EU gibt sich neue Schuldenregeln
20. Dezember 2023Nach einem Jahr intensiver und zäher Beratungen schafften die Finanzministerinnen und Finanzminister der Europäischen Union bei einer Videokonferenz kurz vor Weihnachten doch noch einen Durchbruch, an den viele nicht mehr geglaubt hatten. "Das sind sehr gute Nachrichten für Europa", freute sich die spanische Vorsitzende der Ministerrunde, Nadia Calvino, bei einer Pressekonferenz in Madrid. "Das ist die Krönung der spanischen Ratspräsidentschaft. Die Entscheidung wurde einstimmig getroffen. Die neuen Regeln werden klarer und einfacher anzuwenden sein", versprach die spanische Finanzministerin.
Die Einigung war möglich geworden, nachdem sich am Dienstag der deutsche Finanzminister Christian Lindner und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire bei einem Abendessen in Paris handelseinig wurden. Lindner, der im Prinzip für ausgeglichene Haushalte eintritt, vertrat die eher sparsamen EU-Länder im Norden, Le Maire kämpfte für die Interessen der südlichen Staaten, die lockere Regeln für die Verschuldung erreichen wollten. Jetzt sei eine Balance zwischen beiden Gruppen gefunden worden, berichtete die spanische Vorsitzende Nadia Calvino.
Flexibel und einfacher?
Die Obergrenze für die Gesamtverschuldung bleibt bei 60 Prozent der wirtschaftlichen Leistung eines Landes. Auch die Grenze für die jährliche Neuverschuldung bleibt bei drei Prozent. Die Geschwindigkeit des erforderlichen Schuldenabbaus wurde jedoch den Wünschen der hoch verschuldeten Staaten angepasst, zu denen Griechenland, Italien und auch Frankreich gehören. Die Hälfte der EU-Staaten überschreitet die 60-Prozentmarke zum Teil erheblich. Deutschland, das nur knapp über der Grenze liegt, setzte durch, dass es feste Leitlinien für den Schuldenabbau und die Neuverschuldung gibt, die nicht jeder EU-Staat mit der EU-Kommission individuell aushandeln kann.
Künftig sollen bestimmte Staatsausgaben für Verteidigung und den Klimaschutz, die mit Schulden finanziert werden, aus der Berechnung der Gesamtschulden herausgerechnet werden. "Investitionen müssen besser geschützt werden. Wir dürfen uns nicht selbst strangulieren", hatte der französische Finanzminister Bruno Le Maire immer wieder gefordert. Eine "Goldene Regel", die alle Investitionen aus der Schuldenrechnung genommen hätte und anfangs von Italien gefordert worden war, wird allerdings nicht kommen.
Vertrauen auf den Märkten erhalten
Die Einigung der Finanzministerinnen und Finanzminister solle den Finanzmärkten signalisieren, dass sie der EU im Allgemeinen und der verantwortlichen Haushaltspolitik der Mitgliedsstaaten der Währungsgemeinschaft Euro im Besonderen vertrauen können, meinte die spanische Ressortchefin Calvino. Die EU-Staaten sind bei der Schuldenaufnahme von den privaten Finanzmärkten abhängig. Die Zinsen und damit die Kosten für die Refinanzierung der Schulden sind im vergangenen Jahr stark angestiegen. Diese zusätzlichen Kosten, die die Haushalte der Mitgliedsstaaten stark belasten können, sollen durch zeitlich befristete Ausnahmen in den Budgetregeln abgefedert werden. Verschuldete Staaten sollen vier bis sieben Jahre Zeit erhalten, um ihr Schuldenniveau zu senken.
Der deutsche Finanzminister Christian Lindner lobte die Regeln als Stärkung des Stabilitätspaktes. "Sie verbinden klare Zahlen für niedrigere Defizite und sinkende Schuldenquoten mit Anreizen für Investitionen und Strukturreformen", schrieb Lindner am Abend auf X.
Alte Regeln waren nicht durchzusetzen
Die alten, als zu strikt empfundenen Schuldenregeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes der EU sind seit vier Jahren, seit dem Beginn der Corona-Pandemie, ausgesetzt. Um Maßnahmen gegen die Coronakrise und die Wirtschaftsflaute zu finanzieren, hatten sich etliche EU-Staaten stark verschuldet. Von diesem hohen Schuldenniveau sollen die Staaten nun langsam wieder herunterkommen. Zu den alten Regeln wollte die Mehrheit der EU-Staaten nicht zurückkehren, zumal diese Regeln in der Vergangenheit oft gebrochen wurden, ohne dass die EU-Kommission die möglichen Strafen hatte verhängen und eintreiben können. Auch die neuen Regeln sind mit Strafen bewehrt, aber der EU-Kommissar für Finanzen, Valdis Dombrovskis, hoffte, dass er diese Strafverfahren nie einleiten müsse. Man habe jetzt mehr realistische Vorgaben.
Die Finanzministerinnen und Finanzminister einigten sich einstimmig, mit dem widerspenstigen Ungarn an Bord, auf die fiskalischen Regeln. Die müssen jetzt noch mit dem Europäischen Parlament verhandelt werden und bis April in ein Gesetz münden. Dann würden die Haushalte der Mitgliedsstaaten für das Jahr 2025 nach den gelockerten Regeln aufgestellt werden können.