Schulden: Die deutsche Angst
11. Dezember 2023Schulden, Schuldenberg, Schuldenlast - in deutschen Medien geht es seit Tagen um eine altbekannte German Angst: die Angst vor den alles erdrückenden Schulden.
Von außen betrachtet sieht das anders aus: Deutschland habe viele Probleme - Schulden seien es aber nicht, schrieb das britische Wirtschaftsmagazin The Economist.
Ausgelöst wurde die Diskussion durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die 60 Milliarden Euro an Krediten für ungültig erklärte. Das Geld fehlt seitdem für zentrale Investitionen und zwingt die Bundesregierung, den Haushalt für 2024 anzupassen. Nun könnte die Regierung sogar an der Frage scheitern: Soll Deutschland weiter Schulden machen und den Fuß von der Schuldenbremse nehmen oder soll das Land sparen?
Wann werden Schulden zur Last?
Dahinter steckt die Angst, dass die Staatsschulden Deutschland gefährlich werden können. Doch wann ist das der Fall? Die einfache Antwort könnte lauten: Immer dann, wenn sie Staaten teuer zu stehen bekommen. Und teuer werden sie vor allem dann, wenn Christian Esters und sein Team den Daumen senken. Esters leitet bei der US-Ratingagentur S&P die Abteilung Staatsbewertungen. Sein Arbeitgeber gilt als die größte und wahrscheinlich auch einflussreichste Ratingagentur der Welt - vor Moody's und Fitch, beide ebenfalls aus den USA.
Die Entscheidungen von Esters Teams können Auswirkungen auf ganze Länder haben. Ihre Bewertungen, auch Ratings oder Bonität genannt, geben vor, wann Staaten pleite sind und wie viel neue Schulden kosten. Denn je schlechter die Ratings, desto teurer wird es, Schulden zu machen.
Bei der Bestimmung von Ratings spielt auch der Schuldenstand eine Rolle, so Esters zur DW. Dabei ist für S&P vor allem die Verschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt wichtig. Deutschland liegt da mit 66 Prozent weltweit gesehen relativ weit hinten. Andere Länder wie die USA oder auch Japan sind deutlich höher verschuldet gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung.
Eine Größe, die in der Diskussion auch häufiger genutzt wird, ist die öffentliche Gesamtschuld. Man kennt sie: die Schuldenuhr.Hier drehen sich die Ziffern seit 1950 immer weiter und in nur eine Richtung. Aktuell liegt die Gesamtverschuldung Deutschlands bei 2,5 Billionen Euro. In der Eurozone liegt Deutschland damit hinter Frankreich und Italien auf Rang 3.
Für Esters von S&P ist die Gesamtverschuldung eines Staates aber keine relevante Größe. "Die absolute Staatsverschuldung vernachlässigt die Relativität zur Größe der Volkswirtschaft", sagt der Bonitätsprüfer.
Auch die Staatsverschuldung pro Kopf wird manchmal in der Diskussion genannt. In Deutschland liegt sie momentan bei über 31.000 Euro pro Einwohner. Für die Bonität spielt sie aber auch keine übergeordnete Rolle. Denn vor allem Länder des globalen Nordens wirken danach häufig deutlich verschuldeter als die bevölkerungsreichen Schwellenländer. Arme und reiche Länder miteinander zu vergleichen sei aber irreführend, so Esters.
Insgesamt sei die Staatsverschuldung aber nur eine Facette bei der Bewertung der Kreditwürdigkeit. "Es gibt eine Reihe von anderen Faktoren, zum Beispiel die Zinskosten für den Haushalt." Je höher die Zinsen, desto teurer werden die Schulden. Und die Höhe der Zinsen hängt auch von der Inflation ab. Denn ist die Inflation hoch, versuchen Notenbanken mit hohen Zinsen dagegenzuwirken. "Die Inflation ist einer der Faktoren, die die Effektivität und Glaubwürdigkeit von Geldpolitik mitbestimmen."
Deutschland liegt bei der Inflation im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Die weltweite Inflation hat in den vergangen Jahren wieder leicht zugenommen. Im Vergleich zu den 1980er- und 90er- Jahren ist sie aber weiterhin moderat. "Hohe Inflation kann auch zu Kaufkraftverlust und verringerter internationaler Wettbewerbsfähigkeit führen", sagt Esters mit Blick auf die Kreditwürdigkeit. Die Inflation sei eine "wichtige Größe" für staatliche Ratings.
Doch wer wieviel Geld für neue Schulden bezahlen muss, das entscheiden auch politische Faktoren, so Esters. "Wichtig ist zu betonen, dass wir nicht nur fiskalische Faktoren berücksichtigen. Insbesondere die letzten Jahre haben gezeigt, das die Vorhersehbarkeit und Stabilität von Institutionen eine wichtige Rolle spielt. Staaten können in Schuldenkrisen geraten, weil die politischen Institutionen des Landes schwach sind."
Hier schließt sich der Kreis. Denn gerade Schulden können dabei eine wesentliche Rolle spielen. Laut S&P hat sich die weltweite Staatsverschuldung seit der Corona-Pandemie im Durchschnitt um circa acht Prozent des BIP erhöht. Das wiederum erhöht auch den Druck auf die Staatshaushalte - vor allem in Zeiten, in denen Zinsen hoch sind, so wie derzeit. "Ein größerer Anteil der Staatseinnahmen muss für die Zinsen ausgegeben werden. Dies schränkt die verbleibende fiskalische Flexibilität ein, zum Beispiel um auf künftige Schocks oder Krisen zu reagieren", sagt Esters.
Hohe Staatsschulden müssen nicht zwangsläufig zu geringeren Rücklagen bei Privathaushalten führen - die Deutschen sparen beispielsweise immer noch recht viel.
Und trotz immenser Schulden in den vergangenen Jahren für Corona-Hilfspakete, Umbau der Wirtschaft und Ukraine-Krieg - bei S&P gab es im Jahr 2023 mehr sogenannte positive Veränderungen bei den Bonitätsbewertungen. Mit Blick auf die kommenden Jahre sieht es aber anders aus: „Wir erwarten in den nächsten ein bis zwei Jahren eher mehr negative als positive Ratingveränderungen". Entscheidend für die Entwicklung seien aber nicht die Schuldenberge - sondern politische Risiken.
Für Deutschland ist Esters positiv gestimmt - trotz möglicher neuer Schulden, die gemacht werden. Er verweist auf das Jahr 2010, als Deutschlands Schuldenlast mit 80 Prozent des BIPs deutlich höher lag als heute. Auch damals habe man an der Kreditwürdigkeit Deutschlands nicht gezweifelt und die Bewertung bei AAA gelassen - was der besten Bewertung entspricht.