Die Topographie des Terrors in Berlin
2. Mai 2015Dicht gedrängt stehen die Besucher vor den Informationstafeln, die an Metallseilen von der Decke hängen. Durch die Glasfassade des Gebäudes fällt ein fahles Licht. Die Topographie des Terrors hat seit einer halben Stunde geöffnet, der große Raum der Dauerausstellung ist bereits gut gefüllt. Es gibt die ersten Führungen des Tages für Schulklassen, eine Senioren-Gruppe bahnt sich ihren Weg durch die Ausstellung und Eltern erklären ihren Kindern leise, wer dieser Hitler war, den man auf den alten Fotos sieht. Der frühmorgendliche Besucheransturm ist nichts Ungewöhnliches in der Topographie des Terrors. Mit 1,36 Millionen Besuchern war sie 2014 der meistbesuchte NS-Gedenkort in Berlin.
Ort der Täter
Anders als das Denkmal für die ermordeten Juden Europas am Brandenburger Tor ist die Topographie des Terrors kein klassisches Mahnmal, sondern ein Dokumentationszentrum, das vor allem informieren soll.
Dabei spielt der authentische Ort eine zentrale Rolle: Hier, unweit des Potsdamer Platzes, war das strategische Zentrum des nationalsozialistischen Terrorapparates. Zwischen 1933 und 1945 befanden sich auf dem Gelände die Zentralen der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), der SS und des Reichssicherheitshauptamtes. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die zum Teil zerstörten Gebäude abgerissen, der Ort geriet in Vergessenheit. Erst 1987 wurde hier eine provisorische Ausstellung eingerichtet. 2010 eröffnete schließlich das neue Dokumentationszentrum, in dem neben der Dauerausstellung auch wechselnde Sonderschauen über die Verbrechen der NS-Zeit informieren. Auf dem weitläufigen Außengelände zu sehen sind verschiedene Fundamentreste, etwa vom "Hausgefängnis" der Gestapo. Hier wurden rund 15.000 Regimegegner verhört und gefoltert.
Besucher aus aller Welt
Auf einer Bank am Rand der Ausgrabungen sitzt ein älteres Ehepaar und macht eine Pause. Maria und Horst kommen aus Bremen, sie sind schon etliche Male in Berlin gewesen, doch zum ersten Mal in der Topographie des Terrors. Ihr Hotel liegt direkt um die Ecke, durch Zufall haben sie das Ausstellungsgelände bei einem Spaziergang entdeckt und erkundet. "Das ist ganz schön viel Information", sagt Maria, "und es ist jedes Mal aufs Neue so erschreckend, die Gräueltaten der Nazizeit zu sehen. Man fragt sich immer wieder, wie das passieren konnte. Das muss man erst einmal verarbeiten." Ihr Mann nickt zustimmend. "Ich finde es gut, dass an diesem historischen Ort über die Verbrechen der Nazizeit informiert wird. Das ist wichtig", fügt Horst hinzu. "Und es ist schön, dass es die Informationstexte auf Deutsch und Englisch gibt und man hier so viele verschiedene Sprachen hört."
Tatsächlich sind viele Besucher der Topographie des Terrors ausländische Touristen. So wie Fred und Tony, zwei ältere Herren aus England. "Für jemanden wie mich, der den Zweiten Weltkrieg noch als Kind miterlebt hat" - so Tony - "ist der Besuch einer solchen Ausstellung natürlich besonders interessant und bewegend".
Auch die junge Niederländerin Nienke hat als Geschichtslehrerin einen besonderen Bezug zu diesem Ort. Vor einigen Jahren besuchte sie das Dokumentationszentrum im Rahmen ihres Studiums. Jetzt ist sie mit ihrem Freund Jeroen und ihren Eltern in Berlin. Sie wollte ihnen unbedingt diesen besonderen Ort zeigen. Nach wie vor gefällt Nienke der historisch-dokumentierende Ansatz der Ausstellung und auch Jeroen ist beeindruckt. Doch die beiden wünschen sich ein größeres Bewusstsein einiger Besucher für die Geschichte des Ortes und ein angemessenes Verhalten. "Das hier ist nicht Disneyland. Manche Menschen scheinen das zu vergessen", meint Nienke. Und Jeroen zeigt leicht entnervt auf zwei Touristinnen, die sich lachend vor den Resten der Berliner Mauer am Rand des Ausstellungsgeländes mit einem Selfiestick fotografieren.
Andere Orte in Berlin erinnern ebenfalls an die Zeit des Nationalsozialismus, beispielsweise das Haus der Wannsee-Konferenz oder die Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Auch sie haben in den vergangenen Jahren einen kontinuierlichen Besucheranstieg verzeichnet. Doch keine andere Berliner NS-Gedenkstätte, kein anderes Dokumentationszentrum zieht so viele Interessierte an wie die Topographie des Terrors; gerade konnte der zehnmillionste Besucher begrüßt werden.
Geschichte erlebbar machen
Die einen gehen mit dem kostenlosen Audioguide über das Gelände, die anderen schließen sich einer Führung an, die es in elf Sprachen gibt. Adi Kantor ist eine der Tourguides. Vor viereinhalb Jahren kam die Israelin im Zuge ihres Studiums nach Berlin, seit zwei Jahren macht sie Führungen auf Englisch und Hebräisch. "60 Minuten Führung sind nur eine sehr kurze Zeitspanne, aber ich hoffe, dass ich einen Prozess in den Köpfen der Besucher anstoßen kann", erklärt Kantor. Sie sieht die Topographie des Terrors als eine Art Warnzeichen, das zeigen soll, wozu Menschen unter bestimmten Bedingungen fähig sind: "Unser Ziel hier in der Topographie des Terrors ist es, die Täter in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken." Wichtig ist Adi Kantor eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen. "Es geht darum, die Menschen heute zu Demokratie, Toleranz und dem Schutz individueller Freiheiten zu erziehen und Vorurteile abzubauen. Wenn meine Kollegen und ich mit unseren Führungen in der Topographie des Terrors dazu beitragen können, dann ist unsere Arbeit erfolgreich."