EU-Gipfel will über Asylzentren in Afrika beraten
19. Juni 2018Im europäischen Asylstreit schlägt EU-Ratspräsident Donald Tusk einen drastischen Kurswechsel vor: Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union wollen sich beim EU-Gipfel Ende Juni mit der Einrichtung von Flüchtlingszentren etwa in Nordafrika befassen. Dies geht aus einem entsprechenden Entwurf einer Gipfelerklärung hervor, die der Nachrichtenagentur Reuters und der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
In solchen Flüchtlingszentren soll demnach in raschen Verfahren zwischen Armutsflüchtlingen und solchen Geflüchteten unterschieden werden, die internationalen Schutz benötigten. Die vorgeschlagenen Anlandepunkte sollten in enger Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) betrieben werden, heißt es in dem Papier. Das Ziel dieser Asylzentren soll offenbar sein, dass sich weniger Menschen auf die oft lebensgefährliche Flucht nach Europa begeben.
Anlandepunkte statt Seenot
Für Migranten, die die Überfahrt nach Europa dennoch antreten und von Rettungsmissionen aufgenommen werden, sollen künftig zentrale Sammelpunkten außerhalb der EU errichtet werden, wo direkt über ihre Schutzbedürftigkeit entschieden würde.
Schon jetzt ist die Zahl der Migranten, die über das Mittelmeer nach Europa kommen, deutlich zurückgegangen. Wie IOM mitteilte, kamen bis Mitte Juni gut 40.000 Menschen. Das entspricht etwa die Hälfte derer, die im gleichen Zeitraum des Vorjahres, über die Mittelmeer-Route in die EU einreisten; 2016 waren es mehr als 215.000. Nach der IOM-Statistik starben im vergangenen Jahr über 2000 Menschen, und in diesem Jahr bislang 857. Hilfsorganisationen gehen allerdings davon aus, dass kleinere Boote verunglücken und Menschen ertrinken, ohne dass die Organisationen davon erfahren.
EU-Ratspräsident Tusk fordert eine noch engere Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache sowie mit Orten an der libyschen Küste und im Süden des Landes, um Schleppern in dem nordafrikanischen Land das Handwerk zu legen und Flüchtende daran zu hindern, in die meist seeuntauglichen Boote zu steigen. Unterstützt werden sollten humane Aufnahmebedingungen und die freiwillige humanitäre Rückkehr, heißt es weiter. Zur Finanzierung der Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern soll nach 2021 ein eigener Finanztopf geschaffen werden.
Besserer Austausch von Daten
In dem Entwurf ist auch der Appell an alle Mitgliedstaaten enthalten, die Weiterreise eines bereits in der EU registrierten Flüchtlings in ein anderes EU-Land zu verhindern. Diese sogenannte Sekundärmigration zwischen den EU-Staaten gefährde das Asylsystem, heißt es in dem Entwurf der Erklärung. Um dieser Sekundärmigration entgegenzuwirken, sollten die EU-Mitgliedstaaten alle erforderlichen gesetzlichen und behördlichen Maßnahmen ergreifen. Als Voraussetzung gilt eine enge Zusammenarbeit zwischen den einzelnen EU-Staaten.
Der Vorstoß soll Bewegung in die seit Jahren völlig festgefahrene Debatte um eine europäische Asylreform bringen. Eine Forderung der konservativen CSU, in einem anderen EU-Land bereits registrierte Flüchtlinge direkt an den deutschen Grenzen abzuweisen, hatte in Deutschland bereits zu einer Regierungskrise geführt. Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt auf bilaterale Lösungen mit anderen EU-Staaten. Die Unionspartei CSU hatte ihr am Montag eine Frist von zwei Wochen gewährt, um beim EU-Gipfel Ende Juni eine Lösung auszuhandeln. Andernfalls will Innenminister Horst Seehofer (CSU) die Bundespolizei anweisen, entsprechende Flüchtlinge zurückzuweisen.
Einzelne Staaten in der Vorbereitung
Pläne für entsprechende Asylzentren verfolgen Italiens neuer Ministerpräsident Giuseppe Conte und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Für die Bearbeitung von Asylanträgen in den Herkunftsländern wollen sie gemeinsam an entsprechenden Plänen arbeiten. Macron sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Freitag mit Conte, er unterstützte die Idee von "Zweigstellen unserer Asylbehörden, um diese Frage auf der anderen Seite" des Mittelmeers zu lösen.
Auch der dänische Ministerpräsident Lars Lokke Rasmussen hatte Anfang Juni entsprechende Einrichtungen außerhalb der EU ins Gespräch gebracht, die aber noch auf dem europäischen Kontinent liegen. Mit einigen Ländern wie Deutschland, den Niederlanden und Österreich werde bereits über das Vorhaben gesprochen. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz bestätigte die Planungen. "Es ist eine Initiative in Absprache mit einigen wenigen europäischen Staaten."
sam/pg (dpa, rtr)