene Drohungen erhalten - etwa, dass Fördergelder für Ungarn erneut eingefroren werden könnten oder ein Verfahren gestartet werde, um dem Land sein Stimmrecht in der EU zu entziehen.
Rassistische Beleidigung der Ukraine
Doch wie bereits in Orbans Facebook-Video angedeutet, verkauft Ungarns Premier das Gipfelergebnis vor einheimischem Publikum als seinen Erfolg. In seinem wöchentlichen Interview im staatlichen Radio wiederholte er am Freitag seine Worte aus dem Facebook-Video vom Vortag.
Zugleich konnte er sich eine üble rassistische Beleidigung der Ukraine nicht verkneifen. Es ging um eine Bemerkung des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba - der hatte in einer Pressekonferenz vergangene Woche gesagt, dass Ungarn seiner Ansicht nach "nicht russlandfreundlich, sondern vor allem ungarnfreundlich" sei. Es war eigentlich als versöhnliche Aussage gegenüber Orban gemeint, der tatsächlich ein sehr enges und freundschaftliches Verhältnis zum russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin pflegt - als einziger Regierungschef in der EU. In seinem Interview schimpfte Orban über Kuleba: "Die benachbarten Slawen sollen mir nicht über den tausendjährigen ungarischen Staat sagen, wer wir sind, das entscheiden wir selbst. Wir brauchen diesen Koscher-Stempel nicht."
Dahinter steckt mehr als nur zeitweilige Wut über eine schmachvolle Gipfel-Niederlage. Orban wird auch künftig weder Abstand zu Russland nehmen noch sich konstruktiver gegenüber der Ukraine verhalten. Wie das Budapester Investigativ-Portal Direkt36 vor kurzem aufdeckte, hat er hinter verschlossenen Türen grundsätzliche Bedenken gegen eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine geäußert. Denn damit, so der Premier, würde in der EU langfristig ein von den USA gesteuertes "Kraftzentrum" in der EU entstehen, zu dem auch die baltischen Staaten und Polen zählten. Und das liege nicht im Interesse Ungarns.