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Erstes NS-Dokumentationszentrum für München

Krisha Kops30. April 2015

Zum 70. Jahrestag der Befreiung Münchens durch die US-Amerikaner öffnet in der bayerischen Hauptstadt erstmals ein NS-Dokumentationszentrum. Es hat lange gedauert, bis sich München der Geschichte stellte.

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Nazi-Parade 1940 in München (Foto: akg)
Bild: picture-alliance/akg

Der Münchner Königsplatz ist ein geschichtsträchtiger Ort. Hier verbrannten deutsche Studenten und Professoren am 10. Mai 1933 Bücher jüdischer, kommunistischer und anderer unliebsamer Autoren. Hier marschierten die Nazis auf, hier standen der Führerbau und das "Braune Haus", die Parteizentrale von Adolf Hitlers Nationalsozialistischer Partei, die in den letzten Kriegswochen im Bombenhagel zerstört wurde. Nach dem Abriss der Ruine lag das Grundstück lange brach, und nicht mal ein Schild erinnerte an die Bedeutung der Adresse. Bis 2012, als der erste Spatenstich den Bau des NS-Dokumentationszentrums einleitete, um den in München fast zwei Jahrzehnte lang gestritten wurde und dessen Eröffnung sich mehrmals verschob.

Ein langer Weg zum Zentrum

"Ganz generell kann man sagen, dass München sich schwerer getan hat als alle anderen Städte in Deutschland, weil es auch mehr mit der Geschichte behaftet war als jede andere Stadt", erklärt sich der Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums, Winfried Nerding, die lange Zeitspanne zwischen dem Ende des Nationalsozialismus und dem Errichten eines Zentrums. In München habe alles seinen Anfang genommen: SS, SA oder Hitlerjugend seien hier mit breiter Unterstützung der Münchner Gesellschaft gegründet worden. Doch jetzt ist das Dokumentationszentrum nach langen Querelen endlich fertig: Für 28,2 Millionen Euro errichteten die Berliner Architekten Bettina Georg, Tobias Scheel und Simon Wetzel einen ganz in Weiß gehaltenen, weit sichtbaren Kubus. "Es ist spät, aber nicht zu spät", gab der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer den Münchnern mit auf den Weg.

NS-Dokumentationszentrum in München (Foto: dpa)
Ein Kubus, in dem Geschichtsbewusstsein seinen Platz gefunden hatBild: picture-alliance/dpa/Sven Hoppe

Auch der Historiker Hans Günter Hockerts, ehemaliger Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit dem Schwerpunkt Zeitgeschichte, findet, dass das Zentrum gerade für München wichtig sei: "Denn hier wurde die NSDAP 1919/20 gegründet, und vom Anfang bis zum Ende residierte hier das Hauptquartier der Partei. Außerdem nahm München eine Zentralfunktion als Kunstmetropole des Dritten Reiches in Anspruch."

Moderne Präsentation

Eine Dauerausstellung im neuen Dokumentationszentrum wird auf etwa 1000 Quadratmetern der Frage nachgehen, warum ausgerechnet München so tief im braunen Sumpf versank. Sie beleuchtet den Aufstieg der Nationalsozialisten über die Verbrechen von Münchnern im Zweiten Weltkrieg bis hin zum gegenwärtigen NSU-Prozess. Hockerts findet es wichtig, sich auch heute noch mit dem Dritten Reich auseinanderzusetzen. Einfach um zu zeigen, was passiert, sobald allgemeine Menschen- und Bürgerrechte außer Kraft gesetzt werden. "Humanitäre Hemmschwellen können rasch sinken", sagt er. "Eine hochentwickelte Gesellschaft kann sich binnen weniger Jahre in eine radikale Ausgrenzungsgesellschaft verwandeln."

Der preisgekrönte Regisseur und bildende Künstler Benjamin Heisenberg sieht das ähnlich. Zusammen mit seinem Bruder Emanuel Heisenberg und der Künstlerin Elisophie Eulenburg hat er eine Filmcollage kreiert: Monitore sind in Mauerstücke eingelassen und überall verstreut, darauf sind Filmclips zu sehen, die historische und zeitgenössische Bilder und Texte einander gegenüberstellen. Man könne hier etwas über die Prozesse lernen, die hier und jetzt vor sich gehen, ob Pegida oder die Radikalisierung von Jugendlichen, findet Heisenberg. "Die Frage ist: Tue ich eigentlich etwas dafür, dass die Gesellschaft in eine richtige Richtung geht, nehme ich persönliche Verantwortung dafür, wie ich mit meinen Mitmenschen umgehe?"

Die Künstler haben mit ihrer ungewöhnlichen Präsentationsform vor allem ein jüngeres Publikum im Visier. Doch auch die Betreiber des Zentrums haben extra für Jugendliche eine ganze Etage mit interaktiven und multimedialen Lehr- und Informationsmöglichkeiten bereitstellt. Sie reichen von thematischen Geschichtspfaden bis hin zu Audioguides, die von Städtischen Berufsschulen entwickelt wurden.

Mahnendes Beispiel für die Jugend

Die ehemalige Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses und Ex-Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, ist davon überzeugt, dass die 28 Millionen Euro gut angelegt sind, wenn es gelingt, vor allem die jungen Menschen für die Zerbrechlichkeit von Freiheit und Demokratie zu sensibilisieren.

Blick aus dem Fenster im NS-Dokumentationszentrum in München (Foto: dpa)
Von hier aus können Besucher den Platz überblicken, auf dem einst die Nazis ihre Paraden abhieltenBild: picture-alliance/dpa/Sven Hoppe

Als Überlebende des Dritten Reiches ist Knobloch dafür bekannt, beim Umgang mit Deutschlands NS-Vergangenheit sehr kritische Maßstäbe anzulegen. Dieses Projekt kann sie allerdings "absolut und in jeder Hinsicht" befürworten. "Es ist sehr wichtig, nicht nur die Erinnerung an das Vergangene wach zu halten, sondern gerade auch die aktuellen Missstände in unserer Gesellschaft und weltweit aufzuzeigen", so Knobloch.

Hockerts zufolge fragen sich Jugendliche oft und ganz zu Recht, was denn die lang vergangene NS-Zeit mit ihrem eigenen Leben zu tun habe. Nicht nur die Parallelen zur Gegenwart seien darauf eine Antwort, sondern auch die grundlegenden Unterschiede zwischen dem gegenwärtigen Deutschland und der Nazi-Zeit.

Einen "fundamentalen Bruch mit der Geschichte des Standorts" wollten die Architekten des Zentrums mit ihrem Bau bewirken. Der moderne weiße Kubus solle den Stempel ersetzen, den die Nationalsozialisten diesem Ort einst aufdrückten. Münchens Geschichte ist also einmal mehr in Stein gemeißelt.