Erster Abschiebeflug nach Afghanistan seit Jahren
30. August 2024Erstmals seit der Machtübernahme der Taliban vor drei Jahren hat Deutschland wieder afghanische Staatsangehörige in ihr Herkunftsland abgeschoben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teilte mit, es handele sich um 28 Straftäter. Nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatten die Verurteilten kein Bleiberecht in Deutschland, und es lagen Ausweisungsverfügungen gegen sie vor.
Der "Spiegel" berichtet, die Abschiebung sei mittels einer Charter-Maschine von Qatar-Airways vom Flughafen Leipzig aus erfolgt, wohin die Männer aus verschiedenen Bundesländern gebracht worden seien. Jeder Abgeschobene erhielt demnach vor dem Flug 1000 Euro Handgeld. Die Boeing 787 landete an diesem Freitagmittag in Kabul.
Hebestreit: Sicherheitsinteresse Deutschlands überwiegt Schutzinteresse von Straftätern
Hebestreit erklärte, das Sicherheitsinteresse Deutschlands überwiege klar das Schutzinteresse von Straftätern und Gefährdern. Die Bundesregierung habe in den vergangenen Monaten "große Anstrengungen unternommen, um die Wiederaufnahme von Rückführungen in solchen Fällen zu erreichen". Angesichts der "bekanntermaßen schwierigen Rahmenbedingungen" habe Deutschland auch "regionale Schlüsselpartner" um Unterstützung gebeten.
Die Grünen-Innenexpertin Lamya Kaddor schrieb im Online-Netzwerk X, die "kriminellen Afghanen" seien "unter Mithilfe des Emirats Katar" in ihre Heimat zurückgebracht worden. "Katar wird das alles nicht aus Nächstenliebe für uns tun." Wolle die Bundesrepublik - wie von SPD-Kanzler Olaf Scholz schon im vergangenen Jahr angekündigt - "im großen Stil" nach Afghanistan abschieben, bedürfe es direkter Verhandlungen mit den dort herrschenden Taliban.
Die radikalen Islamisten hatten nach dem Abzug der USA vor drei Jahren wieder die Macht ergriffen. Bis heute erkennt keine westliche Demokratie ihre Regierung an, unter der etwa Frauen und Mädchen der Besuch weiterführender Schulen und Universitäten verwehrt wird. Menschenrechtler, Oppositionelle und Journalisten müssen am Hindukusch mit Verhaftung und Folter rechnen.
Nouripour: Keine Legitimierung der Taliban
Grünen-Chef Omid Nouripour warnte, der jüngste Abschiebeflug dürfe nicht zu einer Legitimierung der Taliban führen. Ohne direkte staatliche Zusammenarbeit seien jedoch Abschiebungen "im großen Stil" nicht möglich. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst forderte indes, man müsse über noch mehr Rückführungen auch nach Syrien und Afghanistan sprechen.
Das individuelle Recht auf Asyl bleibe gewahrt, sagte Wüst in einer Sondersitzung des NRW-Landtags zum mutmaßlich islamistischen Messerattentat von Solingen. Hunderttausende Menschen, die nach Deutschland kämen, seien aber nicht asylberechtigt. Irreguläre Migration müsse gestoppt werden. Ähnlich äußerten sich Parteikollegen Wüsts aus anderen Bundesländern, unter ihnen der hessische Regierungschef Boris Rhein.
Amnesty: "Menschenrechte haben wir alle"
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International übte hingegen Kritik an der jüngsten Rückführung. Generalsekretärin Julia Duchrow erklärte: "Menschenrechte haben wir alle - und niemand darf in ein Land abgeschoben werden, wo Folter droht." Es sei "alarmierend", dass sich die Bundesregierung über diese Verpflichtungen hinweggesetzt habe.
Bei der Attacke vor einer Woche waren drei Menschen getötet und weitere schwer verletzt worden. Dringend tatverdächtig ist ein 26-jähriger Syrer, der in Untersuchungshaft sitzt. Als Reaktion auf die Tat hatte die Bundesregierung aus SPD, FDP und Grünen am Donnerstag mehrere Maßnahmen vorgestellt, mit denen die Sicherheit in Deutschland verbessert werden soll. Vorgesehen sind Änderungen des Waffenrechts, erweiterte Überwachungsbefugnisse der Behörden und deutliche Verschärfungen des Aufenthalts- und Aslyrechts.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigte sich dennoch unzufrieden. Besonders beim Waffenrecht bleibe das Paket hinter den Erwartungen zurück, sagte der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke. Auch aus den Unionsparteien kamen ablehnende Reaktionen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, sagte der "Bild"-Zeitung: "Die Ampel-Vorschläge reichen bei Weitem nicht aus für eine grundlegende Wende in der Migrationspolitik und bei der Inneren Sicherheit." Vieles bleibe ungenau, so der CDU-Politiker.
Die AfD warf der Regierung Aktionismus vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am Sonntag vor. In beiden Bundesländern liegt die Partei in Umfragen bei 30 Prozent.
jj/sti (dpa, afp, rtr)
Redaktionsschluss: 16.30 Uhr - dieser Artikel wird nicht weiter aktualisiert.