EU-Finanzminister lockern Stabi-Pakt
21. März 2005Elf Stunden dauerte die Marathonverhandlung in Brüssel. Der Montag (21.3.2005) war bereits angebrochen, als sich die EU-Finanzminister auf eine Reform des Stabilitätspaktes der Europäischen Union einigten. Damit bekommen Defizitsünder wie Deutschland und Frankreich mehr Luft in ihrer Finanz- und Haushaltspolitik. Gleichzeitig hat die EU ihre Jahre lange Spaltung in der Haushaltspolitik mit diesem Schritt überwunden.
Eichel setzte eine Berücksichtigung der Kosten der deutschen Einheit bei der Haushaltsbeurteilung durch. Schließlich, so wurde Eichel nicht müde zu betonen, machten die West-Ost-Transfers vier Prozent der Wirtschaftskraft aus. Zwei Drittel der deutschen Wachstumsschwäche seien Folge der Einheit. Mit der Lockerung zentraler Regeln und Fristen des Paktes wird Deutschland nun wohl auch bei einer erneuten Überschreitung der Defizitgrenze von drei Prozent 2005 keine schwer wiegenden Sanktionen befürchten müssen. Berlin verletzt - ebenso wie Paris - seit 2002 den Pakt.
"Gummi-Paragraph"
Eichels Anliegen steht zwar nicht - wie von Berlin bis zuletzt gewollt - in einer "zweifelsfreien Formulierung" in den neuen Regeln, dafür aber ein eher schwammiger Satz: "Die Kosten für die 'Vereinigung Europas' werden in besonderer Weise berücksichtigt, wenn sie einen schädlichen Effekt für das Wachstum und die Haushaltslasten eines Mitgliedslandes haben. In diesem Fall kann die Defizitgrenze zeitweise überschritten werden."
Eichel gehört daher zu den Gewinnern des Brüsseler Reformpokers. "Sie sehen heute einen ausgesprochen zufriedenen deutschen Finanzminister vor sich", gab er nach den Verhandlungen im Ministerratgebäude munter zu Protokoll.
Treppenwitz
Der österreichische Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der zunächst Widerstand leistete, lenkte am Ende ein. Zuvor hatte er Eichels Anliegen noch mit diesen Worten abgeschmettert: "Das wäre schon ein Treppenwitz der Geschichte jetzt die deutsche Einheit, ein Ereignis, das 15 Jahre zurückliegt, da einzubeziehen."
"Es ist gelungen, uns auf einen Pakt zu einigen, dessen Grundregeln wir nicht geändert haben", sagte Juncker. Die Grenzwerte von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes beim Defizit und 60 Prozent bei der Gesamtverschuldung bleiben bestehen. Er erwarte, dass die EU-Staats- und Regierungschefs den Kompromiss bei ihrem kommenden Gipfeltreffen (22. und 23.3.05) in Brüssel ohne große Debatte billigen werden. Bei dem Gipfel will die EU ihre bisher gescheiterte Lissabon-Wachstumsstrategie in neue Bahnen lenken. Ein Streit über den Pakt hätte dieses Vorhaben schwer belastet.
Die EU wird künftig bei der Haushaltsbeurteilung auch Reformen der Rentensysteme berücksichtigen, sagte Juncker. Es soll zwar weiter Defizit-Strafverfahren geben, diese können jedoch bei Reform-Anstrengungen der Staaten und schlechter wirtschaftlicher Lage gestreckt werden. Geldbußen für Sünder dürften damit erst einmal in weite Ferne rücken. Derzeit haben 10 von 25 Staaten zu hohe Defizite.
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GRENZEN: Die Grenzwerte von drei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt beim Defizit und von 60 Prozent bei der gesamtstaatlichen Verschuldung werden nicht angetastet.
GUTE ZEITEN: Phasen mit guten Wachstum sollen verstärkt zur Sanierung der nationalen Budgets genutzt werden.
AUSNAHMEN: Bei Einleitung eines Defizit-Strafverfahrens und in den weiteren Etappen dieser Prozedur kann die EU-Kommission Ausnahme-Tatbestände berücksichtigen. Dazu gehören Reformen der Rentensysteme oder Kosten für Europas Vereinigung. Unter diesen Punkt fällt auch die deutsche Einheit. Voraussetzung dafür ist, dass die Überschreitung der Defizitgrenze vorübergehend ist und nahe am Grenzwert von drei Prozent bleibt.
FRISTEN: Die Fristen zur Defizitverminderung bei Sündern können gestreckt werden. Es ist nun möglich, erst drei Jahre nach Auftauchen eines überhöhten Defizits wieder die Grenze von drei Prozent einzuhalten. Falls die wirtschaftliche Entwicklung lahmt, können zusätzlich Schritte der Strafprozedur wiederholt werden. (mas)