Merkel sucht Freunde in Europa, Seehofer tritt nach
17. Juni 2018Die Bundesregierung hat einen Bericht dementiert, wonach Kanzlerin Angela Merkel einen EU-Sondergipfel zur Flüchtlingspolitik plant. "Es ist kein EU-Sondergipfel geplant", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Morgen. Die Einberufung eines solchen Sondergipfels wäre ohnehin Angelegenheit der EU-Institutionen. "Selbstverständlich ist, dass die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Gespräche mit unterschiedlichen Mitgliedstaaten und der Kommission führt."
Treffen mit Conte und Macron
Die "Bild"-Zeitung hatte zuvor berichtet, dass Merkel noch vor dem regulären EU-Gipfel Ende Juni ein Sondertreffen mit den von der Flüchtlingskrise besonders betroffenen europäischen Staaten plane. Darunter sollen Griechenland, Italien und Österreich sein. Das Blatt zitierte ein italienisches Regierungsmitglied mit den Worten: "Es ist bislang nichts beschlossen, wir stehen in der Planungsphase."
Der reguläre EU-Gipfel findet am 28. und 29. Juni statt. Merkel hatte angekündigt, dass sie sich um bi- oder multilateralen Abkommen für die Rückführung von Migranten in andere EU-Staaten bemühen will, in denen sie zuerst registriert wurden. Sie empfängt am Montag den italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte und am Dienstag den französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
"Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten"
Die Kanzlerin steht massiv unter Druck, weil die CSU einen schärferen Kurs in der Asylpolitik fordert. CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer verlangt, Migranten an der Grenze zurückzuweisen, die schon andernorts in der EU als Asylbewerber registriert sind. Merkel soll dem bis Montag zustimmen. Die CDU-Chefin plädiert stattdessen für eine europäische Lösung, auf die Seehofer aber nicht warten will.
Seehofer äußerte sich laut einem Bericht der "Welt am Sonntag" in interner Runde äußerst skeptisch über eine weitere Zusammenarbeit mit der Kanzlerin. "Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten", sagte Seehofer demnach über Merkel in einer Runde der Regierungsmitglieder der CSU mit dem Landesgruppenvorsitzenden Alexander Dobrindt bereits am Donnerstag in Berlin. Er habe den Satz in dieser Runde nach Teilnehmerangaben zweimal gesagt. In der anschließenden Sitzung aller CSU-Abgeordneter habe Seehofer ihn allerdings nicht wiederholt.
"Niemand in CSU hat Interesse, die Kanzlerin zu stürzen"
In einem Zeitungsinterview schlug Seehofer dagegen versöhnliche Töne an. "Niemand in der CSU hat Interesse, die Kanzlerin zu stürzen, die CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft aufzulösen oder die Koalition zu sprengen", sagte der Minister der "Bild am Sonntag". Dobrindt erklärte, es gehe nicht nur um die CSU allein. Die "Neuordnung des Asylsystems" machte er zur "Frage der Identität" der Unionsparteien: "Wir müssen zeigen: Wir setzen nicht nur Recht, sondern wir sind auch bereit, es durchzusetzen." Systemfehler müssten abgestellt werden, um denen Schutz zu bieten, die ihn wirklich brauchen. "Und die abzuweisen und zurückzuführen, die keinen Anspruch auf Hilfe haben", sagte Dobrindt.
Seehofer will sich am Montag die Zustimmung des CSU-Vorstandes zu einem nationalen Alleingang mit einseitigen Rückweisungen an der deutschen Grenze geben lassen. Mit Gegenwehr aus der CSU ist nicht zu rechnen. Setzt der Innenminister seinen Plan in die Tat um, würde der CSU-Chef Merkel damit direkt politisch herausfordern. Ob die Kanzlerin das hinnimmt oder ihren Minister entlässt, ist offen. Wirft Merkel Seehofer aus dem Kabinett, dürfte die Koalition am Ende sein.
sti/ml/nob (afp, dpa, rtr, epd)