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"Es ist schön, manchmal recht zu haben"

Brigitte Osterath8. Oktober 2013

Er galt als sicherer Kandidat. Und tatsächlich: Das Nobelpreis-Komitee zeichnet Peter Higgs gemeinsam mit dem Belgier François Englert für die Berechnung des Higgs-Teilchens aus.

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Peter Higgs Foto: EFE/TONI ALBIR
Peter Higgs - seine Rechnungen wurden 48 Jahre später wahrBild: picture-alliance/dpa

Seit sich im Sommer 2012 abzeichnete, dass es das mysteriöse Higgs-Teilchen tatsächlich gibt, reißen sich die Medien um einen untersetzten älteren Mann mit schütterem weißen Haar: den Physiker Peter Higgs. Er sagte bereits in den 60er Jahren die Existenz des Teilchens voraus.

Dann kamen die Forscher der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) in Genf dem Teilchen mit ihrem Teilchenbeschleuniger LHC auf die Spur, und unzählige Interviewanfragen prasselten auf den inzwischen 84-jährigen Schotten ein. "Jedes Mal, wenn die LHC-Leute berichteten, dass es einen Hinweis auf das Higgs-Teilchen gebe, überfiel mich die Presse und bat mich um Kommentare", erzählte Peter Higgs dem Physikprofessor Simon Hands im Jahr 2012.

Der ganze Medienrummel ist ihm eher unangenehm, bestätigt Franz Muheim im DW-Interview. Der Professor an der Universität in Edinburgh kennt Higgs gut. "So viel Medienrummel, wie Peter Higgs jetzt bekommt, wäre den meisten Menschen lästig. Er ist bereit, Rede und Antwort zu stehen - aber nicht zu viel." Higgs sei ein sehr netter Mensch, aber relativ scheu. Er lebe sehr zurückgezogen, sagt Muheim.

Nachdem Higgs jetzt gemeinsam mit dem Belgier Francois Englert die begehrteste Auszeichnung für einen Wissenschaftler eingeheimst hat, wird sich das Medientheater sicherlich noch verstärken.

Peter Higgs umringt von Journalisten Foto: EPA/MARTIAL TREZZINI
Der Medienrummel ist ihm nicht geheuer: Peter HiggsBild: picture-alliance/dpa

Durch und durch Physiker

Für diejenigen, die wie viele andere Peter Higgs persönlich sprechen möchten, hatte Alan Walker, ein Kollege an der Universität Edinburgh, einen Tipp: "Er bevorzugt Journalisten, die die Physik verstehen und darüber fehlerfrei berichten."

Denn auch wenn Peter Higgs seit 1996 emeritiert ist: Er bleibt durch und durch Wissenschaftler. Spekulationen über zukünftige Ereignisse hat er stets abgelehnt. Er beendete seine Greenpeace-Mitgliedschaft, als die Organisation begann, sich gegen Gentechnik einzusetzen. Und wenn ihn jemand fragt, was denn seine Rolle in der ganzen Higgs-Teilchen-Sache gewesen sei, taucht er sofort tief in die Wissenschaft ab. Blumige Umschreibungen für Laien sind weniger sein Ding.

Für ihn typisch sind Aussagen wie "Ich sage erst etwas dazu, wenn die Ergebnisse vom CERN in der Wahrscheinlichkeit von fünf Sigma liegen." Was für Nichtwissenschaftler bedeutet: Bevor er etwas kommentiert, sollten sich die Forscher zu 99,9999426697 Prozent sicher sein.

Ein Aufsatz, der die Welt verändert

Im Jahr 1964 - Peter Higgs lehrte gerade am Tait Institut in Edinburgh - schrieb er das erste Mal die Idee auf, die ihn weltberühmt machen sollte. Ein bisher unentdecktes Teilchen solle es geben - und das sei der Grund dafür, warum Materie eine Masse hat. Etwas, das Physiker bisher nicht zufriedenstellend erklären konnten. "Für mich war das alles offensichtlich", sagte er einmal bei einer Pressekonferenz und lachte.

Nur eine DIN A4-Seite lang war der wissenschaftliche Aufsatz über seine weltverändernde Theorie. "Ich wusste nicht, welche Auswirkung sie haben würde. Ich dachte nur, dass es das Beste war, das ich jemals gemacht hatte", erzählte er später. "Und ich war sehr verärgert, als die erste Version meines Papers abgelehnt wurde."

Das Fachmagazin "Physics Letter" wollte Higgs Aufsatz, dessen Inhalt nun mit dem Nobelpreis gekürt wurde, nicht veröffentlichen. Vielleicht war ihnen die Theorie zu revolutionär - so etwas mögen Fachmagazine auch heute nicht sonderlich. Aber Peter Higgs war hartnäckig, würzte sein Werk mit einer zusätzlichen Schlussbetrachtung und veröffentlichte es dann erfolgreich im US-amerikanischen Konkurrenzblatt "Physical Review Letters". Die Geschichte nahm ihren Lauf.

Peter Higgs (R) und Francois Englert Foto: FABRICE COFFRINI/AFP/GettyImages
Auch Francois Englert (links) sagte die Existenz des Higgs-Teilchens voraus. Auch er bekam den Nobelpreis.Bild: Fabrice Coffrini/AFP/GettyImages

Nicht mehr der jüngste

Inzwischen prangt ein Ölgemälde von Higgs in der Universität von Edinburgh, ein Acrylgemälde lässt sich in der Scottish National Portrait Gallery bewundern. Am lebenden Exemplar hingegen hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen: Higgs fällt das Sprechen manchmal schwer, er verhaspelt sich, hört nicht mehr gut, seine Hände zittern oft.

"Er ist ein Theoretiker alter Schule", sagt Franz Muheim. "Er hat seine Publikationen noch mit Bleistift und Papier angefertigt."

Mögen sich Kollegen mit bunten, hypermodernen Powerpoint-Vorträgen schmücken - Peter Higgs greift bei Vorträgen über sein Lebenswerk stets aufs Altbewährte zurück: auf einen Overhead-Projektor und einen Stapel handschriftlicher Folien. Wer sich in dem dicht beschriebenen Gekrakel nicht zurechtfindet, braucht ja nicht zuzuhören.

Misserfolge - privat und beruflich

Nicht nur den Anschluss an das Computerzeitalter hat Higgs verpasst: Auch zur mathematikorientierten Teilchenphysik der 70er Jahre fand er keinen Zugang. Nicht er selbst, sondern andere Forscher entwickelten seine Ideen weiter. Die Blütezeit von Higgs' wissenschaftlicher Karriere war schon wenige Jahre nach einer weltbewegenden Idee wieder beendet.

Mit dazu beigetragen hat auch die Scheidung von seiner Frau Jody im Jahr 1972. Higgs war am Boden zerstört. Es heißt, sie habe sich vernachlässigt gefühlt, weil Higgs sich zu sehr in seine Physik verbissen hatte.

Trotzdem: "Peter ist ein Familienmensch", sagte Alan Walker in einer Rede 2010. Er habe sich immer viel Zeit für seine zwei Söhne genommen. Higgs hat inzwischen zwei Enkelkinder.

"Auch für Studenten hat er stets ein offenes Ohr", erzählt Franz Muheim. Wenn Doktoranden zu ihrem ersten Tag an der Uni zusammenkommen, halte Peter Higgs sehr oft eine kleine Begrüßungsrede. Und er sei auch oft bei Treffen dabei, bei denen Doktoranden zusammenkommen, um Zwischenergebnisse ihrer Arbeit zu präsentieren.

Peter Higgs am CERN Foto: EPA/Alan Wal / UNIVERSITY OF EDINBURGH dpa - Bildfunk
Peter Higgs bei seinem Besuch im CERN im April 2008Bild: picture-alliance/dpa

Das Gottesteilchen ist ihm verhasst

Als ihn einst eine Journalistin fragte, welchen technologischen Fortschritt man von der Entdeckung des Higgs-Teilchens erwarten könne, antwortete Higgs ehrlich: "Ich habe keine Ahnung, was man damit Nützliches anfangen kann." Für Anwendungen in der Medizin, um beispielsweise Tumoren zu bekämpfen, sei das Higgs-Teilchen viel zu kurzlebig.

Verhasst ist dem Physiker der Begriff "Gottesteilchen", der sich in den Medien für das Higgs-Teilchen eingebürgert hat. Ihm sei das "peinlich". Er habe das Wort nie benutzt und würde das auch nie. "Ich glaube nicht an Gott, aber ich hab immer gedacht, dass dieser flapsige Begriff einige Menschen beleidigen könnte."

Früher als erwartet

Dass die Forscher am CERN das Higgs-Teilchen tatsächlich gefunden haben, überraschte Higgs: "Ich hätte nicht gedacht, dass es noch in meiner Lebenszeit passieren würde", erklärte er der Presse. "Aber es ist schön, manchmal auch recht zu haben."

Wie es sich für einen Wissenschaftler gehört, weist er darauf hin, dass noch viele Rätsel offen seien. "Der Teilchenbeschleuniger hat noch eine Menge zu tun. Und ich freue mich darauf, mehr davon zu hören."