EU-Flüchtlingspolitik fehlt Geld und Personal
14. Oktober 2015Vor gerade einmal drei Wochen hatten die 28 Staats- und Regierungsschefs der Europäischen Union bei einem Sondertreffen zur Flüchtlingskrise eine ganze Reihe von dringenden Maßnahmen beschlossen, um "der größten Herausforderung seit Jahrzehnten" gerecht zu werden, wie es damals in den Gipfelpapieren hieß. Einen Tag vor dem nächsten Gipfeltreffen der EU hat die EU-Kommission nun eine Zwischenbilanz gezogen, um zu sehen, was von den Beschlüssen denn tatsächlich umgesetzt wurde. "Über die Lücken bin ich besorgt", sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, und stellte den Mitgliedsstaaten ein schlechtes Zeugnis aus. "Den Worten müssen nun auch Taten folgen", mahnte Timmermans vor der Presse in Brüssel.
Versprechen werden nur zögernd erfüllt
Ein Blick auf die Zahlen macht deutlich, was der der EU-Kommissar meint: Die Staats- und Regierungschefs hatten einen Hilfsfonds für Syrien in Höhe von einer Milliarde beschlossen. Die EU-Kommission hat aus der Gemeinschaftskasse inzwischen die Hälfte der Mittel bereitgestellt, also 500 Millionen. Die Mitgliedsstaaten wollten die andere Hälfte zahlen, geflossen sind bislang acht Millionen. Die Staats- und Regierungschefs hatten beschlossen, mit einer weiteren Milliarde Ernährungsprogramme der UN-Organisationen in Flüchtlingslagern in der Türkei zu finanzieren. Die EU-Kommission hat 200 Millionen Euro eingezahlt. Alle Mitgliedsstaaten zusammen 270 Millionen. Es fehlt also noch mehr als die Hälfte der sogenannten "Soforthilfe" für das Welternährungsprogramm. Auch ein spezieller Hilfsfonds für die Herkunftsländer der Flüchtlinge in Afrika ist nach Angaben der EU-Kommission noch gähnend leer.
Ein Vertreter der Bundesregierung in Berlin, der anonym bleiben will, räumte ein, dass die Beteiligung der EU-Mitgliedsstaaten an ihren eigenen Beschlüssen "noch nicht ganz so ausgeprägt ist, wie wir uns das wünschen würden". Deutschland hat Hilfen in Höhe von 100 Millionen Euro zugesagt. Angekommen ist davon in Brüssel aber bis jetzt nur ein Bruchteil.
Personal dringend gesucht
Nicht viel besser sieht es beim Personal aus. Die Europäische Grenzschutzagentur (Frontex) und die Agentur für Asylfragen (EASO) haben gemeinsam einen Personalbedarf von 1149 Experten angemeldet. Diese Polizisten und Beamten aus den EU-Mitgliedsstaaten sollen in Registrierungszentren und beim Grenzschutz mitarbeiten. Nach mehrfachen Appellen an die Mitgliedsstaaten sind bis zu diesem Mittwoch von einigen wenigen Staaten 129 Personen gemeldet worden. Die meisten davon stellt Österreich zur Verfügung. Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen nun beraten, was noch unternommen werden kann, um diese großen Lücken zu füllen. "Zufrieden zurücklehnen wird auf jeden Fall nicht klappen", meinte ein EU-Beamter im Gespräch mit Journalisten in Brüssel.
"Hot Spots" wachsen langsam
Erste Fortschritte sieht die EU-Kommission beim Aufbau der sogenannten "Hotspots". Das sind nach Definition der Kommission Beratungs- und Unterstützungsteams, die den Behörden in Italien und Griechenland helfen, Flüchtlinge zu registrieren, Asylverfahren zu organisieren und die Verteilung auf andere Mitgliedsstaaten zu organisieren. Der erste wirklich fertige "Hotspot" mit Mitarbeitern der Grenzschutzagentur Frontex und der Asyl-Behörde EASO arbeitet seit zwei Wochen auf der italienischen Insel Lampedusa. Vier weitere "Hotspots" in Italien sollen folgen. In Griechenland werden auf Ägäis-Inseln solche "Hotspots" eingerichtet. Der erste soll in Kürze auf Lesbos entstehen. Allerdings fehlen in Griechenland nach wie vor ausreichende Kapazitäten, um mehrere Tausend Flüchtlinge, die täglich ankommen, auch zu beherbergen. Griechenland hat derzeit eine Aufnahmekapazität von nur 2000 Personen. Ungefähr doppelt so viele Asylsuchende oder Flüchtlinge kommen derzeit täglich in dem Land an.
Umverteilung hat bescheiden begonnen
Die Umverteilung von Flüchtlingen nach Quoten hat begonnen. Die ersten 19 Menschen aus Eritrea wurden vergangene Woche aus Italien nach Schweden geflogen. In Griechenland soll die Umverteilung nächste Woche beginnen. "Natürlich wurde das jetzt erst einmal getestet. Die Zahlen müssen schnell wachsen", sagte ein EU-Beamter. Nötig sind mehrere Tausend Umsiedlungen pro Woche, um die für den Zeitraum von zwei Jahren angestrebte Zahl von 160.000 Flüchtlingen zu erreichen. Diese Umverteilung wurde gegen den Willen einiger osteuropäischer Staaten als "Notfall-Maßnahme" durchgesetzt. Von einem dauerhaften Verteilungsschlüssel ist die EU noch weit entfernt. Daran werde aber weiter gearbeitet, heißt es aus der EU-Kommission.
Gemeinsamer Grenzschutz dauert noch
Vor drei Wochen hatten die Mitgliedsstaaten beim Sondergipfel auch die Einrichtung einer gemeinsamen Küstenwache beschlossen, um zum Beispiel die Seegrenze Griechenlands besser abschirmen zu können. In dieser Frage sind keine großen Fortschritte zu erkennen, weil sich die Mitgliedsstaaten noch nicht einig sind, wer den Grenzschutz am Ende zuständig sein soll, die EU als Ganze oder doch der einzelne Staat. "Wir werden auf jeden Fall in einigen Wochen einen Vorschlag zum gemeinsamen Grenzschutz vorlegen," kündigte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, an, ohne Einzelheiten zu nennen. Gemeinsame Grenzkontrollen mit der Türkei lehnt die griechische Regierung ab. Die beiden NATO-Mitglieder streiten seit Jahrzehnten über den Verlauf ihrer Seegrenze.