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Politik

EU-Migrationspolitik: Wo bleibt die Solidarität?

14. Dezember 2017

Die östlichen Partner wollen keine Asylbewerber aufnehmen. Und Kanzlerin Merkel will keine "selektive" Solidarität akzeptieren. Der Gipfel der 28 EU-Staaten hat keine Lösung parat. Bernd Riegert berichtet aus Brüssel.

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Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs | Angela Merkel
Bild: Reuters/Y. Herman

Schon vor Beginn des Gipfeltreffens hatte der Vorsitzende des Europäischen Rates, Donald Tusk, für einigen Wirbel gesorgt. Tusk hatte in seinem Einladungsschreiben die offensichtliche Spaltung der Europäischen Union in der Migrationsfrage angesprochen. Die osteuropäischen Staaten aus der "Visegrad-Gruppe", also Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei stimmten ihm zu, weil Tusk zugestanden hatte, das bisherige System wie die Verteilung von Flüchtlingen nach Quoten habe nicht funktioniert. Andere Staaten wie Deutschland pochen aber darauf, dass alle EU-Staaten, auch die Visegrad-Staaten, ihre Pflichten erfüllen und Asylbewerber aufnehmen.

Merkel fordert Soldarität nach innen

Die Vorschläge von Ratspräsident Tusk, seien nicht ausreichend, kritisierte die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel. "Wir brauchen nicht nur Solidarität bei der Ordnung und Steuerung der Migration nach außen, an den Außengrenzen. Das ist gut und wichtig, aber wir brauchen auch Solidarität nach innen", verlangte Merkel. Italien und Griechenland, wo die meisten Migranten ankommen, müssten entlastet werden. "Eine selektive Solidarität kann es nach meiner Auffassung unter europäischen Mitgliedsstaaten nicht geben. Das jetzige Dublin-System funktioniert überhaupt nicht. Deshalb brauchen wir hier auch nach innen solidarische Lösungen." Das Dublin-System schreibt vor, dass der Mitgliedstaat der ersten Einreise für den Asylbewerber, Flüchtling oder Migranten zuständig ist.  

Nach stundenlangen Beratungen trat die Kanzlerin noch einmal vor die Journalisten und zeigte sich unzufrieden, dass es im Streit um die Aufnahmequoten keine Annäherung gab. "Hier haben wir noch ein großes Stück Arbeit zu tun", sagte Merkel. Und auch Österreichs Bundeskanzler Christian Kern verlangte eine europäische Lösung für das Problem der Flüchtlingsaufnahme. Wenn es diese nicht gebe, "werden wir es gar nicht lösen", sagte Kern. Dies wäre für ihn "eine absolute Kapitulation". 

Die Europäische Kommission hat wegen der Nichtaufnahme von Flüchtlingen Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen und Ungarn eingeleitet.

Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs | Donald Tusk
Sorgenvoll: Donald Tusk auf dem EU Gipfel in Brüssel Bild: picture-alliance/AP Photo/dpa/O. Matthys

Tusk sieht Spaltung der EU

Ratspräsident Tusk hatte zum Auftakt des vorweihnachtlichen Gipfels in Brüssel noch einmal klargemacht, dass er einen tiefen Riss in der EU sieht, sowohl in der Migrationspolitik als auch bei der Weiterentwicklung der Währungsunion, also der Euro-Zone. "Bei der Währungsunion sind wir - geografisch vereinfacht - in Norden und Süden gespalten. Bei der Migration sind wir in Westen und Osten gespalten", sagte Donald Tusk. "Diese Gräben sind mit Emotionen verbunden, die es schwer machen überhaupt nur eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Argumente zu finden. Darum müssen wir an unserer Einigkeit noch intensiver und besser arbeiten als bisher."

Von Ungarn und der Slowakei erhielt Tusk Beifall für seine Analyse. "Er spricht nur aus, was alle wissen", meinte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó in Brüssel.In der Tat hat der EU-Kommissar für Migration, Dimitris Avramopoulos, bereits im September, eingeräumt, dass das  Quotensystem zur Verteilung von Flüchtlingen in der Vergangenheit nicht funktioniert hat. Für die Zukunft schlägt die EU-Kommission deshalb ein freiwilliges System vor, das es Verweigerern wie Polen oder Ungarn erlauben würde, überhaupt keine Migranten aufzunehmen. Stattdessen sollen diese Staaten andere Leistungen erbringen, um die Länder wie Griechenland und Italien, in denen die meisten Migranten ankommen, zu entlasten.

Tschechien lehnt Quoten ab

Der neue tschechische Ministerpräsident Andrej Babis, der der EU kritisch gegenübersteht, will möglichst wenig Migranten aus Afrika nach Europa lassen. "Quoten sind keine Lösung für illegale Einwanderung. Wir müssen diese Migrations-Mafia bekämpfen, die Milliarden Euro verdient. Sie bringt diese unglücklichen Leute nach Europa, verspricht ihnen eine bessere Zukunft, die es aber nicht geben wird." Die Diskussion um ein neues Migrationssystem für die EU und die Asylregeln, die unter dem Namen "Dublin" zusammengefasst werden, wird bei diesem Gipfeltreffen fortgesetzt. Beschlüsse werden nicht vor Juni 2018 erwartet.

Karte Visegrad Gruppe ENG
Visegrad-Gruppe in der EU: Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn (benannt nach Gründungsort der Gruppe in Ungarn)

Die Visegrad-Staaten, Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei machten in Brüssel schon einmal klar, wie sie sich ihren Beitrag vorstellen. Sie wollen zahlen statt Migranten aufzunehmen. Mit dem italienischen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni vereinbarten sie einen Beitrag von 35 Millionen Euro zur Stärkung der Küstenwache in Libyen und zur Sicherung der Grenzen. Italien leitet die Sicherung der Seegrenze zu Libyen im Auftrag der Europäischen Union. Ministerpräsident Gentiloni zeigte sich zufrieden mit dem Ansatz der Visegrad-Staaten: "Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Schritt, der zeigt, dass Italien und andere Recht haben, wenn sie sagen, dass ist nicht nur eine innenpolitische Angelegenheit, sondern das geht die ganze Europäische Union an."

Geld statt Aufnahme von Migranten

Der neue tschechische Ministerpräsident Andrej Babis pocht darauf, dass es bei der Migrationspolitik vor allem um die Abriegelung der Zugangsrouten gehen muss: "Das ist ein gutes Projekt, das zu unserer Strategie passt, die Migrations-Krise außerhalb von Europa zu lösen." Der ungarische Ministerpräsident Victor Orban ergänzte, die Visegrad-Staaten seien - falls nötig - auch bereit, Personal nach Libyen und in EU-Missionen zu entsenden, um die Grenzen zu sichern. Der Chef der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker ist mit dem Beitrag der Visegrad-Staaten ebenfalls einverstanden. Die Kritik vieler Europa-Abgeordneter, die östlichen Staaten würden sich aus ihrer Verantwortung "freikaufen" teilt er nicht. "Ich bin froh, dass es erste konkrete Ergebnisse gibt. Die vier Visegrad-Staaten haben geliefert. Das ist der Beweis, dass die vier Staaten mit Italien und anderen doch Solidarität zeigen. Deshalb bin ich an diesem Punkt wenigstens glücklich", sagte Jean-Claude Juncker.

Rückführung von Migranten aus Libyen

Parallel zum Gipfeltreffen sprach die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini in Brüssel über die Migrationskrise in Libyen mit der Sozial-Kommissarin der Afrikanischen Union, Amira El Fadi. Sie sagte, die Zustände in den Flüchtlingslagern seien katastrophal. Rund 700.000 Migranten aus Afrika seien in Libyen gestrandet. Da die meisten von Ihnen nicht nach Europa weiterkommen, sollten sie in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden. "Die Kommission der Afrikanischen Union und ihre Mitgliedsstaaten engagieren sich. Sie sind bereit, ihre Staatsangehörigen zurück zu holen. Sie kooperieren. Einige haben angeboten, ihre Fluggesellschaften in unseren Dienst zu stellen", sagte Amira El Fadi. Rückführungen aus Libyen sollten verstärkt werden. Gleichzeitig werde sich die Europäische Union bemühen, den Rückkehrern eine Wiedereingliederung zu ermöglichen, kündigte die EU-Außenbeauftragte Mogherini an. Sie versprach zusätzliche Gelder für diesen Zweck. Daneben müsse der Staat Libyen stabilisiert und aufgebaut werden, so Mogherini. "Wir konzentrieren und jetzt auf Migration, aber in Libyen geht es nicht alleine darum. Wir müssen über Politik und Sicherheit in Libyen sprechen, einem Land, das endlich aus der endlosen Krise herausfinden muss."

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union